Musikfest Berlin

Musik als Flaschenpost in der Sowjetunion

Der Intendant Waleri Gergijew dirigiert das Orchester des Mariinski-Theaters im russischen St. Petersburg.
Waleri Gergijew, Intendant des Mariinski-Theaters im russischen St. Petersburg © picture alliance / dpa / RIA Novosti / Alexei Danichev
08.09.2016
Gipfeltreffen der Orchester: Das Musikfest Berlin bringt im September die bedeutendsten Klangkörper in die Hauptstadt. Heute: Ein russischer Abend mit Valery Gergiev und den Münchner Philharmonikern.
Alljährlich werden zum Saisonauftakt in Berlin die orchestralen Kräfte gebündelt:
Die Berliner Festspiele richten in Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern das Musikfest Berlin aus.
Früher unter dem Namen "Berliner Festwochen" eine Institution der westdeutschen Nachkriegskultur, findet das Festival in dieser Form nun zum zwölften Mal statt. Hier treffen die Klangkörper der vereinigten Hauptstadt auf die großen Orchester der Republik und der internationalen Szene. Doch geht es nicht in erster Linie um eine sinfonische Leistungsschau, sondern um Konzepte. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals dieser Größenordnung setzt Programmchef Winrich Hopp auf klare dramaturgische Linien, vertritt konsequent das Erbe der Moderne und stellt überraschende Querbezüge her.
Als Medienpartner dokumentiert Deutschlandradio Kultur das Musikfest Berlin in lockerer Folge mit der Übertragung von acht Sinfoniekonzerten, drei Kammerkonzerten und dem "Quartett der Kritiker".
Zu den verschiedenen programmatischen Linien der diesjährigen Ausgabe kommt ein ungewöhnlicher Schwerpunkt hinzu:
Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, den Münchner Philharmonkern und dem Bayerischen Staatsorchester reisen die drei Münchner Klangkörper von Weltrang im Abstand von wenigen Tagen nach Berlin.
Seit einem Jahr ist Valery Gergiev Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, im Rahmen des Musikfestes ist diese Partnerschaft erstmals in der Hauptstadt zu erleben.
Gergiev, weithin geschätzt für seine glutvollen Interpretationen russischer Musik, dirigiert neben der monumentalen Vierten Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch die so wuchtige wie irritierend knappe Dritte Sinfonie von Schostakowitschs Schülerin Galina Ustwolskaja.
Das 1983 entstandene Werk, das unter dem Titel. "Jesus Messias, errette uns!" Verse des Benediktinermönchs Hermannus Contractus aus dem 11. Jahrhundert einbezieht, konnte erst 1995 in Amsterdam mit dem Concertgebouw-Orchester uraufgeführt werden.
Am Pult stand – damals wie heute – Valery Gergiev, der dem neuen Werk ebenfalls Schostakowitschs Vierte folgen ließ.
Diese hatte noch länger auf ihre Premiere warten müssen: Ursprünglich als Requiem auf den ermordeten Leningrader Parteifunktionär Sergej Kirow angekündigt, entwickelte sich das Frühwerk musikalisch zu einer Auseinandersetzung mit dem Vorbild Gustav Mahler und biografisch zu einer Abrechnung mit Stalin. Der massiv unter Druck gesetzte junge Komponist musste die für 1936 geplante Uraufführung "freiwillig" zurückziehen; erst 1961 konnte die Vierte aus der Taufe gehoben werden.
Man kann gespannt darauf sein, wie Gergiev und die Münchner die mal mehr, mal weniger verschlüsselte subversive Botschaft dieser Werke herausarbeiten.
Musikfest Berlin
Philharmonie Berlin - Aufzeichnung vom 06. September 2016
Galina Ustwolskaja
Sinfonie Nr. 3 "Jesus Messias, errette uns!" für Sprecher und Kammerorchester
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 43

Alexei Petrenko, Sprecher
Münchner Philharmoniker
Leitung: Valery Gergiev