Sir Simon Rattle bei den Berliner Philharmonikern

Musikalische Identitätssuche

Vier Tänzer des Spanischen Staatsballetts stehen auf einer Bühne. Sie strecken sich von Kopf bis Fuß, stehen auf den Zehenspitzen und strecken ihre Arme in die Luft. Sie tragen verzierte Kleidung und pink-gelbe Umhänge.
Auch der Schönberg-Schüler Roberto Gerhard hat sich mit seiner Fassung vom "Don Quixote" mit seiner eigenen Identität beschäftigt. © picture alliance / dpa / Marcial Guillen
13.05.2022
Auf den ersten Blick sind Katalane Roberto Gerhard und der Böhme Antonín Dvořák eine ungewöhnliche Kombination für ein Konzertprogramm. Doch beide Komponisten waren Suchende: Sie setzten sich intensiv mit ihren kulturellen Wurzeln und einer geeigneten Klangsprache auseinander.
Der Komponist Roberto Gerhard ist 1896 in Katalonien geboren, seine Mutter war Elsässerin, sein Vater Deutsch-Schweizer. 1939 musste Gerhard vor dem Franco-Regime fliehen. Daraufhin ging er ins Exil nach England und blieb dort bis zu seinem Tod 1970.
Diese ganz unterschiedlichen nationalen und kulturellen Einflüsse verschmelzen in seiner Musik, besonders die katalanische Folklore spielt bei ihm eine wichtige Rolle. Dieses und auch das spanische Erbe ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Musik. Nicht umsonst wird Gerhard auch als „spanischer Bartók“ bezeichnet.

Tänze aus dem Ballett „Don Quixote“

Der Roman „Don Quixote“ von Miguel de Cervantes ist tief verankert in der spanischen Kultur. Don Quixote ist ein literarischer Nationalheld geworden. Die erste Fassung seines Balletts „Don Quixote“ komponierte Roberto Gerhard kurz nachdem er im englischen Exil angekommen war. 1958 entstand die Tanzsuite, im gleichen Jahr wurde sie bei den BBC Proms uraufgeführt.

Schmettern von 10.000 Trompeten

In seiner Sinfonie Nr. 3 für Orchester und Tonband beschreibt Roberto Gerhard einen Tagesablauf. Der Beginn ist inspiriert von einem Flug des Komponisten über die irische Küste. Den Sonnenaufgang beschreibt Gerhard in eigenen synästhetischen Worten als ein „Schmettern von 10.000 Trompeten“.
Doch bei der Landung auf der Erde werden die Schrecken der Realität wieder offenbar. Gerhard nimmt hier Bezug auf den Roman „Die Sonnenfinsternis“ von Arthur Koestler. Dort geht es um Demütigungen in autokratischen Regimen, um Erfahrungen im spanischen Bürgerkrieg und bei den stalinistischen Säuberungen. Dem Kataklysmus folgt ein Innehalten und zuletzt die Rückkehr ins Leben als Zeichen der Hoffnung.

Land der unbegrenzten Möglichkeiten

1892 wurde Dvořák als Direktor des Konservatoriums nach New York berufen. Dort entstanden wichtig Werke wie die Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ oder das „amerikanische“ Streichquartett op. 96. In die Reihe der amerikanischen Kompositionen gehört auch die Suite für Orchester in A-Dur mit dem später beigefügten Namen „Amerikanische“. Bei den Berliner Philharmonikern erklingt dieses Werk zum ersten Mal seit dessen Uraufführung.

Dämonisches Scherzo

Ebenfalls selten gespielt ist das „Scherzo cappriccioso“ von Antonín Dvořák. Geschrieben hat er es in einer schweren Krise nach dem Tod seiner Mutter. Ungewöhnlich komplex ist diese Komposition, sprunghaft und dämonisch.
Live aus der Philharmonie Berlin

Roberto Gerhard
Tänze aus dem Ballett „Don Quixote“
Sinfonie Nr. 3 „Collages“

Antonín Dvořák
Scherzo capriccioso op. 66
Suite für Orchester A-Dur op. 98 b „Amerikanische“

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