Musikfest Berlin

Rufer in der Wüste

22.09.2016
Gipfeltreffen der Orchester: Das Musikfest Berlin bringt im September die bedeutendsten Klangkörper in die Hauptstadt. An diesem Abend ein Blick auf die junge Szene mit Jonathan Nott.
Alljährlich werden zum Saisonauftakt in Berlin die orchestralen Kräfte gebündelt: Die Berliner Festspiele richten in Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern das Musikfest Berlin aus. Früher unter dem Namen "Berliner Festwochen" eine Institution der westdeutschen Nachkriegskultur, findet das Festival in dieser Form nun zum zwölften Mal statt. Hier treffen die Klangkörper der vereinigten Hauptstadt auf die großen Orchester der Republik und der internationalen Szene. Doch geht es nicht in erster Linie um eine sinfonische Leistungsschau, sondern um Konzepte. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals dieser Größenordnung setzt Programmchef Winrich Hopp auf klare dramaturgische Linien, vertritt konsequent das Erbe der Moderne und stellt überraschende Querbezüge her.
In diesem Jahr richtet sich der Blick nach Amerika: Das Festivalprogramm streift mit San Francisco (John Adams) und Los Angeles (Filmmusik) die Musikmetropolen der US-Westküste und erobert dank des Pionierwerks "Déserts" von Edgard Varèse die Wüste New Mexicos. Von Varèse (1883-1965) sind insgesamt nur 16 Stücke überliefert, sein Gesamtwerk passt auf zwei CDs, und dennoch ist er einer der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts – ein Visionär, der viele jüngere Musiker anregte. Beim diesjährigen Musikfest wird Varèse nicht nur gespielt, er steht auch wie eine graue Eminenz hinter den Programmen: Mit Ferruccio Busoni kommt ein früher Mentor Varèses zu seinem Recht, auch er ein Vordenker der Moderne. Varèse seinerseits beeinflusste Pierre Boulez und den angehenden Rockmusiker Frank Zappa, deren Werke ebenfalls auf dem Musikfestprogramm zu finden sind.
Außerdem widmet sich dieser Festival-Jahrgang der Perkussionsmusik sowie dem Andenken des vor zehn Jahren verstorbenen Komponisten György Ligeti. Als Medienpartner dokumentiert Deutschlandradio Kultur das Musikfest Berlin in lockerer Folge mit der Übertragung von acht Sinfoniekonzerten, drei Kammerkonzerten und dem "Quartett der Kritiker".
Etliche programmatische Linien werden in diesem Konzert mit der Jungen Deutschen Philharmonie unter ihrem "Ersten Dirigenten und Künstlerischen Berater" Jonathan Nott zusammengeführt. Die angehenden Spitzenmusiker zwischen 18 und 28 Jahren spielen mit Beethovens "Eroica" (1803) nicht nur eine der zentralen Sinfonien überhaupt, sondern ein zu Lebzeiten des Komponisten wahrlich unerhörtes Werk, das in neue Dimensionen orchestraler Ausdrucksmöglichkeiten vorstieß. Varèse wiederum experimentierte in seinem Spätwerk "Déserts" mit elektronischer Musik, die 1954 freilich noch in den Anfängen steckte und heute genauso historisch wirkt wie Beethovens Sinfonie, aber den gleichen Pioniergeist verströmt. Ligetis Violinkonzert (1992), ebenfalls ein Spätwerk, belegt die rastlose Suche des ungarischen Komponisten nach neuen Klangquellen: Lotosflöten und Okarinas bereichern das Orchester; Obertöne stehen der temperierten Stimmung gegenüber – ein musikalischer Showdown zwischen Natur und Kultur.
Musikfest Berlin
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 11. September 2016
Edgard Varèse
"Déserts" für Bläser, Klavier, Schlagzeug und Tonband
György Ligeti
Konzert für Violine und Orchester
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 "Eroica"

Pekka Kuusisto, Violine
Junge Deutsche Philharmonie
Leitung: Jonathan Nott