"Musik ist die Seele des Films"

Von Carolin Pirich · 13.10.2006
Sein Lebenswerk schien eigentlich schon vor 13 Jahren vollendet zu sein. In der Filmwelt glaubte niemand mehr an eine Rückkehr des Komponisten, der zu fast allen Filmen von Rainer Werner Fassbinder die Musik schrieb. Peer Raben hatte einen schweren Schlaganfall erlitten. Langsam lernte er wieder zu sprechen und zu gehen. Jetzt ist er wieder mitten drin – und schreibt Filmmusik.
"Als bekannt wurde, dass ich einen Schlaganfall hatte, ging ... durch die Szene, Peer Raben ist tot. ... Ich hab oft dann sagen müssen, nein, nein, ich bin nicht tot. Ha, das ist eigentlich ganz lustig, wenn man das von sich selbst sagen kann."

Peer Raben sitzt in einem roten Ledersessel, in seinem Wohnzimmer im kleinen niederbayerischen Ort Markt Schwarzach und streicht sich mit seiner großen rechten Hand über die Haare. Den linken unbeweglichen Arm hat er auf seinen Bauch gedrückt. Am Sessel lehnt sein Gehstock.

Der Schlaganfall vor 13 Jahren hat zwar den Körper schwer getroffen, nicht aber den Geist. Sein Gesicht ist fein und klar, die Augenbrauen heben und senken sich, begleiten jedes Wort, das er spricht.

"Musik, sage ich oft, ist die Seele des Films. ... Dem Film echtes Leben zu geben. ... Ja, das ist immer noch meine Antriebskraft."

Peer Rabens Leben für die Musik begann, als er 1967 auf den jungen Schauspieler Rainer Werner Fassbinder trifft. Peer Raben ist damals Regisseur am Action-Theater in München, das mit skandalösen Inszenierungen die Theaterwelt provoziert.

Fassbinder wird Mitglied in der Theatergruppe. Ein Jahr später dreht Fassbinder seinen ersten Film: Liebe ist kälter als der Tod.

Er arbeitet schnell, enthusiastisch. Am Ende fehlt die Musik. Und das Geld, einen Komponisten zu bezahlen.

"Fassbinder war bei solchen Fragen immer ganz schnell mit praktischen Antworten. Da ich dabei war bei dieser Runde, sagt er ganz einfach zu mir: Du machst die Musik. Du hast doch Musik studiert. Da kannst doch wohl auch Filmmusik machen."

Aus einer Notsituation heraus schreibt Peer Raben seine erste Filmmusik, eine durchsichtige und spärlich eingesetzte Musik, ein Streichquartett zum Gangsterfilm.

Peer Raben, geboren 1940 in Viechtafell in Niederbayern, kommt aus einer alten Bauerfamilie. Von den sieben Kindern darf er als einziger das Gymnasium besuchen.

Nach der Schule kniet der Junge Stunden lang vor dem Radio und hört sich Übertragungen der Festspiele aus Salzburg und Bayreuth an. Den Brüdern gefällt das gar nicht.

"Die sagen immer: ausmachen, dieses Geschrei, hatten sie auch Recht, ... es ist wirklich ganz furchtbares Geschrei ... was Wagner da geschrieben hat."

Peer Raben geht Anfang der 60er Jahre nach München, studiert Musik- und Theaterwissenschaften. Nach dem Studium wird er zunächst Schauspieler in Wuppertal. Damals heißt er noch Wilhelm Rabenbauer. Aber dieser Name ist für die Theaterplakate zu lang, zu auffällig für einen Anfänger. Er muss einen kürzeren finden...

"Den Bauer muss ich streichen. Ich bin kein Bauer mehr. So habe ich von Rabenbauer, meinem Geburtsnamen, Bauer einfach weggelassen. Da blieb Raben übrig."

Aus dem Vornamen Wilhelm macht er später in München Peer – nach Peer Gynt, einer Lieblingsrolle, die er selbst aber nie gespielt hat.

"Peer Raben, hat doch schönen Rhythmus."

Sein Leben widmet er ganz der Kunst. Die Schauspieler waren seine Familie. Und der Regisseur Rainer Werner Fassbinder sein engster Freund.

"Ich ... fand immer das schönste, für einen Fassbinderfilm die Musik zu machen.... Fassbinder hat oft gesagt, ich bin immer wieder gespannt, was deine Musik mit meinem Film anstellt."

Wenn Fassbinder den Film schneidet, sitzt Raben oft im Nebenraum, komponiert die Musik oder steht mit Musikern im Studio. Manchmal schläft er über den Noten ein. Ruhepausen gibt es keine.

Rainer Werner Fassbinder stirbt am 10. Juli 1982: Zu viele Tabletten, zu viel Arbeit. Wenn Peer Raben davon erzählt, verlieren seine hellblauen Augen kurz ihren Glanz. Seine große rechte Hand bohrt mit dem Zeigefinger Löcher in die Luft.

"... Nach Fassbinders Tod war ja das ganze deutsche Filmfeld plötzlich wie ausgetrocknet. Ehe sich da so langsam nach und nach neue Regisseure heraus kristallisierten, die den Mut hatten, nach dem großen Stern Fassbinder auch wieder selbst etwas zu machen."

Nach Fassbinders Tod findet Raben keinen Partner, mit dem er so intensiv zusammen arbeiten kann. Er schreibt nun vor allem Chansons und Bühnenmusik.

1993 Der Schlaganfall. Tribut für ein ruheloses Leben. Aber er hat Glück. Der Schlaganfall trifft sein Bewegungs- und Sprachzentrum, aber nicht den Bereich in seinem Gehirn, den die Forscher "Musikzentrum" nennen.

Obwohl er sich kaum bewegen kann, denkt er gar nicht daran, aufzuhören. Bald beginnt er wieder zu komponieren. Sein Pfleger Frank Fellermeier zieht mit Raben von München weg aufs Land.

"Der hat schließlich sich entschlossen, einen großen Teil seines jungen Lebens so an mich zu ketten, ... mit mir zusammen in einem Haus zu leben und mir zu helfen."

Fellermeier wird auch zu seinem Berater. Er ist es auch, der die Idee hat, 2005 die "Werkstatt Raben" zu gründen. Immer wieder hatten junge Filmkomponisten gefragt, ob Peer Raben sie unterrichten würde. Peer Raben glaubt, dass sich in gemeinsamen Projekten am meisten lernen lässt.

Heute arbeitet Peer Raben in der Münchner "Werkstatt" fest mit zwei jungen Komponisten zusammen. Sie produzieren Filmmusik, Musik für Werbung oder Hör-Romane – und sie geben Workshops. Sein praktisches Wissen über Filmmusik, dass er sich 40 Jahre lang erarbeitet hat, kann er so nun endlich weitergeben.
Rainer Werner Fassbinder bei Dreharbeiten 1980 in München
Rainer Werner Fassbinder bei Dreharbeiten 1980 in München© AP Archiv