Musikalischer Schmelztiegel

Von Dirk Schneider |
Auf die Suche nach den „Sounds Of Israel“ hat sich das gleichnamige Festival in Hamburg gemacht. Eingeladen waren israelische Musiker von Klassik bis Pop – sie alle auf der Suche nach einer musikalische Identität für das junge multikulturelle Land.
„Sounds Of Israel“: Das Festivalplakat zeigt eine aufgeschnittene Feige, darin steckt ein verkabelter Lautsprecher. Es ist schwierig, ein visuelles Symbol für Israel zu finden, das keine Bevölkerungsgruppe ausgrenzt oder brüskiert. Mindestens ebenso schwer ist es, einen „Sound Of Israel“ zu bestimmen. Auf dessen Spuren hat sich das Festival in den letzten neun Tagen begeben. Die meisten eingeladenen Künstler präsentierten sich dabei auf der Suche nach einem Klang, der die verschiedenen Stimmen des Landes vereint – Musik in der Hoffnung auf ein friedliches Miteinander.

„Wenn man deren (...) Projekte verfolgt, hat fast jeder entweder ein Kooperationsprojekt, zum Teil auch mit Musikern auf der Westbank, zum Teil auch mit arabischstämmigen Musikern.“

sagt Christoph Lieben-Seutter, Intendant der Hamburger Elbphilharmonie und Gastgeber des Festivals.

„... das ist egal, ob das Noa ist, die mit einer arabischen Kollegin beim Eurovision Song Contest aufgetreten ist, oder Idan Raichel, der von seinem ganzen Background natürlich da auch die Fäden zieht.“

2002 ist das Debütalbum des Idan Raichel Projects erschienen: Über 70 Musiker unterschiedlichster Herkunft vermischen darauf hebräische Bibelverse und äthiopische Gesänge mit Afro-Beat und indischen Instrumenten – das Ergebnis ist das meistverkaufte israelische Album aller Zeiten. Der heute 34jährige Idan Raichel glaubt daran, dass Musik Identität stiften kann:

„Ich glaube, dass das Idan Raichel Projekt einen israelischen Soundtrack repräsentiert. Wir alle sind Immigranten, wir sind ein Schmelztiegel, im Studio und auf der Bühne.“

So ist es dem Idan Raichel Project gelungen, im israelischen Mainstreamradio Hits auf Amharisch, der Sprache der äthiopischen Einwanderer, zu landen – eine kleine Sensation.

Einen anderen Versuch der Identitätsstiftung hat die Sängerin Noa mit ihrem letzen Album gewagt. Sie ist eine der erfolgreichsten Sängerinnen des Landes und stand am 4. November 1995 auf der Bühne, auf der kurz darauf der israelische Premier Jitzchak Rabin erschossen wurde. „The Israeli Songbook“ hat sie das jüngste Album mit ihrem musikalischen Partner Gil Dor genannt: Es ist eine Neuinterpretation hebräischer Lieder aus der Gründungszeit des Staates Israel, der so genannten Shirei Eretz Yisrael – Lieder, die viele Israelis heute mitsingen können, und die die israelische Musik maßgeblich geprägt haben:

„Viele der Komponisten, die aus Osteuropa kamen, aus Russland, aber viele auch aus Deutschland, sind das erste Mal auf Menschen aus Nordafrika oder den arabischen Staaten getroffen. Dort sind wirklich Kulturen aufeinander gestoßen, und so etwas setzt immer eine Menge Kreativität frei.“

Das Festival „Sounds Of Israel“ hat gezeigt, welchen Schatz der kulturelle Schmelztiegel Israel für viele Musikformen darstellt: Für den Pop, die Weltmusik oder den Jazz, vertreten etwa durch den Bassisten Avishai Cohen. Er singt inzwischen auch gerne zu seinem Bassspiel, auf Hebräisch, Englisch oder Ladino, der traditionellen Sprache der Sepharden. Mit seinem Trio, das er mit dem Pianisten Omri Mor und dem gerade einmal 22jährigen Schlagzeuger Amir Bresler bildet, hat er in Hamburg ein umjubeltes Konzert gegeben.

Die israelische Kunstmusik tut sich da schwerer mit all den Einflüssen, wie das Symposium mit dem Titel „Interkulturelles Abenteuer: Musik in Israel“ gezeigt hat. Der 30 Jahre alte Komponist Matti Kovler legte etwa dar, welche Bürde die hebräische Sprache für die akademische Musik ist, am Beispiel von Gil Shohats Oper „The Child Dreams“. Die Inszenierung im Jahr 2010 habe die Hälfte des israelischen Kulturetats verschlungen und einmal mehr gezeigt, dass sich kaum Synergien zwischen dem westlichen Genre der Oper und der hebräischen Sprache ergäben.

Das Festival „Sounds Of Israel“ bot eine faszinierende Reise in eine äußerst reiche Klangwelt. Begleitet wurde es von einem sehr informativen Programmheft, und wer die Zeit hatte, konnte auf dem Symposium auch mehr erfahren über die vielfältige Clubkultur Tel Avivs und die Neue Musik des Landes. Das freundliche Multikulti-Bild der auf den Bühnen präsentierten Musik warf aber irgendwann die Frage auf, wie viel Realität eigentlich in der vereinenden Kraft der Musik liegt.

„Das Festival legt einen Schwerpunkt auf Multikulturalität, und das ist gut. Aber das ist nur ein Ausschnitt aus der israelischen Musik,“

sagt Yossi Arnheim, Soloflötist des Israel Philharmonic Orchestras. Er spielt in der Gruppe Shesh Besh mit muslimischen und christlich-arabischen Musikern. Shesh Besh geben Workshops an jüdischen und arabischen Schulen und wurden mehrfach für ihr Engagement ausgezeichnet. Dennoch zieht Ramsis Kasis, arabischstämmiger Oud-Spieler der Gruppe, ein bitteres Fazit:

„Musik kann voller Hoffnung sein und in die Zukunft weisen. Aber wenige Sekunden Blutvergießen im Fernsehen können all das, was die Musik erreicht hat, zunichte machen.“
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