Musikunterricht im Flüchtlingslager Vial

"Keines der Kinder hat vorher ein Instrument gespielt"

07:33 Minuten
Kleine Kinder stehen zwischen Baracken und Zelten vor Kanistern.
Kinder im März vorigen Jahres im Flüchtlingslager Vial auf der griechischen Insel Chios. Seit Februar diesen Jahres spielen professionelle Orchestermusiker mit Kindern in dem Camp klassische Musik. © imago-images / IMAGO / ANE Edition
Leila Weber im Gespräch mit Mascha Drost |
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Im Flüchtlingscamp Vial auf der griechischen Insel Chios unterrichten Profimusiker Kinder im Spiel von Instrumenten. Das gemeinsame Musizieren bereite den Kindern große Freude, berichtet die Bratschistin Leila Weber.
Das Projekt "Hangarmusik" entstand 2016 in Berlin, als geflüchtete Menschen im Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof lebten. Kinder und Jugendliche bekamen Instrumente in die Hand, und es wurde gespielt: Beethoven, Mozart, Mahler.
Das Projekt in Berlin gibt es immer noch, die Kinder sind inzwischen oft aufgetreten und haben sogar Workshops mit bekannten Ensembles wie dem Freiburger Barockorchester absolviert.

Aus dem Tempelhofer Hangar nach Chios

Jetzt sind die Initiatoren von "Hangarmusik" weitergezogen, in ein Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Chios. Dort fangen sie wieder von vorn an – aber unter noch weitaus prekäreren Umständen als ehemals in Berlin.
Die studierte Orchestermusikerin Leila Weber hat das Projekt in Berlin mitgegründet und ist jetzt in Chios bei "Hangarmusik Vial". "Wir konnten jetzt im Februar beginnen", berichtet sie. Im Camp gebe es eine kleine Containerschule, in der die Kinder unterrichtet würden. "Da proben wir, am Ende des Tages, wenn der Schulunterricht vorbei ist."
Die Lage im Camp Vial sei katastrophal, sagt die Musikerin: "Die Zustände, in denen die Menschen dort leben, sind wirklich entwürdigend." Es gebe nur wenige Container, die sehr voll seien, viele Menschen lebten in selbst gebauten Zelten um das Camp herum: "Wirklich im Dreck, es ist unvorstellbar, dass so etwas in Europa passiert."
"Das ist auch ein Grund, warum wir gesagt haben, wir müssen hier hingehen", erzählt Weber: "Wir müssen etwas tun, die Musik an so einen Ort bringen, um den Menschen auch unsere Kultur und unsere Werte zu bringen."

Eine Geige verändert die wildesten Jungen

Kinder seien zum Glück überall auf der Welt gleich, sagt die Bratschistin - und freut sich, dass sie sie die jungen Menschen mit der klassischen Musik erreicht. "Wir kommen mit den Instrumenten. Erstmal sind alle erstaunt. Die Gesichter verändern sich in dem Moment, wo sie ein Instrument tatsächlich in der Hand haben", schildert Weber ihre Erfahrungen. "Es gibt eine unglaubliche Freude unter den Menschen, obwohl sie in diesen Zuständen leben. Alle kommen wieder und wollen mehr spielen."
Die wildesten Jungen veränderten sich, sagt Weber. Wenn sie eine Geige oder ein Cello in der Hand hielten, seien sie ruhig und machten mit. Die Verständigung laufe vor allem über die Musik - und etwas Englisch. "Wir spielen kleine Sequenzen aus Sinfonien von Mahler, Beethoven, Mozart, Bach." Es gehe um das gemeinsame Tun und nicht um perfektes Spiel.
Kleine Kinder, die man von hinten sieht, laufen mit Instrumentenkoffern auf dem Rücken auf das Gebäude des Flughafens Tempelhof zu,
"Hangarmusik" in Berlin: Mit Flüchtlingskindern, die in der deutschen Hauptstadt gestrandet waren, hatte das Projekt 2016 begonnen.© Andreas Knapp / Hangarmusik.
"Keiner hat vorher ein Instrument gespielt", berichtet Leila Weber. Anfangs spielten die Kinder und Jugendlichen mit leeren Seiten eine begleitende Stimme zu einer anderen Stimme, die ein Profi spiele. "So lernen sie einerseits die Melodie und gleichzeitig, im Rhythmus gemeinsam zu spielen."
"Es geht darum, gemeinsam anzufangen, gemeinsam aufzuhören, sich in eine Gruppe einzufinden und dann wirklich zusammenzubleiben: aufeinander zu hören, aufeinander zu achten. Dieses Gefühl des Zusammenseins, das Zusammen-Musik-Machens in der Gruppe, hat eine wirklich ganz starke Energie und Faszination", sagt Weber.
Was Hangarmusik nicht machen wolle, seien Kurzprojekte, betont sie: "Wir haben gesagt, wir bleiben, solange das Camp steht. Solange Kinder da sind, wird dieses Projekt hier weiterlaufen – sofern wir die finanziellen Möglichkeiten haben."
(mfu)
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