Musiker Simon Wallfisch gegen den Brexit

Eine Hymne des Protestes

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Der Sänger und Cellist Simon Wallfisch führt einen Protestmarsch in London gegen den Brexit. Dabei intoniert er die "Ode an die Freude" von Beethoven - die Europa-Hymne.
Für den Cellisten und Sänger Simon Wallfisch ist Beethovens "Ode an die Freude" ein Statement gegen den Brexit. © picture alliance / ZUMA Press / Stephen Chung
Von Judith Koch · 31.01.2020
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Unverdrossen demonstrierte der Cellist und Sänger Simon Wallfisch bis zuletzt für Europa. Auf Protestmärschen sang er mit anderen die EU-Hymne "Ode an die Freude". Für einen regen Künstleraustausch sei der EU-Austritt ein großes Unglück, sagt er.
"Diese Ode wurde benutzt zuerst vom Council of Europe. Und das steht für Menschenrechte, Demokratie und Gesetz."
Simon Wallfisch, britisch-deutscher Cellist und Bariton, spielt heute sein letztes Protest-Konzert. Beethovens "Ode an die Freude", die 1824 Premiere feierte – lange vor Gründung der Europäischen Gemeinschaft, die sie 1985 zu ihrer Hymne machte. Den letzten Satz aus Beethovens 9. Symphonie nutzt Wallfisch jetzt als Hymne des Protests, um auf die Folgen des Brexit für Künstler und die Kunst aufmerksam zu machen. Der wohl wichtigste Aspekt: das Recht auf Freizügigkeit.
"Ich kann nicht für das Department of Culture sprechen aber ich bin sicher, wenn man denkt, wie wenig wir geschätzt sind, eigentlich, obwohl wir über fünf Milliarden Pfund einnehmen lassen. Ich glaube nicht, dass irgendein begabter Klarinettist aus Ungarn, der hier ab und zu Vorspiele macht oder hier studieren wird – mit den tollen Lehrern, die wir hier haben – noch kommt. Das glaube ich nicht. Deshalb ist es nur traurig."

"Es ist einfach schrecklich traurig"

Mehr als 35 Umzüge hat Wallfisch seit dem Referendum hinter sich. Wie jeden Monat spielt er auch heute in Begleitung von befreundeten Musikern und Kollegen. Darunter die Chorsängerin Jane Emanuel. Sie erinnert sich:
"Ich war gerade auf Chor-Reise in Rom. Wir hatten eine wundervolle Zeit mit einem römischen Chor, aber ob wir jetzt mit der gleichen Leichtigkeit weitermachen können, weiß ich nicht. Ich weiß es wirklich nicht, es ist einfach schrecklich traurig."
Die Chorsängerin ist besorgt, genau wie Nina Key, die ihr Leben lang im Musikbusiness gearbeitet hat. Sie hat Simon Wallfischs Vater, den Cellisten Raphael Wallfisch, gemanagt. Jetzt macht sie sich um ihre eigene Familie Sorgen.
"Die große Falle, in der wir jetzt sitzen, ist, dass wir nicht frei nach und aus Europa reisen können. Mein Sohn ist Opernsänger, und er macht sich große Sorgen, jetzt jedes Mal ein Visum zu brauchen, um in einem europäischen Opernhaus zu singen. Das beeinträchtigt die Zusammenarbeit enorm."

Zermürbende Unsicherheit

Großbritanniens Musikindustrie bringt der britischen Wirtschaft jährlich mehr als fünf Milliarden Pfund ein. Schon jetzt spielen weniger britische Musiker für europäische Ensembles und Opernhäuser vor als vor dem Referendum. Problematisch außerdem: die Vereinbarkeit von Bürokratie und der von Musikern erwarteten Spontaneität für Engagements. Außerdem der Transport von Instrumenten – vor allem aber die zermürbende Unsicherheit.
"Wir wurden von einer Gruppe Scharlatane in die Irre geführt. Und die Konsequenzen für uns, unsere Kinder und Enkel sind schrecklich. Es ist einfach traurig", sagt Jane Emanuel.

Einmal im Monat "Ode to Joy"

Stürmisch schließt die "Ode an die Freude" Beethovens Neunte Symphonie. Die Verse von Friedrich Schillers Gedicht "An die Freude", geschrieben 1786, an der Schwelle zur französischen Revolution, rufen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Bei der Uraufführung war der alternde Beethoven fast völlig taub. Trotz heutigem Brexit Day, Simon Wallfisch wurde gehört.
Er sagt: "Ich mache einmal im Monat 'Ode to Joy' – who cares? Aber es hat viele positive Auswirkungen gehabt, ich bin sicher. Und ich habe viele Freundschaften gemacht, mit den Leuten, die jedes Mal kommen. Ja, wir sind verteilt. Und wenn mir jemand sagt, wir haben verloren, dann sage ich: Ja, Sie auch. Wenn ich verloren habe, dann haben Sie auch verloren."
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