Musik ohne Kompromisse
Alexander Liebreich wusste schon früh, was er in seinem Leben tun will, nämlich Musik machen. Da war er neun Jahre alt und hatte gerade seine erste Beethoven-Sonate auf dem Klavier gespielt. Heute ist er 42 und Chefdirigent des Münchner Kammerorchesters.
"Früher hatte ich vor der allerersten Orchesterprobe einen Monat lang versucht, mich darauf zu konzentrieren. Mittlerweile ist die Zeit gar nicht mehr da. Natürlich muss man sich genauso konzentrieren und einstellen, aber man muss versuchen, es schneller zu schaffen."
Einen wunderschönen guten Abend allerseits. Es ist 19 Uhr. In 30 Minuten beginnt unsere Vorstellung. 30 Minuten bis zum Vorstellungsbeginn.
Die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher scheppert in regelmäßigen Abständen durchs Dirigentenzimmer des Prinzregententheaters in München. Hier wartet Alexander Liebreich, bis er in den Orchestergraben muss. Gleich wird er "Figaros Hochzeit" von Mozart dirigieren.
"Ich versuch, für mich eigentlich Energie zu finden. Also das Stück ganz durchzugehen, das wäre nicht möglich, dazu bräuchte ich dreieinhalb Stunden. Aber ich gehe davon aus, dass ich das Stück noch ganz gut kenne."
Alexander Liebreich blinzelt, lächelt sein Understatement-Lächeln. In den letzten Wochen haben sie intensiv geprobt.
"Es hängt doch ab von einem gewissen Puls, der bei Mozart da ist. Also ist das Tempo eine ganz entscheidende Frage, weshalb ich das, wenn es einmal steht im ersten Takt, nicht mehr korrigieren kann. Ich gehe das am Tag vorher schon mal ein bisschen durch, dass ich seh, wie ist die Abfolge der Nummern."
In der Stunde vor seinem Auftritt sitzt Alexander Liebreich entspannt an einem runden Tisch und pickt Salat mit Thunfisch in den Mund. Normalerweise verliert er zwei Kilogramm seines Körpergewichts bei einem Auftritt, deshalb muss er unbedingt vorher etwas gegessen haben. Sein Dirigentenoutfit hat er schon angezogen: keinen Frack, aber zur schwarzen Hose ein schwarzes Hemd; schlicht, modern. So könnte er auch auf eine Vernissage gehen.
Anders als viele Dirigenten stammt Alexander Liebreich nicht aus einer Musikerfamilie. Seine Mutter ist Hausfrau, sein Vater Beamter in der Landesbesoldungsstelle eines bayerischen Bezirks. Die Eltern sind skeptisch, als der Sohn am Klavier seine ersten Beethovensonaten spielt. Man kann doch nicht vier Stunden lang am Stück Klavierspielen!, sagen sie. Neun Jahre ist er alt.
"Da hat sich plötzlich eine Welt aufgetan. Ich weiß nicht, es war ganz konkret ein Schlüsselerlebnis die Beethoven-Sonaten, mit denen irgendwie einfach den Tag zu verbringen."
Er will nicht nur Klavier spielen, sondern auch Geige, aber das ist den Eltern zu viel. Also singt er, im Chor und im Theater. Später studiert er erst Gesang an der Musikhochschule in München, dann dirigieren.
"Als Sänger hatte ich immer mich mit der Widrigkeit auseinanderzusetzen, ein Teil des Ganzen zu sein. Als Dirigent hat man die Möglichkeit, Teile zusammen zu setzen."
Alexander Liebreich sieht gut aus mit seinem kantigen Gesicht und den großen, blauen Augen. Er ist ehrgeizig – und eigenwillig. Als er Anfang 30 ist, lädt ihn das berühmte Concertgebouw Orchester in Amsterdam ein. Er soll eine Sinfonie von Brahms dirigieren, aber Alexander Liebreich will, dass sie so klingt, wie er es sich vorstellt, nicht, wie das stolze, traditionsreiche Orchester sie spielt. Der junge Dirigent bricht die Probe ab; es kommt zu einem kleinen Skandal.
"Und dann kam es zu einem Gespräch, wo das Management sagte: Herr Liebreich, wir geben Ihnen hier eine Chance, mit dem Concertgebouw Orchester zu arbeiten! Dann sagte ich: Sehen Sie, das ist der Unterschied. Sie haben eine große Tradition, und ich bin jemand, der jung und überzeugt ist. Und da müssen wir uns treffen. Aber wir geben uns doch nicht gegenseitig Chancen!"
Er will ernst genommen werden. Es spricht sich herum. Der junge Dirigent hat sich durchgesetzt. Das Orchester spielt den Brahms, als würde es um jede Note kämpfen müssen, so wie es Liebreich will.
Besonders diplomatisch war das damals nicht von ihm, räumt er heute ein; eher despotisch. Aber von Kompromissen in der Musik hält er heute immer noch nichts.
"Wenn ich etwas ganz überzeugt will, dann ist das sozusagen ein Diktat des Bauches. Aber es einfach nur zu wollen, weil man sich es vornimmt, zu müssen, das funktioniert nicht. Vielleicht gehorchen einem die Leute, aber musikalisch funktioniert es nicht."
Inzwischen hat Alexander Liebreich mit vielen großen Orchestern zusammengearbeitet, einmal sprang er sogar für den berühmt-berüchtigten Kollegen Riccardo Muti ein, und die Kritiker waren hingerissen. Er dirigierte mehrmals junge Musiker in Nordkorea, macht innovative Programme mit seinem Kammerorchester, er
dirigiert Opern, aber, betont er, am liebsten die großen Orchester, Symphonieorchester.
Alexander Liebreich hat eine junge Familie in München und ist erfolgreich; und eigentlich könnte es genauso weitergehen. Aber er überprüft sich ständig. Jetzt sieht es so aus, als wolle er sich neu sortieren.
"Einfach versuchen, sich mehr zu konzentrieren, denn es gibt so viel Tagesgeschäft, in dem man sich verplant. Ich bin eben nicht mehr ganz jung, am Anfang, ein Student, sondern es gibt eine Zeit, die ich zurückgelegt hab, und ich möchte jetzt einfach sehen, das ist wichtig und das ist wichtig."
Konkret ist jetzt der Mozart wichtig. Alexander Liebreich sagt es nicht, aber steht auf; ein wenig Konzentration braucht er noch, bevor er raus muss, raus in den Orchestergraben.
Einen wunderschönen guten Abend allerseits. Es ist 19 Uhr. In 30 Minuten beginnt unsere Vorstellung. 30 Minuten bis zum Vorstellungsbeginn.
Die freundliche Stimme aus dem Lautsprecher scheppert in regelmäßigen Abständen durchs Dirigentenzimmer des Prinzregententheaters in München. Hier wartet Alexander Liebreich, bis er in den Orchestergraben muss. Gleich wird er "Figaros Hochzeit" von Mozart dirigieren.
"Ich versuch, für mich eigentlich Energie zu finden. Also das Stück ganz durchzugehen, das wäre nicht möglich, dazu bräuchte ich dreieinhalb Stunden. Aber ich gehe davon aus, dass ich das Stück noch ganz gut kenne."
Alexander Liebreich blinzelt, lächelt sein Understatement-Lächeln. In den letzten Wochen haben sie intensiv geprobt.
"Es hängt doch ab von einem gewissen Puls, der bei Mozart da ist. Also ist das Tempo eine ganz entscheidende Frage, weshalb ich das, wenn es einmal steht im ersten Takt, nicht mehr korrigieren kann. Ich gehe das am Tag vorher schon mal ein bisschen durch, dass ich seh, wie ist die Abfolge der Nummern."
In der Stunde vor seinem Auftritt sitzt Alexander Liebreich entspannt an einem runden Tisch und pickt Salat mit Thunfisch in den Mund. Normalerweise verliert er zwei Kilogramm seines Körpergewichts bei einem Auftritt, deshalb muss er unbedingt vorher etwas gegessen haben. Sein Dirigentenoutfit hat er schon angezogen: keinen Frack, aber zur schwarzen Hose ein schwarzes Hemd; schlicht, modern. So könnte er auch auf eine Vernissage gehen.
Anders als viele Dirigenten stammt Alexander Liebreich nicht aus einer Musikerfamilie. Seine Mutter ist Hausfrau, sein Vater Beamter in der Landesbesoldungsstelle eines bayerischen Bezirks. Die Eltern sind skeptisch, als der Sohn am Klavier seine ersten Beethovensonaten spielt. Man kann doch nicht vier Stunden lang am Stück Klavierspielen!, sagen sie. Neun Jahre ist er alt.
"Da hat sich plötzlich eine Welt aufgetan. Ich weiß nicht, es war ganz konkret ein Schlüsselerlebnis die Beethoven-Sonaten, mit denen irgendwie einfach den Tag zu verbringen."
Er will nicht nur Klavier spielen, sondern auch Geige, aber das ist den Eltern zu viel. Also singt er, im Chor und im Theater. Später studiert er erst Gesang an der Musikhochschule in München, dann dirigieren.
"Als Sänger hatte ich immer mich mit der Widrigkeit auseinanderzusetzen, ein Teil des Ganzen zu sein. Als Dirigent hat man die Möglichkeit, Teile zusammen zu setzen."
Alexander Liebreich sieht gut aus mit seinem kantigen Gesicht und den großen, blauen Augen. Er ist ehrgeizig – und eigenwillig. Als er Anfang 30 ist, lädt ihn das berühmte Concertgebouw Orchester in Amsterdam ein. Er soll eine Sinfonie von Brahms dirigieren, aber Alexander Liebreich will, dass sie so klingt, wie er es sich vorstellt, nicht, wie das stolze, traditionsreiche Orchester sie spielt. Der junge Dirigent bricht die Probe ab; es kommt zu einem kleinen Skandal.
"Und dann kam es zu einem Gespräch, wo das Management sagte: Herr Liebreich, wir geben Ihnen hier eine Chance, mit dem Concertgebouw Orchester zu arbeiten! Dann sagte ich: Sehen Sie, das ist der Unterschied. Sie haben eine große Tradition, und ich bin jemand, der jung und überzeugt ist. Und da müssen wir uns treffen. Aber wir geben uns doch nicht gegenseitig Chancen!"
Er will ernst genommen werden. Es spricht sich herum. Der junge Dirigent hat sich durchgesetzt. Das Orchester spielt den Brahms, als würde es um jede Note kämpfen müssen, so wie es Liebreich will.
Besonders diplomatisch war das damals nicht von ihm, räumt er heute ein; eher despotisch. Aber von Kompromissen in der Musik hält er heute immer noch nichts.
"Wenn ich etwas ganz überzeugt will, dann ist das sozusagen ein Diktat des Bauches. Aber es einfach nur zu wollen, weil man sich es vornimmt, zu müssen, das funktioniert nicht. Vielleicht gehorchen einem die Leute, aber musikalisch funktioniert es nicht."
Inzwischen hat Alexander Liebreich mit vielen großen Orchestern zusammengearbeitet, einmal sprang er sogar für den berühmt-berüchtigten Kollegen Riccardo Muti ein, und die Kritiker waren hingerissen. Er dirigierte mehrmals junge Musiker in Nordkorea, macht innovative Programme mit seinem Kammerorchester, er
dirigiert Opern, aber, betont er, am liebsten die großen Orchester, Symphonieorchester.
Alexander Liebreich hat eine junge Familie in München und ist erfolgreich; und eigentlich könnte es genauso weitergehen. Aber er überprüft sich ständig. Jetzt sieht es so aus, als wolle er sich neu sortieren.
"Einfach versuchen, sich mehr zu konzentrieren, denn es gibt so viel Tagesgeschäft, in dem man sich verplant. Ich bin eben nicht mehr ganz jung, am Anfang, ein Student, sondern es gibt eine Zeit, die ich zurückgelegt hab, und ich möchte jetzt einfach sehen, das ist wichtig und das ist wichtig."
Konkret ist jetzt der Mozart wichtig. Alexander Liebreich sagt es nicht, aber steht auf; ein wenig Konzentration braucht er noch, bevor er raus muss, raus in den Orchestergraben.