"Musik statt Chaos"

Wer sich nach 14 Sinfonien und 14 Streichquartetten gleichsam noch einmal neu erfindet – muss der nicht ein besonders mutiger und optimistischer Komponist sein? Tatsächlich war Dmitrij Schostakowitsch zu Beginn der 1970er Jahre, als er seine 15. Sinfonie und sein 15. Streichquartett schrieb, bereits vom Tode gezeichnet.
Nachdem ihn die sowjetische Führung jahrzehntelang gegängelt und ihm vorgeworfen hatte, "Chaos statt Musik" zu verbreiten, machten ihm nun Krankheiten das Leben schwer. Abschiedsstimmung durchzieht die letzte Sinfonie, das letzte Streichquartett, die letzte Sonate Schostakowitschs – Werke, die in vielem anders sind als ihre Vorgänger. Dass diese "Schwanengesänge" aber nicht in Weltschmerz ertrinken, zeigt gerade die 15. Sinfonie: Sie scheint mit abgeklärter Heiterkeit gleichzeitig zurück und nach vorne zu blicken – kein grandioses Schlachtgemälde, sondern privates Bekenntnis. In einer Zeit, in der das Sinfonienschreiben längst aus der Mode gekommen war, zitiert Schostakowitschs A-Dur-Sinfonie in scheinbar naivem Tonfall die Musikgeschichte herbei.

Zu Gast in den "Interpretationen" ist mit Kurt Sanderling einer der berufensten Schostakowitsch-Interpreten. 1941 lernte der Dirigent den Komponisten während der dramatischen Evakuierung Leningrads kennen und wurde zu dessen engem Vertrauten: "In mir hat er so etwas wie einen Bruder im Leben gesehen, für mich war er ein Vater", sagt Sanderling, der sich in Leningrad, Ost-Berlin und zuletzt weltweit für Schostakowitsch eingesetzt hat. Obwohl er den Taktstock vor einiger Zeit beiseite gelegt hat, ringt Sanderling auch im Alter von 95 Jahren noch mit der Frage, wie das rätselhafte Spätwerk seines Idols zu deuten ist.

Zu Gast der Dirigent Kurt Sanderling
Moderation: Olaf Wilhelmer