Musikalischer Rahmen für das Mahnmal

10.05.2005
Am Vorabend der offiziellen Eröffnung des Holocaust-Mahnmals gab es ein festliches Konzert, das die Denkmalsstiftung und der ihr angeschlossene Förderkreis in der Berliner Philharmonie veranstalteten. Die Initiative zu diesem Festkonzert ging von jungen Musikern aus, nämlich von der Jungen Deutschen Philharmonie. Seine Mitglieder verwalten sich selbst, haben keinen Chefdirigenten und bestimmen auch ihre musikalischen Programme ganz autark.
Es war sicher das wichtigste, aber auch das heikelste Konzert in der über 30-jährigen Erfolgsgeschichte der Jungen Deutschen Philharmonie. Die Mitglieder dieses Orchesters sind Musikstudierende im Alter zwischen neunzehn und achtundzwanzig und kommen von allen 24 deutschen Musikhochschulen. Sie verwalten sich selbst und bestimmen allein, wann, wo und mit welchem Programm sie auftreten. Der Geiger Robert Hille sitzt im Orchestervorstand:

"Es ist tatsächlich eine Initiative des Orchesters gewesen, die sich in der Verpflichtung des Orchesters begründet, an historischen und gesellschaftspolitischen Themen teilzuhaben. Es wird viel diskutiert im Orchester darüber."

Besonders sensibel war das gestrige Konzert zu planen – Trauer, Mahnung, Erinnerung, Wut und Empörung, Hilflosigkeit – wie groß sollte das Reservoir an musikalischen Gefühlen sein. Die jungen Musiker wollten auf helle, ja fröhliche Farbtöne nicht verzichten, wie sie Erwin Schulhoff 1923 für sein Klavierkonzert gefunden hat ...

Erwin Schulhoff starb im KZ. Doch in den 20er Jahren schrieb er moderne, unbeschwerte Musik. So erinnerte das Konzert gestern Abend in Berlin an das, was gewesen ist. Aber es zeigte auch, dass Komponieren nach Auschwitz möglich war: Gleich zwei Werke von Arnold Schönberg hat der Dirigent Lothar Zagrosek auf das Programm gesetzt. Seine künstlerische Beratung und seine umsichtige musikalische Leitung prägten den gesamten Abend – er selbst fühlte sich animiert von seinem jungen Orchester...

""Wenn diese jungen Leute sich spontan dazu bereit erklären, sich der Vergangenheit ihrer Großväter in dieser Form zu stellen, dass sie sagen, wir werden auf jeden Fall das Gedenken bewahren, wir wollen unsern Beitrag dazu leisten mit einem Konzert, mit unseren Mitteln, dann, finde ich, spricht das sehr für den Geist dieses Orchesters"."

Das Eröffnungskonzert geriet zum Hochsicherheitsstaatsakt, obgleich eigentlich die Bürgerinitiative der Denkmalserrichter und das basisdemokratische Jugendorchester die Gastgeber waren. Die angespannte Stimmung angesichts vieler Politprominenter und Würdenträger und unnötig lange Reden schadeten der Aufmerksamkeit für die Musik, besonders bei dem filigranen und zerbrechlich transparenten Cellokonzert von Ernst Toch. Tanja Tetzlaff war hier die Solistin, sie spielte innig, aber zu zaghaft.

Alle Mitwirkenden des Abends, unter ihnen der Pianist Olli Mustonen, die Sängerin Cornelia Kallisch, Udo Samel und der Rundfunkchor Berlin, engagierten sich sehr und verzichteten dabei übrigens auf ihre Gage. Der Karlsruher Komponist Wolfgang Rihm steuerte eine Uraufführung bei – "Requiem-Bruchstücke" nannte er seine Vertonungen von Nelly Sachs-Gedichten. Zu verhalten, zu gleichbleibend schwergewichtig klang diese Musik, ihr fehlten wirkliche Ideen. Es gab ein Schlagzeuggewitter, doch ansonsten flossen die Klänge durchweg elegisch dahin...

Am besten passte die Musik Arnold Schönbergs zum Anlass. Sein Stück "Ein Überlebender aus Warschau" von 1947 ergriff die Zuhörer und hinterließ eine lang dauernde beklemmende Stille. Dass nach dieser Beklommenheit, nach ihrem gesamten Konzert ein besseres Gefühl entstehen solle, hatten sich eigentlich die jungen Musiker gewünscht. Die Geigerin Eva Egelhoff formuliert die Hoffnungen der jungen Musiker, die sicher auch die Wirkung des Denkmals betreffen:

""Das ist ein sehr bewegendes Ereignis, dennoch hoffe ich, dass es im Endeffekt ein bewegendes, doch positives Zeichen setzt. Dadurch, dass wir alle jung sind, dass es für die Zukunft ein positives Signal setzt, dass so was hoffentlich nie wieder passiert."

In die Nacht vor der Denkmalseröffnung entließen die jungen Musiker ihr Publikum mit einer hoffnungsvollen und zugleich skeptischen Musik, mit einem kurzen Stück, dem "Ersten Psalm" von Arnold Schönberg. In seiner letzten Komposition lässt Schönberg die Musik abbrechen mit dem Ausruf "Und trotzdem bete ich". Mit dieser ratlosen Gewissheit werden viele Menschen wohl auch dem Denkmal für die Ermordeten Juden Europas begegnen.