Musikhistorische Sensation

Von Bernhard Doppler · 24.06.2011
Niemand hat sich bis jetzt dafür interessiert, dass Bedrich Smetana selbst eine deutsche Übersetzung für seine "Verkaufte Braut" in Auftrag gegeben, und zwar an den tschechischen Autor Eduard Züngel. In Graz kam es nun zur nachträglichen Uraufführung.
Musikhistorisch ist es tatsächlich eine Sensation. Smetana hat die Übersetzung hat mit roter Tinte in seine Partitur eintragen lassen. Das wirft auch ein Licht auf die Wirkungsgeschichte dieser populärsten tschechischen Oper. Kein Opernhaus - sieht man von einer missglückten Aufführung in Russland ab - interessierte sich nämlich zu Lebzeiten des Komponisten für die "Verkaufte Braut‘", obwohl sich Smetana unter anderem mit jenem Übersetzungsauftrag vor allem an deutschen und französischen Opernhäusern so darum bemühte.

Erst 1892, acht Jahre nach Smetanas Tod, nach einer Aufführung in Wien, begann der internationale Erfolg der "Vekauften Braut", und zwar in deutscher Sprache in der freien Übertragung des Dichters Max Kalbeck.

Gegenüber dem Original verniedlicht Kalbeck das Geschehen mit seinen sozialen Konflikten. Züngels Übertragung hingegen lässt noch die Entstehungszeit 1866 durchscheinen, die von politischen und kriegerischen Konflikten geprägt war. Der Librettist Karel Sabina war ja nichts weniger als ein Freund des Anarchisten Bakunin.

Bei der nachträglichen Züngel-"Uraufführung" in Graz merkt man davon nichts, abgesehen davon dass die Textverständlichkeit der Aufführung zu wünschen übrig ließ und die Übertitelung bei der Premiere ausfiel.

Die Styriarte-Produktion nennt sich "halbszenisch" wofür Philipp Harnoncourt, ein Sohn von Niklaus Hanoncourt, verantwortlich zeichnet. "Szenische Musik" oder "Oper als Konzert" können ja durchaus interessante Formate sein. Doch die Grazer "halbszenische" Aufführung ist lediglich eine ärgerlich harmlos biedere Bebilderung. Im Mittelpunkt und Vordergrund ist das Orchester, das European Chamber Orchestra, postiert, während die Sänger auf Segmenten eines Raupenkarussels, das die Styriarte für diese Aufführung von einem Jahrmarktsbetreiber gekauft hat, auftreten.

Vier Balletttänzer sorgen für konventionelle choreographierte Bewegungen, und nur manchmal, leider viel zu selten, sind die Orchester-Musiker auch - etwa bei Zirkusspäßen im dritten Akt - in der "Verkauften Braut" verliebt sich ja ein Bauernbursche in einer Zirkusartistin - ins Geschehen involviert.

Doch die optische Aufbereitung lenkt meist nur von der musikalischen Interpretation ab. Die aber ist aufregend! Die quasi-folkloristische Tanzseligkeit von Smetanas Musik macht Harnoncourt immer wieder durchsichtig und zeigt deutlich das kompositorische Verfahren, wobei die Tänze den Aufbau strukturieren.

Dem Motto "Im Schweren Leichten" der "Styriarte 2011"kommte diese "Verkaufte Braut" musikalisch sehr nahe. Auch Smetana war es ja, mit seiner komischen Heirat – und Verkuppelungsoper und mit dem Anspruch, eine heitere tschechische Oper trotz aller Kriegswirren zu kreieren, sehr ernst. Auch zeigen seine Figuren, und auch das macht Haroncourt deutlich, keineswegs nur operettenhafte Lustigkeit; zum Beispiel der Stotterer Wenzel - bei Züngel heißt er Vassek - innig vorgetragen von Markus Schäfer. Vor allem aber in Dorthea Röschmann hat Harnoncourt in der Titelrolle eine Sängerin Marie, die überraschend viele Seiten dieser Partie souverän aufzumachen versteht: melancholische Tiefe, Schabernack und Heiterkeit - und plötzlich auch expressives Pathos.