Musik spielt eine große Rolle

Von Ibtissam Mourè · 23.01.2012
Die Syrer greifen im Kampf gegen ihren Diktator zur Waffe: der des Humors. Dabei spielt auch Musik eine wichtige Rolle: Die Revolutionslieder handeln von Freiheit und Würde, von Korruption und Blutvergießen. Inmitten des Blutvergießens entstand eine Protestkultur, die mit Witz überrascht.
Protestsong: "O Baschar, du Lügner! Zum Teufel mit dir und deinen Ansprachen. Die Freiheit steht vor der Tür. Es ist Zeit für dich zu gehen. Hau ab, Baschar!"

Es ist das Lied der syrischen Revolution - und es stammt von Ibrahim Qashoush. Der 42-jährige Handwerker hatte immer schon gerne gedichtet. Seit Ausbruch des Aufstandes aber schrieb er nur noch Revolutionslieder. Anfang Juli ermordete ihn das Regime. Sein Lied aber singt seither ganz Syrien.

Überhaupt spielt die Musik in Syriens Revolte eine große Rolle. Die Songs handeln von Freiheit und Würde, von Korruption und Blutvergießen - und vor allem von ihm: Baschar al-Assad.

Salim el Ali: "Dass der Name des Präsidenten ausgesprochen wird, ist an sich schon ein Befreiungsschlag. Wer an Redefreiheit gewöhnt ist, kann sich das kaum vorstellen: Aber tatsächlich kam den verängstigten Syrern noch vor einem Jahr weder sein Name noch der seines verstorbenen Vaters über die Lippen. Stattdessen tuschelten sie nur: 'unsere Führer'."

Salim el Ali lehrt an der libanesischen Universität von Beirut Anthropologie. Doch nicht nur Baschar al-Assads Name ist plötzlich allerorten zu hören, man hört auch, wie er lispelt.

Passage aus einer Marionettentheaterreihe:
"Das syrische Volk ist böse. Es will seinen Präsidenten stürzen. Aber ich, Syriens Präsident, werde so lange kämpfen, bis Syrien frei ist - und wieder dem Hause Assad gehört."

Baschar - alias "Bischou" heißt die Hauptfigur in einer Reihe kleiner Marionettenspiele, die die syrische Künstlergruppe "Masasit Mati" seit Mitte November produziert. Mit viel Verve nimmt sie darin den Diktator auf die Schippe. Etwa als der Geburtstag feiern will - gekleidet in einen Strampelanzug. Als "Bischou" hört, dass nur 50 Tote an seinem Ehrentag zu vermelden sind, beginnt er laut zu wimmern. Zu allem Überfluss taucht auch noch der Geist seines verstorbenen Vaters auf. Mit eisiger Stimme fragt der, wann "Bischou" endlich so zur Sache gehen wolle, wie er es einst tat.

Passage aus einer Marionettentheaterreihe:
"Hattest du denn nie Geschichtsunterricht? Weißt du nicht, was ich gemacht habe? Damals, 1982? In Hama? Da habe ich einen Aufstand durch ein simples Generalmassaker erstickt. Und du? Ich muss jetzt aber zum Barbecue in die Hölle zurück. Also tu endlich, was ich dir sage und schlag zu."

Salim el Ali:"Für die Syrer ist das die reinste Geschichtsaufarbeitung. Tabus werden gebrochen, indem die Daten und Orte von Massakern genannt - und die Angstmacher verlacht werden. Die Diktatur wird praktisch weggelacht","

sagt Salim el Ali, der Anthropologe. Die Angst vor Repressionen ist deshalb freilich nicht verschwunden.

Die syrischen Marionettenspieler halten ihre Identität geheim und führen ihre Stücke auch nicht öffentlich auf. Sie filmen sie und stellen das Ganze auf Youtube ein. Dort finden sie viele Zuschauer - und stecken andere kreative Syrer an. Auch die verspotten den Diktator - aber nicht nur ihn. Da man offensichtlich nicht vorhat, wieder in Ehrfurcht vor Personen zu erstarren, wendet man sich auch der Opposition zu.

Sketch der Gruppe "Hurriyeh wa Bas":

Sprecher 1: "O, du gehörst zur Opposition? Und du fährst zu einem der Treffen der Opposition ins Ausland?"

Sprecher 2: "Yupp. Yupp, yupp!"

Sprecher 1: "Und was wollt ihr dort besprechen?"

Sprecher 2: "Also, öh. Keine Ahnung."


Der Sketch stammt von der Künstlergruppe "Hurriya wa Bas" - zu Deutsch: "Freiheit und sonst nichts". Auch diese Gruppe verbreitet ihre Arbeit nur über Youtube. Soviel aber ist über ihre Identität bekannt: Es sind keine etablierten Künstler. El Ali findet auch das bemerkenswert.

Salim el Ali: ""Die traditionelle Kunstelite führt diese neue Protestkultur nicht an. Geschweige denn, dass sie sie ausgelöst hätte. Im Gegenteil, vielfach schweigt sie sogar laut. Es sind vor allem unbekannte, teilweise künstlerisch völlig unbedarfte Menschen, die sich plötzlich rühren. Syriens Jugend kann stolz auf sich sein. Nach jahrzehntelanger Lähmung erwacht sie plötzlich politisch wie künstlerisch zum Leben - ganz aus eigenem Antrieb."
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