Der Chronist des wilden Westberlins
Die Independent-Doku "B-Movie" über die wilden 80er-Jahre in Westberlin hat bereits über 20.000 Zuschauer ins Kino gelockt. Der britische Musiker Mark Reeder führt als Hauptdarsteller durch sein Leben und das Jahrzehnt. Doch wer ist dieser Mann?
Sonntagmittag, unweit der Oberbaumbrücke in Berlin, am Spreeufer: Mark Reeder, ein Engländer in Berlin, sitzt auf den Stufen einer Freizeitanlage, beobachtet Spaziergänger und Ausflugsdampfer. Für seinen Film "B-Movie" war genau dieser Blick gefragt: der fremde Blick auf die Deutschen und die Westberliner Szene.
"Als Brite bin ich dann Außenseiter, und konnte ich das mit einem ganz andere Auffassung so erzählen, weil viele Sachen für Deutsche waren vielleicht so total ernst und für mich waren sie total lustig."
Mark Reeder trägt wie immer Uniform, heute eine dunkelblaue Kombination der US-Air-Force, dazu Stiefel der taiwanesischen Armee, sehr bequem, wie er versichert. Die Haare mit 57 heute grau, aber immer noch "short-back-and-sides". Ein typisch englischer Schnitt, auf dem Kopf lang genug für einen Seitenscheitel, an den Seiten raspelkurz. Als Gesamterscheinungsbild provokant für die Deutschen, damals noch mehr als heute, selbst für seine Punker-Freunde.
Reeders Faible für Uniformen ist Überbleibsel einer Arbeiterklasse-Kindheit in den 60er-Jahren im nordenglischen Manchester – die Stadt damals nur noch ein Schatten der einst blühenden Industrie-Metropole.
"Meine Vater war früher Matrose, meine Mutter hatte früher Lancaster-Bomber gebaut, die Berlin bombardiert haben im Zweiten Weltkrieg und natürlich weil meine Eltern nie viel Geld hatten, hab ich immer sehr viel Armeeklamotten getragen. Weil die waren am billigsten und hard-wearing und haben viele Taschen und das hat mir gefallen."
Bezahlung nur gegen Schallplatten
Manchester ist aber auch Musikstadt, der kleine Mark lernt sie früh kennen: Ein Cousin, der am Wochenende auf den Siebenjährigen aufpassen muss, schleppt ihn regelmäßig mit in den Plattenladen, steckt ihn in eine der Abhörkabinen und legt auf, was damals angesagt ist: die Doors, Jimi Hendrix, King Crimson, Led Zeppelin. Mit 14 fängt er dort an zu jobben, lässt sich in Vinyl auszahlen.
"So just for fun, just for records eigentlich, und natürlich wenn man dann älter wird, muss man einen Weg finden und dann hab ich Werbegrafik studiert. Aber der Plattenladen hat mir mehr Spaß gemacht und irgendwann hab ich meinen Job geschmissen und bin fulltime in den Plattenladen gegangen und ich hab auch irre viel Geld verdient. Ich hab das Dreifache verdient, was mein Vater verdient hat."
Das Geld spart er, es wird sein Startkapital, als er Ende der 70er-Jahre nach Berlin zieht, auf der Suche nach Schallplatten, deutsche elektronische Musik hat es ihm angetan: Tangerine Dream, Cluster, Can, Kraftwerk. In Berlin gerät er in die Punk- und Hausbesetzerszene, spielt in Bands, arbeitet als Toningenieur und Schauspieler und kennt Gott und die Welt. Er führt ein aufregendes Leben, das alles erzählt der Film, der Anfang der 90er-Jahre endet.
Der Fall der Mauer ändert nicht nur Weltgeschichte, sondern auch die Musikgeschichte: Techno wird das neue große Ding, vor allem in Berlin, und Mark Reeder wird Teil dieser Geschichte.
"Das ist hier das ehemalige Heizkraftwerk von Ostberlin, das ist jetzt ein Club. In diesem Club ist das Tresor, zusammen mit E-Werk, das waren die beiden Mekkas von Techno in Berlin."
Techno wurde das neue große Ding
1990 gründet Reeder das Label MFS. Wie so oft in seinem Leben, eher zufällig: kurz nach der Wende rät er dem ostdeutschen Plattenlabel Amiga, in den neuen Trend einzusteigen.
"Techno, haben sie davon noch nie was gehört und haben sie mich gefragt: dann mach du das. Wenn du so viel davon weißt, dann mach das selber. Und da dachte ich: ja, okay."
Vor allem ein Name wird unter MFS groß, der des DJs Paul van Dyk; doch ab 1997 geht van Dyk eigene Wege, will seinen Erfolg und sein Geld nicht mit Mark Reeder teilen, meint der. Für Reeder auch eine große persönliche Enttäuschung. Bis 2008 führt er das Label weiter, dann hat er keine Lust mehr. Er fängt wieder an, als Musiker und Produzent zu arbeiten, veröffentlicht 2011 das Remix-Album "Five Point One", die Bezeichnung für ein Mehrkanal-Tonsystem, den vollen Sound.
So kommt es auch zur Zusammenarbeit für den Film B-Movie: Die Macher beauftragen Reeder, die gesamte Musik des Films in 5.1 neu abzumischen – ein Projekt, das mehrere Jahre dauert.
"Die Leute würden sagen, du bist verrückt. Du bist krank. Aber das liegt an meiner peniblen, leidenschaftlichen Pedantigkeit, vielleicht. Also, ich bin eine Perfektionist. Es trägt meine Namen, und ich will nicht irgendwas rausbringen."
Trotz seiner "leidenschaftlichen Pedantigkeit" kann Mark Reeder von seiner Arbeit leben. Seit fünf Jahren ist er verheiratet, lebt in einer Altbauwohnung im Zentrum Berlins, zusammen mit seiner ersten großen Liebe: einer Unmenge von Schallplatten. Ansonsten – gar nicht so viel Neues.
"Berlin ist zwar renoviert worden und schön geworden und alle haben Zentralheizung heute, statt Kohlenofen. Aber mein Leben hat sich in Wirklichkeit nicht so viel verändert."
Die wilden 80er-Jahre sind vorbei, für manchen Kinogänger ein Grund zur Wehmut. Mark Reeder ist geblieben. Immerhin.