Musik-Idol des 17. Jahrhunderts
20 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung ist die Buxtehude-Biographie der amerikanischen Musikforscherin Kerala Snyder nun in deutscher Übersetzung erschienen. Mit zahlreichen neuen Erkenntnissen und Quellenfunden tritt die Bedeutung Dieterich Buxtehudes als Zentralgestalt der Musik des 17. Jahrhunderts stärker als bisher hervor.
Die Türme von St. Marien waren das weithin sichtbare Symbol des Reichtums, der Größe und eines selbstbewussten Glaubens, der freilich auch Ausgrenzung bedeutete. Mitte des 17. Jahrhunderts hatte die einst blühende Hansestadt Lübeck ihre führende Stellung im Ostseeraum verloren.
"Und der Hauptgrund hierfür", schrieb ein englischer Besucher, "waren Unüberlegtheit und Übereifer der lutherischen Geistlichkeit, die den Magistrat überredete, alle Katholiken, Reformierten, Juden und alle religiösen Abweichler auszuweisen, auch sogar die englische Handelsgesellschaft, die alle die Stadt verließen und in Hamburg ansässig wurden, zum größten Vorteil dieser Stadt und zum fast völligen Ruin Lübecks." Auf den zwanzigjährigen Johann Sebastian Bach jedoch wirkte die Anziehungskraft immer noch so stark, "dass er, und zwar zu Fusse, eine Reise nach Lübeck antrat, um den dasigen berühmten Organisten an der Marienkirche, Diedrich Buxtehuden, zu behorchen."
Wer war dieses – am bevorstehenden 9. Mai vor 300 Jahren gestorbene - Idol des jungen Bach, das von der deutschen Musikgeschichtsschreibung, wohl auch seiner dänischen Herkunft wegen, lange nur als Übergangsphänomen oder in seiner Vorläuferfunktion gewürdigt wurde? Erst die amerikanische Musikforscherin Kerala Johnson Snyder hat Buxtehude wieder ins Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt, aber auch ihre in jahrzehntelanger Arbeit entstandene Monographie zu Leben und Werk, die jetzt in einer in jeder Hinsicht vorbildlichen deutschen Übersetzung vorliegt, beantwortet nicht alle Fragen. Die durch zahlreiche Quellenverluste entstandenen Lücken sind einfach zu groß. Zwar wurden in jüngster Zeit einige neue Funde registriert, aber auch dieser Wissenszuwachs wirft natürlich wieder Fragen auf.
Um so bemerkenswerter ist, dass es der Autorin gelungen ist, ein alles andere als papierenes Bild von Buxtehudes Lebensumständen und seiner Persönlichkeit zu zeichnen. Es ist das Bild eines Pioniers, bei dem Kerala Snyder als Amerikanerin vielleicht besonders prädestiniert erscheint, seine nicht nur musikalischen Verdienste um die so genannten Abendmusiken und ihre weit reichende Wirkung zu erkennen: "Die historische Bedeutung von Buxtehudes Leitung der Lübecker Abendmusiken besteht nicht nur in der Schaffung einer neuen musikalischen Gattung, sondern auch in der Aktivierung der Geschäftswelt, die Darbietung von Konzerten finanziell zu unterstützen ... Wenn ein Unternehmen die Rundfunk- oder Fernsehübertragung einer Oper unterstützt, hat es unwissentlich an der Tradition der Lübecker Abendmusiken teil."
Ton Koopman sagt: "Als sich Ende des 19. Jahrhunderts Philipp Spitta um Bach bemühte, hat er auch die Musik von Buxtehude ausgegraben. Weil er aber versuchte, Bach mehr und mehr in den Mittelpunkt zu rücken, wurde Buxtehude mehr und mehr zum Kleinmeister degradiert. Schütz dagegen war weit genug von Bach entfernt. Schließlich galt Buxtehude als kleiner Mann zwischen zwei Riesen."
Philipp Spitta: "Wo Buxtehude sich mit würdevoller Heiterkeit dem Hörer entgegenneigt, wendet Bach in heiligem Ernste das Antlitz nach oben."
Rezensiert von Johannes Jansen
Kerala J. Snyder:
Dieterich Buxtehude. Leben. Werk. Aufführungspraxis.
Dt. Übersetzung v. Hans-Joachim Schulze. Kassel etc.: Bärenreiter 2007, 581 Seiten, Werkverzeichnis u. Register, 48,95 EUR
"Und der Hauptgrund hierfür", schrieb ein englischer Besucher, "waren Unüberlegtheit und Übereifer der lutherischen Geistlichkeit, die den Magistrat überredete, alle Katholiken, Reformierten, Juden und alle religiösen Abweichler auszuweisen, auch sogar die englische Handelsgesellschaft, die alle die Stadt verließen und in Hamburg ansässig wurden, zum größten Vorteil dieser Stadt und zum fast völligen Ruin Lübecks." Auf den zwanzigjährigen Johann Sebastian Bach jedoch wirkte die Anziehungskraft immer noch so stark, "dass er, und zwar zu Fusse, eine Reise nach Lübeck antrat, um den dasigen berühmten Organisten an der Marienkirche, Diedrich Buxtehuden, zu behorchen."
Wer war dieses – am bevorstehenden 9. Mai vor 300 Jahren gestorbene - Idol des jungen Bach, das von der deutschen Musikgeschichtsschreibung, wohl auch seiner dänischen Herkunft wegen, lange nur als Übergangsphänomen oder in seiner Vorläuferfunktion gewürdigt wurde? Erst die amerikanische Musikforscherin Kerala Johnson Snyder hat Buxtehude wieder ins Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt, aber auch ihre in jahrzehntelanger Arbeit entstandene Monographie zu Leben und Werk, die jetzt in einer in jeder Hinsicht vorbildlichen deutschen Übersetzung vorliegt, beantwortet nicht alle Fragen. Die durch zahlreiche Quellenverluste entstandenen Lücken sind einfach zu groß. Zwar wurden in jüngster Zeit einige neue Funde registriert, aber auch dieser Wissenszuwachs wirft natürlich wieder Fragen auf.
Um so bemerkenswerter ist, dass es der Autorin gelungen ist, ein alles andere als papierenes Bild von Buxtehudes Lebensumständen und seiner Persönlichkeit zu zeichnen. Es ist das Bild eines Pioniers, bei dem Kerala Snyder als Amerikanerin vielleicht besonders prädestiniert erscheint, seine nicht nur musikalischen Verdienste um die so genannten Abendmusiken und ihre weit reichende Wirkung zu erkennen: "Die historische Bedeutung von Buxtehudes Leitung der Lübecker Abendmusiken besteht nicht nur in der Schaffung einer neuen musikalischen Gattung, sondern auch in der Aktivierung der Geschäftswelt, die Darbietung von Konzerten finanziell zu unterstützen ... Wenn ein Unternehmen die Rundfunk- oder Fernsehübertragung einer Oper unterstützt, hat es unwissentlich an der Tradition der Lübecker Abendmusiken teil."
Ton Koopman sagt: "Als sich Ende des 19. Jahrhunderts Philipp Spitta um Bach bemühte, hat er auch die Musik von Buxtehude ausgegraben. Weil er aber versuchte, Bach mehr und mehr in den Mittelpunkt zu rücken, wurde Buxtehude mehr und mehr zum Kleinmeister degradiert. Schütz dagegen war weit genug von Bach entfernt. Schließlich galt Buxtehude als kleiner Mann zwischen zwei Riesen."
Philipp Spitta: "Wo Buxtehude sich mit würdevoller Heiterkeit dem Hörer entgegenneigt, wendet Bach in heiligem Ernste das Antlitz nach oben."
Rezensiert von Johannes Jansen
Kerala J. Snyder:
Dieterich Buxtehude. Leben. Werk. Aufführungspraxis.
Dt. Übersetzung v. Hans-Joachim Schulze. Kassel etc.: Bärenreiter 2007, 581 Seiten, Werkverzeichnis u. Register, 48,95 EUR