Musikstreaming

Auf dem Weg zu einem fairen Abrechnungsmodell?

06:29 Minuten
Zu sehen ist einer ausgelassen tanzende junge Frau, die mit Kopfhörern Musik hört.
Mehr Transparenz versprechen sich viele von einem nutzungsbasierten Abrechnungsmodell bei Streamingdiensten. © imago images / Westend61
Von Christoph Möller  · 18.02.2020
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Musikstreaming soll anders abgerechnet werden, fordern die Manager einiger deutscher Stars. Was die Nutzer tatsächlich hören, hätte dann einen größeren Einfluss auf die Einnahmen der Musiker. Der gerechtere Weg, findet Christoph Möller.
"Ganz simpel gesagt, ist das neue Modell ziemlich ähnlich zum Verkauf von CDs", sagt Hannes Datta, Associate Professor für Marketing an der niederländischen Universität Tilburg über das "nutzerbasierte Abrechnungsmodell" bei Musikstreamingdiensten. Bei diesem Modell bestimmt die einzelne Nutzerin oder der einzelne Nutzer, welcher Künstler ihr oder sein Geld bekommt.
"Also, ich bezahle zehn Euro, ich höre zehn Künstler und ich höre die alle gleich - dann kriegt jeder von den zehn Künstlern einen Euro. Ein Resultat dieses Modells ist, dass Kunden direkter entscheiden können, wo ihr Geld hinfließt. Und das ist wirklich sehr anders als das bestehende Modell."
Also, das "Pro-Rata"-Modell, bei dem alle Einnahmen eines Streamingdienstes nach einem intransparenten Verteilungsschlüssel je nach Marktanteil ausgezahlt werden. Künstlerinnen und Künstler, die sowieso schon sehr erfolgreich sind, profitieren davon am meisten.

Studie zu neuem Modell in Arbeit

Vor einigen Wochen schon forderten führende deutsche Musikmanager, dieses Abrechnungsmodell abzuschaffen. Vergangene Woche hat sich auch der "Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen" (VUT) für das nutzerbasierte Modell ausgesprochen: "Uns geht es hauptsächlich um die Musik", sagt Mark Chung, Vorstandsvorsitzender des VUT. "Und es geht uns auch darum, eine Nachvollziehbarkeit für die Hörer zu haben und für die Künstler." Es gehe darum, dass man wisse: "Das, was ich gehört habe, das sind die Leute, die das Geld bekommen." Im Moment sei das stark abgekoppelt.
Transparenz und die Förderung kultureller Vielfalt seien ihm wichtig, sagt Chung. Hannes Datta und sein Team arbeiten gerade an einer Studie zu den Auswirkungen des neuen Modells. Endgültige Zahlen hat Datta noch nicht. Er sagt aber, kleine Künstler profitieren nicht zwangsläufig davon. "Unter dem neuen Modell würde es eine Art Groupie-Effekt geben." Wenn ein Fan die ganze Zeit nur eine einzige kleine Band hört, wird nur diese Band davon profitieren. Klingt erstmal gut. Schon ältere Studien hätten aber gezeigt, dass besonders Leute, die kleine Künstler wertschätzen, ein sehr ausgeprägtes Musikverständnis haben und sehr viel unterschiedliche Musik hören. "Insofern muss das neue Modell wirklich nicht bedeuten, dass die kleinen Künstler bessergestellt werden."
Das bestätigt auch eine Studie aus Finnland aus dem Jahr 2016. Ob kleine Künstler mehr verdienen, hängt stark vom Hörverhalten ihrer Fans ab. Die Studie zeigt aber auch: Extrem populäre Künstler müssen beim nutzerzentrierten Modell mit starken Verlusten rechnen, sie verdienen fast 50 Prozent weniger. Ob die Ergebnisse auf größere Musikmärkte übertragbar sind, weiß niemand so genau.
Die Initiative des VUT, das nutzerbasierte Modell zu unterstützen, zielt aber nicht nur auf Geld und eine gerechtere Gewinnbeteiligung für die Künstler, erklärt Mark Chung. "Wir glauben und beobachten, dass, wenn man sich anguckt, welche Stücke auf Spotify erfolgreich sind, dass es schon eine Verschiebung gibt - hin zu Musik, die nicht stört. Wenn nur durch das Abrechnungsmodell bestimmte Musik, Vielfalt in Musik reduziert wird, was wir zusammengefasst doch beobachten, dann finden wir das absolut fragwürdig."

Einfluss von Fake-Accounts minimieren

Das aktuelle Abrechnungsmodell setzt auf Quantität: Stücke, die sehr ähnlich klingen, oder ewig im Hintergrund dudelnde Playlists profitieren am meisten. Das aktuelle System ist auch anfällig für Manipulation, etwa für Fake-Accounts, die künstlich Abrufzahlen in die Höhe treiben, erklärt Hannes Datta.
"In einer kleinen Simulation, die ich gemacht habe, kann ich zeigen, dass man mit 10 eingesetzten Euro ungefähr 20 Euro Profit macht, mit dem Kreieren von Fake-Accounts. Das ist ein riesiger Return of Investment."
Beim nutzerbasierten Modell sei das anders: "Für jeden Fake-Account, den ich kreiere und für 10 Euro im Monat kaufe, für diese Subscription Fees von Spotify - dieses Geld kann mir auch maximal nur wieder zu zehn Euro zurückfließen." Dadurch wird seiner Meinung nach das Kreieren von Fake-Accounts, von Premium-Fake-Accounts unmöglich gemacht.

Höhere Chancen durch Helene Fischer und Rammstein

Das müsste auch im Sinne der großen Streamingdienste und Majorlabels sein, die dem Modell noch skeptisch gegenüberstehen. Spotify gibt zu dem Thema keine Interviews. Universal bleibt vage und teilt schriftlich mit: "Eine faire Beteiligung für alle Musikschaffenden ist für unseren gemeinsamen Erfolg unentbehrlich und wir nehmen die Diskussion um das Abrechnungsmodell im Streaming selbstverständlich ernst."
Warner Music Europe unterstützt nutzerzentrierte Zahlungen "voll und ganz", solange sie zuverlässig funktionieren. Warner hat mit Access Industries den gleichen Mutterkonzern wie der kleine französische Streamingdienst Deezer, der das Modell offensiv bewirbt und noch in diesem Jahr in Frankreich und Deutschland testen möchte. Ob große Dienste wie Apple Music oder Spotify auf nutzerbasierte Abrechnung umstellen, ist schwer zu sagen. Entscheidend wird die Position der Major-Labels sein, die mit den Diensten Lizenzverträge abgeschlossen haben – und teilweise Anteile an ihnen halten.
Das nutzerbasierte Modell ist gerechter und transparenter. Dass jetzt selbst Stars wie Helene Fischer, Rammstein und Peter Maffay, die am meisten vom aktuellen Modell profitieren, eine Änderung fordern, erhöhten die Chancen für die Einführung der nutzerbasierten Abrechnung immens.
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