Henkjan Honing: "Der Affe schlägt den Takt – Musikalität bei Tier und Mensch"
Henschel Verlag 2019
213 Seiten, 24 Euro
Tanzende Kakadus und Finken mit Taktgefühl
05:59 Minuten
Wie musikalisch sind Tiere? Können sie Musik genießen? Diesen Fragen geht Kognitions- und Musikwissenschaftler Henkjan Honing in seinem neuen Buch nach und nimmt seine Leser mit auf eine Reise in verschiedene Forschungslabore der Welt.
Carsten Beyer: Jetzt geht es hier im Deutschlandfunk um musikalische Tiere: "Der Affe schlägt den Takt – Musikalität bei Tier und Mensch" – so heißt ein neues Buch, das gerade im Henschel Verlag erschienen ist. Henkjan Honing hat es geschrieben, Professor für Musik-Kognition an der Universität Amsterdam, und meine Kollegin Bettina Schmidt hat es für uns gelesen, ist jetzt bei mir im Studio.
Frau Schmidt, eine Spurensuche – so nennt es Henkjan Honing in seinem Buch im Untertitel. Aber was versteht er eigentlich unter Musikalität und warum ist es so interessant, das zu untersuchen?
Bettina Schmidt: Interessant ist es deshalb für uns, weil die Beantwortung der Frage vielleicht eine anthropologische Lücke in unserer Menschwerdung schließen kann. Wenn Musikalität in uns angelegt ist, wie beispielsweise das Sprachvermögen, dann könnten Tiere nicht auch musikalisch sein. Oder aber Tiere können musikalisch sein, dann wäre Musikalität vielleicht die Basis für die Entwicklung unseres Sprachvermögens.
Frau Schmidt, eine Spurensuche – so nennt es Henkjan Honing in seinem Buch im Untertitel. Aber was versteht er eigentlich unter Musikalität und warum ist es so interessant, das zu untersuchen?
Bettina Schmidt: Interessant ist es deshalb für uns, weil die Beantwortung der Frage vielleicht eine anthropologische Lücke in unserer Menschwerdung schließen kann. Wenn Musikalität in uns angelegt ist, wie beispielsweise das Sprachvermögen, dann könnten Tiere nicht auch musikalisch sein. Oder aber Tiere können musikalisch sein, dann wäre Musikalität vielleicht die Basis für die Entwicklung unseres Sprachvermögens.
Es ist also eine ganz gewichtige Untersuchung, um zu zeigen: Wo haben wir eine gemeinsame Basis – und mag sie auch Millionen Jahre zurückliegen – und wo haben wir uns getrennt vom Tier? Und gibt es einige Tiere, die Musikalität in sich tragen, die diese Fähigkeit besitzen, oder gibt es einige Tiere, die das nicht besitzen?
Musikalität bei Neugeborenen
Carsten Beyer: Wie hat der Autor denn Musikalität überhaupt gemessen? Hat der seinen tierischen Probanden Musik vorgespielt oder hat er sie Tonleitern singen lassen?
Bettina Schmidt: Nein. Also, die Untersuchungen spielen sich im kognitiven Bereich ab. Da der Takt eine ganz wichtige Größe ist für Musikalität, hat Henkjan Honing den Tieren Taktfolgen vorgespielt und dann im EEG Reaktionen gemessen oder auch deren Ausbleiben im Gehirn. Grundlage dieser Forschung ist eine Untersuchung von vor zehn Jahren, die er an Neugeborenen gemacht hat, also an den Winzlingen von Menschen, und da hat er nachgewiesen, dass bereits Babys über so ein Taktempfinden verfügen. Auch ihnen hat er so ein EEG angelegt und hat die Beats eingespielt, ganz leise natürlich. Und blieb dann so ein Beat aus, dann hat das Gehirn einen deutlichen Fehlimpuls gemeldet. Daraus kann man schließen, dass das Gehirn bereits das Muster aufgenommen und antizipiert hatte und dass das Ausbleiben eines Schlages zu so einer "Aha"-Reaktion geführt hat.
Bettina Schmidt: Nein. Also, die Untersuchungen spielen sich im kognitiven Bereich ab. Da der Takt eine ganz wichtige Größe ist für Musikalität, hat Henkjan Honing den Tieren Taktfolgen vorgespielt und dann im EEG Reaktionen gemessen oder auch deren Ausbleiben im Gehirn. Grundlage dieser Forschung ist eine Untersuchung von vor zehn Jahren, die er an Neugeborenen gemacht hat, also an den Winzlingen von Menschen, und da hat er nachgewiesen, dass bereits Babys über so ein Taktempfinden verfügen. Auch ihnen hat er so ein EEG angelegt und hat die Beats eingespielt, ganz leise natürlich. Und blieb dann so ein Beat aus, dann hat das Gehirn einen deutlichen Fehlimpuls gemeldet. Daraus kann man schließen, dass das Gehirn bereits das Muster aufgenommen und antizipiert hatte und dass das Ausbleiben eines Schlages zu so einer "Aha"-Reaktion geführt hat.
Vögel besitzen weniger Gefühl für Klang
Carsten Beyer: Nun ist Musikalität nicht nur Taktgefühl, sondern auch ein Gefühl für Melodie. Ist das auch als Kriterium eingegangen?
Bettina Schmidt: Schon. Aber in erster Linie hat er Untersuchungen mit Takt gemacht, zum Beispiel beim Affen. Aber es gibt natürlich auch Tiere, die über ein sogenanntes vokales Lernvermögen verfügen. Das sind unsere geliebten Vögel, die wir alle kennen, die dann plötzlich das Handyklingeln nachmachen können und das von ihren Vorfahren auch noch lernen. Die Nachtigall ist so ein tolles Beispiel dafür. Diese Tiere verfügen auch über Klangempfinden, aber Honing hat herausgefunden, dass das nicht so ausgebildet ist wie bei uns, sondern Tiere und Vögel verfügen meistens über ein absolutes Gehör. Das heißt, wenn unser einer das Lied "Alle meine Entchen" vom Opa gesungen hört oder von einer jungen Mutti, dann erkennt er trotzdem das Lied "Alle meine Entchen", weil wir Intervalle und Relationen abstrahieren und damit auch den Klang, während es für einen Vogel ein völlig anderes Lied ist.
Carsten Beyer: Das heißt, wenn jemand sagt, ach, die Amsel, die singt so schön, dann stimmt das eigentlich gar nicht?
Bettina Schmidt: Für uns ist es schön. Die Frage ist, ob Tiere bei Musik auch Genuss empfinden. Der Mensch empfindet dabei Genuss. Darwin hat zum Beispiel vorausgesetzt, dass Tiere beim Musikhören auch Genuss empfinden können – und auch beim Musikmachen. Darum dreht sich diese ganze Untersuchung. Und das Schöne ist - das wollen Sie mich bestimmt gleich fragen - dass er kein Ergebnis liefert.
Bettina Schmidt: Für uns ist es schön. Die Frage ist, ob Tiere bei Musik auch Genuss empfinden. Der Mensch empfindet dabei Genuss. Darwin hat zum Beispiel vorausgesetzt, dass Tiere beim Musikhören auch Genuss empfinden können – und auch beim Musikmachen. Darum dreht sich diese ganze Untersuchung. Und das Schöne ist - das wollen Sie mich bestimmt gleich fragen - dass er kein Ergebnis liefert.
Carsten Beyer: Das wollte ich tatsächlich fragen. Es gibt keinen Schluss. Ich habe ja auch in das Buch reingelesen und das ist immer so eine Sache, wenn Musikwissenschaftler ihre Ergebnisse veröffentlichen. Er hat versucht, das etwas populär-wissenschaftlich zu machen. Trotzdem frage ich mich: Was will dieses Buch? Für wen hat er es geschrieben?
Einblick in die Arbeit mit Versuchstieren
Bettina Schmidt: Ich glaube, dass er das Buch für alle Menschen geschrieben hat, die sich dafür interessieren, was im Tierreich und um sie herum vorgeht. Diese Art der Untersuchung hat auch eine Tradition. Einer der ersten war Alfred Tomatis Anfang des vergangenen Jahrhunderts, der nachgewiesen hat, dass schon ein Fötus im Mutterleib genau hören kann, und zwar nicht über die Ohren, die da noch gar nicht ausgebildet sind, sondern über das Knochengerüst. Und so fragt man sich immer weiter: Was können Tiere hören, was können sie wahrnehmen, können sie sprechen? Der Gesang der Wale als Beispiel.
Ich glaube, das Buch ist für die Menschen verfasst, die einen Einblick in den derzeitigen Stand der Forschung bekommen wollen und was passiert heute zum Beispiel mit Versuchstieren in Laboren. Da kriegt man sonst keine Antwort, man kriegt irgendwelche hochtrabenden Ergebnisse. Und dieses Buch zeigt einem genau, was der Forscher überlegen muss, wie er einen Versuchsaufbau macht. Und das alles ohne jegliches Fach-Chinesisch. Auch toll übersetzt von Bärbel Jänicke, die das auch locker zu fassen weiß.
Carsten Beyer: Also, obwohl es kein Ergebnis gibt, trotzdem lohnenswerte Lektüre.
Bettina Schmidt: Ja, weil es natürlich ganz viele Informationen liefert, die man sonst nicht wusste.