Musikjahr 2019

Die Kunst löst den Kommerz ab

05:19 Minuten
Iggy Pop sitzt mit nacktem Oberkörper genüsslich in der Sonne.
Auf der Sonnenseite des Lebens: Iggy Pop macht jetzt nur noch, auf was er Lust hat. Finanziell ausgesorgt hat er ja. © picture alliance / Photoshot
Von Marcel Anders |
Audio herunterladen
Immer weniger verkaufte Alben, dafür steigende Umsätze durch Streaming: Die Popmusik reagiert darauf mit einer neuen Lust am Experiment – schließlich lässt sich ohnehin kaum noch Geld verdienen. Gut, wenn man zuvor schon ausgesorgt hat.
Für Pet Shop Boy Neil Tennant hat die anhaltende Krise der Musikindustrie auch etwas Positives. Etwa die Möglichkeit, wild zu experimentieren statt permanent auf Verkaufszahlen und Hitsingles zu schielen.
„Das ist die Situation – und wir müssen damit klarkommen, dass wir immer weniger Alben umsetzen. Iggy Pop und Chrissie Hynde nutzen das, um einfach mal etwas anderes machen. Sie haben das entsprechende Publikum und müssen – wie es Chrissie formulieren würde – niemandem den Hintern küssen: ein unglaublich befreiendes Gefühl.“
Von diesen neuen Möglichkeiten soll auch das kommende Album der Briten zeugen – und so haben es 2019 etliche Künstler vorgemacht. Wie Divine Comedy mit einem spleenigen Konzeptalbum über die Automatisierung der Arbeitswelt, Chrissie Hynde mit einem Lounge-Œuvre und Iggy Pop mit einem Vorstoß in den Jazz.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Einfach, so der 72-Jährige, weil er sich das leisten könne: „Ich habe ausgesorgt und kann jetzt machen, was ich will. Wem das nicht passt, der kann mich mal.“

Neue Freiheiten, neue Möglichkeiten

Noch ambitionierter als die Zusammenarbeit von Iggy Pop mit Jazz-Trompeter Leron Thomas sind richtige Multimedia-Kunstwerke. „Engine Of Paradise“ von Adam Green ist eine Kombination aus Album und Comicbuch. Die „Drift Series Vol. 1“ von Underworld vereint das Beste ihrer Internet-Auftritte, und „I Am Easy To Find“ von The National ist eine Kooperation mit Regisseur Mike Mills. Der entwickelt nicht nur Bilder zur Musik der Band, er editiert auch die Songs an sich.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Ein Experiment, so Sänger Matt Berninger: „Uns ging es darum, erstmals eine externe kreative Stimme einzubringen, die das Projekt leitet – und dafür sorgt, dass es mal etwas anderes wird. Dieses Album kam allein durch Mike zustande: Er hat sich Songskizzen angehört, die ich ihm geschickt habe. Dann hat er sie zerlegt und daraus neue, größere Ideen entwickelt.“

Keine Scheu vor finanziellen Verlusten

Klangkunst zur Selbstverwirklichung – aber ohne kommerziellen Anspruch. Das ist einigen Musikern sogar so wichtig, dass sie dafür finanzielle Verluste in Kauf nehmen – wie der Komponist Yann Tiersen. Für sein Album „Portrait“ ließ er eine ganze Armada an Gastmusikern auf die französische Kanalinsel Ouessant fliegen. Und Josh Homme entwickelte für die Desert Sessions ein derart aufwendiges Artwork, dass er bei jedem verkauften Exemplar draufzahlt:
„Wir bieten das Vinyl für 30 Dollar an, aber es kostet allein 27 Dollar in der Herstellung. Einfach, weil da die Pferde mit mir durchgegangen sind. Ich bin nach dem Motto vorgegangen: Was würde ich mir selbst kaufen? Und ich habe mir die Frage gestellt: Erinnerst du dich noch daran, warum du mit der Musik angefangen hast? Die Antwort lautet: Um etwas zu machen, das ich liebe.“

Spaß muss dabei sein

Dieser Trend dürfte sich 2020 fortsetzen – weil Alben immer weniger Profit abwerfen, aber eine willkommene Plattform zum kreativen Austoben bieten. Zudem sind gerade gestandene Künstler immer mehr auf den Spaßfaktor bedacht – wie Karl Hyde von Underworld:
„Teil zwei unserer Drift-Serie wird sich mehr ums Reisen drehen – um Road-Trips und Musik, die an Orten wie Berlin entsteht oder bei Events mit unterschiedlichen Leuten.“
Mehr zum Thema