Musik von der Platte
In Köln gibt es eine schillernde und erfolgreiche Musikszene. Zahllose Clubs und Veranstaltungsorte laden zu Konzerten ein, hier wurde der erste deutsche Musik-Fernsehsender Viva groß, und hier sitzt die deutsche Filiale der Plattenfirma EMI Electrola. Doch es gibt auch eine andere Facette des kulturellen Musiklebens, und die ist nicht minder ausgeprägt: Die Straßenmusik.
Die ersten warmen Sonnenstrahlen drücken sich zwischen den Wolken durch, die Luft wird langsam lauer, der Regen hört auf. Zum ersten Mal in diesem Frühling ist es wieder Zeit für die Freiluft-Musiker, ihre Gitarren auszupacken und sich auf die Straße zu stellen.
Auf dem Wallrafplatz, direkt in der Kölner Innenstadt im Schatten des Doms, rückt Franco Clemens alias Don Franco seinen Gitarrenkoffer zurecht. Hier sollen gleich die Münzen klimpern, die ihm für sein Spontan-Konzert von den Passanten geschenkt werden. Franco schlägt die ersten Saiten an, flugs bildet sich eine Menschentraube.
Straßenmusiker Don Franco: "Herzlich willkommen hier in Klüngels-Town. Ihr habt gesehen, die Straßenmusiker-Saison ist eröffnet. Packt die Millionen schon mal aus! Ich weiß, in Zeiten von Hartz IV habt Ihr alle kein Geld, ist okay. Ich nehme aber auch Schecks, kein Problem."
Die Menschen rundherum freuen sich. Über die eingängigen Rhythmen, über melodische Songs. Füße wippen, Köpfe nicken, Hände klatschen. Der Platz füllt sich mit guter Laune. Wer stehen bleibt, sich Zeit nimmt, scheint die Straßenmusik zu mögen:
Passanten: "Lieb’ ich. Und in Gummersbach, wo wir in der Nähe wohnen, ist überhaupt nichts los. Doch, ich lieb das. Ich ab auch früher immer den Klaus den Geiger gesehen, ganz toll. Hab ich immer meine Mittagspause für überzogen.
Ich denke, hier kommen Leute aus der ganzen Welt her. Weltenbummler, um sich ein bisschen zu verdienen. Aus Amerika, aus England hab ich schon welche gesehen, von überall her. Dann bleibt man halt stehen, wenn es einem gefällt.
Ich finde das wirklich ganz interessant, dass solche Leute da sind. Sie geben uns automatisch ein schönes Gefühl. Ob man gut spielt ... Sie geben eine gute Atmosphäre und ein gutes Flair zu der Stadt. Das ist wirklich schön, einfach schön ... Man bekommt das Gefühl, die Welt ist immer noch in Ordnung.
Wir haben auch vor vielen Jahren die Kelly-Family mal gesehen, da waren die noch nicht berühmt, da haben die in der Passage am Dom gesungen, war bitter kalt im Winter."
Köln gilt als eine der wichtigsten Städte für die Straßenmusik – darin sind sich die Aktivisten selbst und die Verantwortlichen bei der Stadtverwaltung einig. Dass hier spätere Stars wie eben die Kelly Family oder der Comedian Ingolf Lück ihre ersten Auftrittserfahrungen machten, ist nur ein Beispiel für die Professionalität mancher Musiker.
Wenn Don Franco mit schludriger Jeans und lockerer Lederkappe los legt, verbreitet er gute Stimmung. Magic Street Voices nennt sich sein Trio, das nun schon seit zehn Jahren erfolgreich auf der Straße spielt. Obwohl sie gemeinsam auch schon Auftritte auf großen Veranstaltungen hatten und sogar schon eine Reihe von CDs produziert haben, ist dem Straßenmusiker Don Franco der direkte Kontakt zu den Zuhörern immer noch am liebsten:
"Die schönste und ehrlichste Bühne der Welt ist die Straße. Wer keine Lust hat auf unsere Musik, geht weiter. Und die, die Spaß haben, die bleiben stehen."
Doch die Straßenmusik-Szene in Köln ist nicht nur bunt und schön, sie ist auch außergewöhnlich politisch engagiert. Zum Beispiel erreichte Don Franco kürzlich, dass die Kölner Straßenordnung in einem wesentlichen Punkt von der Politik geändert wurde. Der Stadtrat hatte entschieden, dass beispielsweise Obdachlose keine Pfandflaschen mehr aus öffentlichen Abfalleimern angeln dürfen. Viele Menschen in Köln verdienen sich damit aber ein Zubrot, weil sie am Rande des Existenzminimums leben. Den Einsatz für die Bürgerrechte verfolgen Don Franco und seine Kollegen immer wieder, punktuell, in verschiedenen Situationen.
Zum Beispiel bei der jüngsten Kölner Hausbesetzung. Mehrere Dutzend Aktivisten haben eine Siedlung für sich eingenommen, die von der Stadt abgerissen werden soll, obwohl es noch keinen Investor für eine neue Bebauung der attraktiven Fläche in der Innenstadt gibt. Don Franco hat zusammen mit Kollegen von der Straße zum Solidaritätskonzert im besetzten Innenhof aufgerufen:
"Wir müssen weiter dafür sorgen, dass wir als Bürger Einfluss auf die politische Entwicklung da im Rat kriegen, damit die Reichen in der Stadt ganz klar kapieren, dass sie nicht mehr alleine sind und nicht mehr einfach mit uns den Molli machen können."
Zu den Kollegen von der Straße, die aus Solidarität mit den Hausbesetzern politische Protestsongs singen, gehört auch Klaus der Geiger:
"Weil ich es schlimm finde, dass diese wunderbaren Häuser, die noch so toll intakt sind, einfach so mir nichts, dir nichts, abgerissen werden für Oppenheim-Esch oder für welches Arschloch da immer hinter steckt."
Wenn Klaus der Geiger mit seiner breiten Latzhose und seinem Instrument auftaucht, kann sich kaum jemand vorstellen, dass er mal ein ganz artiger Konzertgeiger war, in den bekanntesten Philharmonien der Republik gespielt hat.
Klaus der Geiger, mit bürgerlichem Namen Klaus von Wrochem, gilt als profiliertester Vertreter der Kölner Straßenmusik-Szene. Seine Karriere hat angefangen, als die Kölner Herstatt-Bank Pleite ging. Damals fuhr er spontan zum Sitz des lädierten Unternehmens und mischte sich unter die enttäuschten Sparer, die ihr Geld verloren hatten. Er hofft, dass künftig noch mehr Kollegen auch eine Botschaft mit ihrer Straßenmusik verbinden.
"Ich wünschte, es würde viel mehr politische Straßenmusiker geben, es gibt viel zu wenig. Die meisten machen nur blödes Gedudel da. Aber die sollten sich mal überlegen, dass sie mit den Texten ein bisschen was anstellen. Das wäre schon gut."
Zurück auf die Straße, in die Kölner Innenstadt. Dahin, wo man bei gutem Wetter aus allen Ecken und Winkeln unterschiedliche Instrumente und Stimmen hören kann. Ein buntes, unkontrolliertes Gewusel, so scheint es. Und in der Tat: Die städtischen Behörden geben sich beim Thema Straßenmusik betont liberal.
Und doch, irgendwo muss es Grenzen geben. Denn Straßenmusik ist ein juristisches Mittelding – nicht so richtig erlaubt, aber auch nicht so richtig verboten. Jede Stadt hat ihre eigenen Regeln. Und das ist auch gut so, meint Kontrolleurin Sandra Keller vom Kölner Ordnungsamt:
"Wenn Sie sich vorstellen, Sie sind hier Geschäftsinhaber und haben den ganzen Tag die gleichen vier, fünf Stücke, die Sie da hören, das führt natürlich dann zu Beschwerden."
In Köln darf man höchstens 20 Minuten an einer Stelle spielen, um die Anlieger eben nicht zu verärgern. Danach muss man sich mindestens 200 Meter weit vom bisherigen Spielort entfernen. Die Mitarbeiter des Ordnungsamts sind von früh morgens bis in die späte Nacht immer wieder unterwegs, um zumindest stichprobenartig die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen.
Wieder auf der Fußgängerzone, gleich neben dem Kölner Dom, hat es sich ein Trio südländischer Herren bequem gemacht. Sie spielen traditionelle Lieder, haben sichtbar Vergnügen dabei. Nur in der Hektik des Alltags mag noch niemand so richtig stehen bleiben. Außer Kontrolleurin Sandra Keller. Mit prüfenden Blicken auf ihre Armbanduhr und auf die Musiker zückt sie ihren amtlichen Notizblock:
"Ich schreib mir jetzt auf, wann ich die hier angetroffen habe, das ist jetzt um 13.10 Uhr, haben die also mit ihren Spiel begonnen. Das heißt, 20 Minuten dürfen die da stehen, und danach müssen die dann halt weiter ziehen."
Seit zwölf Jahren macht Sandra Keller nun schon diesen Job. Etliche Kilometer läuft sie mit ihrem Kollegen jeden Tag durch die Kölner Innenstadt, um für Ordnung zu sorgen. Sie kümmert sich um fliegende Händler, um die Sauberkeit auf der Straße, und eben um die Musiker. Zwei junge Mädchen braucht sie bei deren Geigenspiel aber nicht zu unterbrechen:
Schülerin Lara: "Man ist schon sehr aufgeregt davor, aber es ist schon etwas Besonderes, wenn man vor so vielen Leuten spielt und so. Weil man halt die Leute alle nicht kennt."
Die Mädchen sind hier schon bekannt, sie wissen, dass sie nicht zu lange an der gleichen Stelle musizieren dürfen. Nach Jahren auf der Straße kennen die Kontrolleure ihre Kundschaft. Und wenn mal jemand Neues auftaucht, wird er gleich mit den Kölner Regeln vertraut gemacht. Sandra Keller vom Ordnungsamt spricht einen Gitarristen an:
"Schönen guten Tag. Ich komme vom Ordnungsamt! Sie wissen, dass Sie nach 20 Minuten ihren Standort verlegen müssen? – Ja klar! – Alles klar, tschüss! – Tschau! ..."
Nicht immer läuft der Kontakt zwischen Staatsmacht und Straßenkünstlern so einfach ab. Nicht immer sind die Musiker so einsichtig. Als Negativbeispiel fallen den erfahrenen Mitarbeitern der Kölner Stadtverwaltung vor allem die immer wieder gleichen Indio-Gruppen auf, die mit Panflöten und lauten, elektrischen Verstärkern ihre Musik darbieten. Das ist in Köln verboten, trotzdem nehmen sie Ermahnungen kaum zur Kenntnis. Sandra Keller:
"Das scheint so eine Organisation zu sein, da gibt es auch etliche von. Die haben auch mehrere Verstärker, die tauchen auch immer wieder auf. Da scheinen die resistent gegen zu sein."
Doch was tun, wenn sich die Musiker uneinsichtig zeigen? Wenn sie einfach weiter spielen, sobald die Kontrolleure um die Ecke sind? Dann werden Bußgelder fällig! Beim ersten Mal sind es 35 Euro, und dabei klauben die Menschen vom Ordnungsamt nicht etwa mühsam die den Musikern gespendeten Münzen zusammen, zu zahlen ist in großen Scheinen. Wer häufiger erwischt wird, muss immer mehr zahlen. Wer kein Geld hat oder allzu oft gegen die Regeln verstößt, der bekommt auch schon mal die Instrumente und Verstärker abgenommen. Sicherstellung heißt das im Amtsdeutsch.
Weil die meisten Sünder am Wochenende erwischt werden, ist das lange Warten bis zum Montag für die Betroffenen ein hartes Los. Die etablierten Kölner Musiker wären in ihren Textinhalten nicht so politisch, wenn sie nicht auch über diese Schwierigkeiten nachdenken würden. Don Franco zum Beispiel findet die Regeln – prinzipiell - in Ordnung:
"Ja nun, ich bin ja auch kein völlig unreflektierter Irrer, der jetzt – was weiß ich – zwei Stunden vor irgendeinem Geschäft Condo El Pasa am Stück spielt und dann auch noch irritiert sich darüber zeigt, dass man sich darüber beschwert. Und außerdem finde ich, die Zunft der Straßenmusiker bedingt, dass man elektrisch unverstärkt spielt, das tun wir, beziehungsweise reagieren wir selbstverständlich auf adäquate Ansprache von Geschäftsleuten durchaus tolerant sozusagen ... und versuchen dann ein gemeinsames Agree zu finden, aber der Agree heißt nicht 20 Minuten."
30 oder am besten sogar 40 Minuten wären angemessener, meint Don Franco. Und deshalb will er bald auch wieder selbst politisch aktiv werden. Mit einer Unterschriftensammlung in der Szene – sowohl bei etablierten Musikern als auch auf der Straße – will er erreichen, dass diese Form freier Kunst in Köln intensiver diskutiert wird. Mit einer Straßenkulturordnung, so der Musiker, könnte das spontane Engagement verschiedenster Künstler auf eine bessere Basis gestellt werden. Regeln ja, lautet sein Motto, aber auch mehr öffentlichen Raum für die Kunstfreiheit. Denn Straßenmusik lasse sich nicht gänzlich verbieten oder einengen.
In der Kölner Fußgängerzone hat Don Franco mit seiner Gruppe wieder Platz genommen, und bevor es richtig losgeht, dürfen Kinder mal die Instrumente ausprobieren. Leuchtende Augen der kleinen Fans begeistern die Eltern - und auch Musikerin Birgit von den Magic Street Voices, für die das Spielen unter freiem Himmel immer noch etwas Besonderes ist:
"Ich habe schon mit 16 Straßenmusik gemacht, ich komme ja aus der DDR. Und da haben wir … ja, verbotenerweise auch schon Straßenmusik gemacht. In Rostock und in Berlin, wenn wir im Urlaub waren … Und dann sind wir auch schon von der Polizei verfolgt worden. Wir sind Gott sei Dank rechtzeitig gewarnt worden. Weil das war ja dort verboten. Da mussten wir natürlich fliehen, wenn die Polizei kam … durch ein Kaufhaus durch, und dann haben sie uns nicht mehr gekriegt."
Die Wege zur Musik-Darbietung auf der Straße sind so vielfältig wie das Leben. Die einen spielen hier aus purer Not, um ein paar Euro hinzu zu verdienen. Die anderen – auch – weil sie politisch etwas mitzuteilen haben. Uta Titz, die sich mit Künstlernamen Crazy nennt, hat sogar eine Zeit komplett auf der Straße gelebt, Platte gemacht:
"Also, ich fand mich da auch mal ne Zeit lang toll, irgendwie. Die Finger springen dir so auf, wenn du im Winter spielst. Weil wenn die Hände kalt sind, dann springt dir die Haut an den Nägeln so auf, und dann hast du so Blutspritzer auf der Gitarre irgendwann. Das fand ich dann mal eine Zeit lang cool, aber das habe ich nur einen Winter gemacht."
Die Spielfreude mancher Musiker in den Einkaufspassagen kann gut darüber hinwegtäuschen, welche Schicksale hier versammelt sind. Viele haben es zuvor mit Betteln versucht; auch Gitarristin Crazy.
Unter dem Titel "Stella Runaway" hat die heutige Wahl-Kölnerin ihre Erlebnisse in einem Roman verarbeitet. Für sie ist es immer noch ein ungewöhnliches Gefühl, zum Beispiel Lesungen in Buchhandlungen anzubieten. Am liebsten liest sie aus ihrem Werk unter freiem Himmel:
"Hinter dem Bauzaun zog man eine neue Fassade hoch. Eine teure Maßnahme, um ein paar Junkies zu vertreiben, den Straßenmusikern ihre Bühne zu nehmen. Die Panik, mit der die Stadtoberen sich bemühten, die Kontrolle zu behalten, führte immer wieder dazu, dass die Maßnahmen trafen, die die Angst auf allen Seiten nur noch schürten. Alles lief darauf hinaus, dass die Menschen immer weiter voneinander weg sortiert wurden."
Und wenn doch einmal das Glück zuschlägt und ein Straßenmusiker einen Hit landet? Kann – oder will – man dann darauf verzichten, vor wildfremden Menschen auf offener Straße zu spielen? Crazy, die mit den Magic Street Voices schon Platten produziert und auf großen Bühnen spielt, will ihrer musikalischen Heimat jedenfalls stets treu bleiben:
"Ich würde auch, wenn das mit den Bühnen noch ein bisschen mehr in Richtung Karriere geht, versuchen, immer noch Straßenmusik zu machen. Weil, das ist so eine Quelle, aus der man schöpft, irgendwie."
Auf dem Wallrafplatz, direkt in der Kölner Innenstadt im Schatten des Doms, rückt Franco Clemens alias Don Franco seinen Gitarrenkoffer zurecht. Hier sollen gleich die Münzen klimpern, die ihm für sein Spontan-Konzert von den Passanten geschenkt werden. Franco schlägt die ersten Saiten an, flugs bildet sich eine Menschentraube.
Straßenmusiker Don Franco: "Herzlich willkommen hier in Klüngels-Town. Ihr habt gesehen, die Straßenmusiker-Saison ist eröffnet. Packt die Millionen schon mal aus! Ich weiß, in Zeiten von Hartz IV habt Ihr alle kein Geld, ist okay. Ich nehme aber auch Schecks, kein Problem."
Die Menschen rundherum freuen sich. Über die eingängigen Rhythmen, über melodische Songs. Füße wippen, Köpfe nicken, Hände klatschen. Der Platz füllt sich mit guter Laune. Wer stehen bleibt, sich Zeit nimmt, scheint die Straßenmusik zu mögen:
Passanten: "Lieb’ ich. Und in Gummersbach, wo wir in der Nähe wohnen, ist überhaupt nichts los. Doch, ich lieb das. Ich ab auch früher immer den Klaus den Geiger gesehen, ganz toll. Hab ich immer meine Mittagspause für überzogen.
Ich denke, hier kommen Leute aus der ganzen Welt her. Weltenbummler, um sich ein bisschen zu verdienen. Aus Amerika, aus England hab ich schon welche gesehen, von überall her. Dann bleibt man halt stehen, wenn es einem gefällt.
Ich finde das wirklich ganz interessant, dass solche Leute da sind. Sie geben uns automatisch ein schönes Gefühl. Ob man gut spielt ... Sie geben eine gute Atmosphäre und ein gutes Flair zu der Stadt. Das ist wirklich schön, einfach schön ... Man bekommt das Gefühl, die Welt ist immer noch in Ordnung.
Wir haben auch vor vielen Jahren die Kelly-Family mal gesehen, da waren die noch nicht berühmt, da haben die in der Passage am Dom gesungen, war bitter kalt im Winter."
Köln gilt als eine der wichtigsten Städte für die Straßenmusik – darin sind sich die Aktivisten selbst und die Verantwortlichen bei der Stadtverwaltung einig. Dass hier spätere Stars wie eben die Kelly Family oder der Comedian Ingolf Lück ihre ersten Auftrittserfahrungen machten, ist nur ein Beispiel für die Professionalität mancher Musiker.
Wenn Don Franco mit schludriger Jeans und lockerer Lederkappe los legt, verbreitet er gute Stimmung. Magic Street Voices nennt sich sein Trio, das nun schon seit zehn Jahren erfolgreich auf der Straße spielt. Obwohl sie gemeinsam auch schon Auftritte auf großen Veranstaltungen hatten und sogar schon eine Reihe von CDs produziert haben, ist dem Straßenmusiker Don Franco der direkte Kontakt zu den Zuhörern immer noch am liebsten:
"Die schönste und ehrlichste Bühne der Welt ist die Straße. Wer keine Lust hat auf unsere Musik, geht weiter. Und die, die Spaß haben, die bleiben stehen."
Doch die Straßenmusik-Szene in Köln ist nicht nur bunt und schön, sie ist auch außergewöhnlich politisch engagiert. Zum Beispiel erreichte Don Franco kürzlich, dass die Kölner Straßenordnung in einem wesentlichen Punkt von der Politik geändert wurde. Der Stadtrat hatte entschieden, dass beispielsweise Obdachlose keine Pfandflaschen mehr aus öffentlichen Abfalleimern angeln dürfen. Viele Menschen in Köln verdienen sich damit aber ein Zubrot, weil sie am Rande des Existenzminimums leben. Den Einsatz für die Bürgerrechte verfolgen Don Franco und seine Kollegen immer wieder, punktuell, in verschiedenen Situationen.
Zum Beispiel bei der jüngsten Kölner Hausbesetzung. Mehrere Dutzend Aktivisten haben eine Siedlung für sich eingenommen, die von der Stadt abgerissen werden soll, obwohl es noch keinen Investor für eine neue Bebauung der attraktiven Fläche in der Innenstadt gibt. Don Franco hat zusammen mit Kollegen von der Straße zum Solidaritätskonzert im besetzten Innenhof aufgerufen:
"Wir müssen weiter dafür sorgen, dass wir als Bürger Einfluss auf die politische Entwicklung da im Rat kriegen, damit die Reichen in der Stadt ganz klar kapieren, dass sie nicht mehr alleine sind und nicht mehr einfach mit uns den Molli machen können."
Zu den Kollegen von der Straße, die aus Solidarität mit den Hausbesetzern politische Protestsongs singen, gehört auch Klaus der Geiger:
"Weil ich es schlimm finde, dass diese wunderbaren Häuser, die noch so toll intakt sind, einfach so mir nichts, dir nichts, abgerissen werden für Oppenheim-Esch oder für welches Arschloch da immer hinter steckt."
Wenn Klaus der Geiger mit seiner breiten Latzhose und seinem Instrument auftaucht, kann sich kaum jemand vorstellen, dass er mal ein ganz artiger Konzertgeiger war, in den bekanntesten Philharmonien der Republik gespielt hat.
Klaus der Geiger, mit bürgerlichem Namen Klaus von Wrochem, gilt als profiliertester Vertreter der Kölner Straßenmusik-Szene. Seine Karriere hat angefangen, als die Kölner Herstatt-Bank Pleite ging. Damals fuhr er spontan zum Sitz des lädierten Unternehmens und mischte sich unter die enttäuschten Sparer, die ihr Geld verloren hatten. Er hofft, dass künftig noch mehr Kollegen auch eine Botschaft mit ihrer Straßenmusik verbinden.
"Ich wünschte, es würde viel mehr politische Straßenmusiker geben, es gibt viel zu wenig. Die meisten machen nur blödes Gedudel da. Aber die sollten sich mal überlegen, dass sie mit den Texten ein bisschen was anstellen. Das wäre schon gut."
Zurück auf die Straße, in die Kölner Innenstadt. Dahin, wo man bei gutem Wetter aus allen Ecken und Winkeln unterschiedliche Instrumente und Stimmen hören kann. Ein buntes, unkontrolliertes Gewusel, so scheint es. Und in der Tat: Die städtischen Behörden geben sich beim Thema Straßenmusik betont liberal.
Und doch, irgendwo muss es Grenzen geben. Denn Straßenmusik ist ein juristisches Mittelding – nicht so richtig erlaubt, aber auch nicht so richtig verboten. Jede Stadt hat ihre eigenen Regeln. Und das ist auch gut so, meint Kontrolleurin Sandra Keller vom Kölner Ordnungsamt:
"Wenn Sie sich vorstellen, Sie sind hier Geschäftsinhaber und haben den ganzen Tag die gleichen vier, fünf Stücke, die Sie da hören, das führt natürlich dann zu Beschwerden."
In Köln darf man höchstens 20 Minuten an einer Stelle spielen, um die Anlieger eben nicht zu verärgern. Danach muss man sich mindestens 200 Meter weit vom bisherigen Spielort entfernen. Die Mitarbeiter des Ordnungsamts sind von früh morgens bis in die späte Nacht immer wieder unterwegs, um zumindest stichprobenartig die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen.
Wieder auf der Fußgängerzone, gleich neben dem Kölner Dom, hat es sich ein Trio südländischer Herren bequem gemacht. Sie spielen traditionelle Lieder, haben sichtbar Vergnügen dabei. Nur in der Hektik des Alltags mag noch niemand so richtig stehen bleiben. Außer Kontrolleurin Sandra Keller. Mit prüfenden Blicken auf ihre Armbanduhr und auf die Musiker zückt sie ihren amtlichen Notizblock:
"Ich schreib mir jetzt auf, wann ich die hier angetroffen habe, das ist jetzt um 13.10 Uhr, haben die also mit ihren Spiel begonnen. Das heißt, 20 Minuten dürfen die da stehen, und danach müssen die dann halt weiter ziehen."
Seit zwölf Jahren macht Sandra Keller nun schon diesen Job. Etliche Kilometer läuft sie mit ihrem Kollegen jeden Tag durch die Kölner Innenstadt, um für Ordnung zu sorgen. Sie kümmert sich um fliegende Händler, um die Sauberkeit auf der Straße, und eben um die Musiker. Zwei junge Mädchen braucht sie bei deren Geigenspiel aber nicht zu unterbrechen:
Schülerin Lara: "Man ist schon sehr aufgeregt davor, aber es ist schon etwas Besonderes, wenn man vor so vielen Leuten spielt und so. Weil man halt die Leute alle nicht kennt."
Die Mädchen sind hier schon bekannt, sie wissen, dass sie nicht zu lange an der gleichen Stelle musizieren dürfen. Nach Jahren auf der Straße kennen die Kontrolleure ihre Kundschaft. Und wenn mal jemand Neues auftaucht, wird er gleich mit den Kölner Regeln vertraut gemacht. Sandra Keller vom Ordnungsamt spricht einen Gitarristen an:
"Schönen guten Tag. Ich komme vom Ordnungsamt! Sie wissen, dass Sie nach 20 Minuten ihren Standort verlegen müssen? – Ja klar! – Alles klar, tschüss! – Tschau! ..."
Nicht immer läuft der Kontakt zwischen Staatsmacht und Straßenkünstlern so einfach ab. Nicht immer sind die Musiker so einsichtig. Als Negativbeispiel fallen den erfahrenen Mitarbeitern der Kölner Stadtverwaltung vor allem die immer wieder gleichen Indio-Gruppen auf, die mit Panflöten und lauten, elektrischen Verstärkern ihre Musik darbieten. Das ist in Köln verboten, trotzdem nehmen sie Ermahnungen kaum zur Kenntnis. Sandra Keller:
"Das scheint so eine Organisation zu sein, da gibt es auch etliche von. Die haben auch mehrere Verstärker, die tauchen auch immer wieder auf. Da scheinen die resistent gegen zu sein."
Doch was tun, wenn sich die Musiker uneinsichtig zeigen? Wenn sie einfach weiter spielen, sobald die Kontrolleure um die Ecke sind? Dann werden Bußgelder fällig! Beim ersten Mal sind es 35 Euro, und dabei klauben die Menschen vom Ordnungsamt nicht etwa mühsam die den Musikern gespendeten Münzen zusammen, zu zahlen ist in großen Scheinen. Wer häufiger erwischt wird, muss immer mehr zahlen. Wer kein Geld hat oder allzu oft gegen die Regeln verstößt, der bekommt auch schon mal die Instrumente und Verstärker abgenommen. Sicherstellung heißt das im Amtsdeutsch.
Weil die meisten Sünder am Wochenende erwischt werden, ist das lange Warten bis zum Montag für die Betroffenen ein hartes Los. Die etablierten Kölner Musiker wären in ihren Textinhalten nicht so politisch, wenn sie nicht auch über diese Schwierigkeiten nachdenken würden. Don Franco zum Beispiel findet die Regeln – prinzipiell - in Ordnung:
"Ja nun, ich bin ja auch kein völlig unreflektierter Irrer, der jetzt – was weiß ich – zwei Stunden vor irgendeinem Geschäft Condo El Pasa am Stück spielt und dann auch noch irritiert sich darüber zeigt, dass man sich darüber beschwert. Und außerdem finde ich, die Zunft der Straßenmusiker bedingt, dass man elektrisch unverstärkt spielt, das tun wir, beziehungsweise reagieren wir selbstverständlich auf adäquate Ansprache von Geschäftsleuten durchaus tolerant sozusagen ... und versuchen dann ein gemeinsames Agree zu finden, aber der Agree heißt nicht 20 Minuten."
30 oder am besten sogar 40 Minuten wären angemessener, meint Don Franco. Und deshalb will er bald auch wieder selbst politisch aktiv werden. Mit einer Unterschriftensammlung in der Szene – sowohl bei etablierten Musikern als auch auf der Straße – will er erreichen, dass diese Form freier Kunst in Köln intensiver diskutiert wird. Mit einer Straßenkulturordnung, so der Musiker, könnte das spontane Engagement verschiedenster Künstler auf eine bessere Basis gestellt werden. Regeln ja, lautet sein Motto, aber auch mehr öffentlichen Raum für die Kunstfreiheit. Denn Straßenmusik lasse sich nicht gänzlich verbieten oder einengen.
In der Kölner Fußgängerzone hat Don Franco mit seiner Gruppe wieder Platz genommen, und bevor es richtig losgeht, dürfen Kinder mal die Instrumente ausprobieren. Leuchtende Augen der kleinen Fans begeistern die Eltern - und auch Musikerin Birgit von den Magic Street Voices, für die das Spielen unter freiem Himmel immer noch etwas Besonderes ist:
"Ich habe schon mit 16 Straßenmusik gemacht, ich komme ja aus der DDR. Und da haben wir … ja, verbotenerweise auch schon Straßenmusik gemacht. In Rostock und in Berlin, wenn wir im Urlaub waren … Und dann sind wir auch schon von der Polizei verfolgt worden. Wir sind Gott sei Dank rechtzeitig gewarnt worden. Weil das war ja dort verboten. Da mussten wir natürlich fliehen, wenn die Polizei kam … durch ein Kaufhaus durch, und dann haben sie uns nicht mehr gekriegt."
Die Wege zur Musik-Darbietung auf der Straße sind so vielfältig wie das Leben. Die einen spielen hier aus purer Not, um ein paar Euro hinzu zu verdienen. Die anderen – auch – weil sie politisch etwas mitzuteilen haben. Uta Titz, die sich mit Künstlernamen Crazy nennt, hat sogar eine Zeit komplett auf der Straße gelebt, Platte gemacht:
"Also, ich fand mich da auch mal ne Zeit lang toll, irgendwie. Die Finger springen dir so auf, wenn du im Winter spielst. Weil wenn die Hände kalt sind, dann springt dir die Haut an den Nägeln so auf, und dann hast du so Blutspritzer auf der Gitarre irgendwann. Das fand ich dann mal eine Zeit lang cool, aber das habe ich nur einen Winter gemacht."
Die Spielfreude mancher Musiker in den Einkaufspassagen kann gut darüber hinwegtäuschen, welche Schicksale hier versammelt sind. Viele haben es zuvor mit Betteln versucht; auch Gitarristin Crazy.
Unter dem Titel "Stella Runaway" hat die heutige Wahl-Kölnerin ihre Erlebnisse in einem Roman verarbeitet. Für sie ist es immer noch ein ungewöhnliches Gefühl, zum Beispiel Lesungen in Buchhandlungen anzubieten. Am liebsten liest sie aus ihrem Werk unter freiem Himmel:
"Hinter dem Bauzaun zog man eine neue Fassade hoch. Eine teure Maßnahme, um ein paar Junkies zu vertreiben, den Straßenmusikern ihre Bühne zu nehmen. Die Panik, mit der die Stadtoberen sich bemühten, die Kontrolle zu behalten, führte immer wieder dazu, dass die Maßnahmen trafen, die die Angst auf allen Seiten nur noch schürten. Alles lief darauf hinaus, dass die Menschen immer weiter voneinander weg sortiert wurden."
Und wenn doch einmal das Glück zuschlägt und ein Straßenmusiker einen Hit landet? Kann – oder will – man dann darauf verzichten, vor wildfremden Menschen auf offener Straße zu spielen? Crazy, die mit den Magic Street Voices schon Platten produziert und auf großen Bühnen spielt, will ihrer musikalischen Heimat jedenfalls stets treu bleiben:
"Ich würde auch, wenn das mit den Bühnen noch ein bisschen mehr in Richtung Karriere geht, versuchen, immer noch Straßenmusik zu machen. Weil, das ist so eine Quelle, aus der man schöpft, irgendwie."