Musizieren im hohen Lebensalter

    Goldene Hochzeit mit der Flöte

    Ein älterer Mann in einem Sessel hält eine Flöte, auf die er seine Finger mit auffälligen Ringen platziert hat.
    © Unsplash / SHVETS production
    Von Eva Blaskewitz · 01.03.2024
    Pablo Casals griff mit über 90 regelmäßig zum Cello, Menahem Pressler startete seine Solo-Karriere mit 85. Auch viele Amateure spielen als Hochbetagte noch engagiert. Musik hält geistig und körperlich fit, was die Musikgeragogik und Musikermedizin bestätigt.
    Viele Dirigenten scheinen im hohen Alter in Höchstform zu sein: Günter Wand, Georges Prêtre, Zubin Mehta, Herbert Blomstedt sind nur einige Beispiele für Pult-Stars weit jenseits des üblichen Rentenalters. Pablo Casals griff noch mit über 90 regelmäßig zum Cello, Menahem Pressler startete seine Solo-Karriere mit 85. Auch viele Amateure lassen sich vom Alter nicht abschrecken und spielen engagiert im Orchester oder singen in Chören.
    Gewiss, die Finger wollen irgendwann nicht mehr so recht, auch das Gehör lässt nach - aber kann die Lebenserfahrung das womöglich ausgleichen? Bringt das Alter eine eigene Qualität im Musizieren mit sich?

    Spezielle Angebote

    Das Programm der „Musikakademie für Seniorinnen und Senioren Baden-Württemberg“ zum Beispiel ist breit gefächert: Seminare zur Musikgeschichte und Musiktheorie, Exkursionen zu Klavierbauern oder Museen, Orgelfahrten, Führungen in der Oper, vor allem aber vielfältige Möglichkeiten zum eigenen Musizieren: Kammermusikkurse, Jam-Sessions, die Jazzband „MuSe-Jazzer“. Und das Orchester, es probt einmal im Monat, die Musikerinnen und Musiker reisen aus der ganzen Region an.

    Treue Begleiterin

    Von Anfang an war Elisabeth Klemm dabei. Die 89-jährige Buchhändlerin im Ruhestand und Flötistin ist davon überzeugt, dass ihr Instrument eine wichtige Lebensbegleiterin ist.

    Ich habe mit 23 angefangen, die Flöte zu spielen und habe im Durchschnitt fünfmal in der Woche eine Stunde Flöte geübt seither. Und ich bin ganz überzeugt davon, dass auch das mich so jung erhält. Das hat mit dem Atmen zu tun, ich mache jeden Tag spezielles Atmen durch die Flöte.

    Ein Fest für und mit der Flöte

    Elisabeth Klemms Flöte hat einen festen Platz in ihrem Leben. Das tägliche Üben. Der Unterricht – bis heute nimmt sie einmal im Monat eine Stunde. Ein paar Jahre lang hat sie in einem Orchester in Heidenheim gespielt und nun im Orchester für Seniorinnen und Senioren.
    Sie hat sogar ihre Goldene Hochzeit mit der Flöte gefeiert, auf den Tag genau 50 Jahre nach ihrer ersten Flötenstunde, am 13. Dezember 2007, wie sie lachend erzählt. "Da habe ich meinen ersten Flötenlehrer mit seiner Frau eingeladen, meine aktuelle Flötenlehrerin mit ihrem Mann und meine damalige Klavierspielerin. Und dann haben wir ein schönes Konzert gemacht. Danach haben wir wunderbar zu Abend gespeist – und das war meine Goldene Hochzeit."

    Lücke im gesellschaftlichen Angebot

    Die Generation der Älteren wird immer größer. Hans Hermann Wickel, einer der Begründer der Musikgeragogik entwickelt analog zur Musikpädagogik wissenschaftlich untermauerte Konzepte, um alten Menschen ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Musizieren zu ermöglichen.

    Es gibt immer mehr Ältere, auch jenseits der Ruhestandsgrenze, die in die Musikschule gehen und dort Unterricht nehmen, Instrumentalunterricht , Gesangsunterricht und sich Ensembles oder Chören anschließen.

    So ermuntert er Musikschulen, den Blick über die Kinder- und Jugendförderung hinaus auf Angebote für Ältere. zu erweitern und für die Generation anzupassen.

    Neue Studienangebote

    Vor 20 Jahren hat Hans Hermann Wickel, emeritierter Professor für Musikpädagogik, an der Fachhochschule Münster einen Weiterbildungskurs für Musikgeragogik ins Leben gerufen. Seither sind viele zertifizierte Lehrgänge außerhalb des Hochschulbereichs hinzugekommen.
    Die Kurse vermitteln Grundlagen der Gerontologie. Methoden der musikalischen Arbeit mit alten Menschen. Wissen über Singen im Alter und Instrumentalspiel. Oder das, was Hans Hermann Wickel „Biographieorientierung“ nennt. Eingehen auf die Interessen und Vorlieben, die der Mensch im Laufe seines Lebens entwickelt hat. Zudem biete das gemeinsame Singen und Musizieren auch eine enorme soziale Kraft, die lebensverlängernd, lebensbejahend und lebensfördernd ist.
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