Musikfesttage an der Oder

Erzählen, um zu überleben

Das Brandenburgische Staatsorchester in der Konzerthalle C.P.E. Bach in Frankfurt/Oder
Das Brandenburgische Staatsorchester in der Konzerthalle C.P.E. Bach in Frankfurt/Oder © Tobias Tanzyna/BSOF
10.03.2016
Zum Beginn der Musikfesttage an der Oper blickten das Brandenburgische Staatsorchester mit seinem Chefdirigenten Howard Griffiths und der Geiger Iskandar Widjaja weit nach Südosten. Auf dem Programm standen das Violinkonzert des türkischen Gegenwartskomponisten Fazıl Say und die "Sheherazade" von Nikolaj Rimsky-Korsakow.
Es ist schlicht und ergreifend ein Werk der Weltliteratur - diese Märchensammlung "1001 Nacht". Und zugleich ein Klischee der duftenden Erotik und funkelnden Exotik des Morgenlandes. In der Musik hat sie tiefe Spuren hinterlassen - das berühmteste Werk stammt vom Petersburger Opernmeister Nikolaj Rimsky-Korsakow. Seine Sinfonische Suite "Sheherazade" gehört zu den meistgespielten Werken weltweit und wird sogar im Nahen Osten selbst als gelungene Charakterisierung dieser Märchenwelt angesehen. Diese Kollektion von mythischen und alltäglichen Geschichten, die die Tochter des Wazirs erzählt, um den misogynen Sultan gnädig zu stimmen, stammt ursprünglich wohl aus Indien, wurde dann von den Persern aufgeschrieben und von den Arabern in Bagdad erweitert und in die heute bekannte Fassung gebracht. Wobei bemerkenswert ist, dass sich der gebräuchliche arabische Titel "Alf Laila wa Laila" (1001 Nacht) erstmals in dem Notizbuch eines Kairoer Juden findet!
Zum Beginn der fluss- und grenzüberschreitenden Musikfesttage an der Oder spielt das gastgebende Brandenburgische Staatsorchester unter Leitung seines Chefdirigenten Howard Griffiths eben jene "Sheherazade" von Rimsky-Korsakow. Außerdem ist der junge Berliner Geiger Iskandar Widjaja eingeladen, mit dem Frankfurter Orchester das Violinkonzert von Fazıl Say aufzuführen. Der türkische Pianist und Komponist hat das Werk ebenfalls der orientalischen Märchensammlung nachempfunden. Dazu gehören bei ihm auch instrumentale Farben aus der Region.
Fazıl Say schreibt selbst über sein Violinkonzert: "Es besteht aus vier Sätzen, die ihre Anregung lose aus Scheherazades Erzählungen in den Märchen von tausendundeiner Nacht beziehen. Der erste Satz spielt sich im Innern eines Harems ab. Vorgestellt werden verschiedene Harems-Frauen in ihrer je unterschiedlichen Persönlichkeit. Der zweite Satz ist ein einziges Tanzvergnügen – sozusagen eine Party-Nacht mit unterschiedlichsten Arten von Tanzmusik. Der dritte Satz spielt am darauf folgenden Morgen und besteht zu einem wesentlichen Teil aus Variationen über ein berühmtes türkisches Lied. Der vierte Satz beginnt zwar dramatisch, doch im weiteren Verlauf entwickelt er sich immer mehr zu einem Nachklang auf das ganze Geschehen, und so endet das Werk mit sinnlich orientalischen Klängen, träumerisch und glücklich."
Diese illustrativen Schilderungen darf man bei Fazıl Say durchaus ernst nehmen und zugleich auch ironisch verstehen. Denn der Künstler ist ja als laizistischer Provokateur im Rahmen politischer Diskussionen in seinem Heimatland Türkei bekannt.
Dass nun die Musik und Kultur des Nahen Ostens im Auftaktkonzert der Musikfesttage an der Oder - einer polnisch-deutschen Kooperation - so stark auftritt, hat durch die aktuelle Flüchtlingsdebatte ebenfalls eine politische Dimension erhalten. Denn es gibt östlich der Oder einige einflussreiche Personen, die auf Kosten geflüchteter Menschen aus eben dieser Region Stimmung machen. Die Musik kann wieder einmal ihre eigene Agenda setzen.
Musikfesttage an der Oder
Konzerthalle C.P.E. Bach, Frankfurt
Aufzeichnung vom 4. März 2016
Fazıl Say
Violinkonzert "1001 Nights in the Harem"
Nikolaj Rimsky-Korsakow
"Scheherazade" Sinfonische Suite op. 35
Iskandar Widjaja, Violine
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt
Leitung: Howard Griffiths