Musik für den "Tatort"

Von Sarah Tschernigow · 30.11.2010
Seit 40 Jahren sorgt der "Tatort" für Spannung in deutschen Wohnzimmern. Doch ohne die passende Musik wäre die Spurensuche nur halb so aufregend. Jörg Lemberg arbeitet als Komponist für die Krimireihe.
"Dieser erste Auftrag, das war auch mein erster Auftrag fürs Fernsehen, war wirklich ein ganz besonderer Moment als man dann diese Arbeitskopie bekommen hat, damals ja noch VHS, die eingelegt hat, und auf der befand sich ja schon der Vorspann. Also das Fadenkreuz und die großartige Titelmusik von Klaus Doldinger."

Wer zum Film möchte, träumt meistens davon, Schauspieler zu werden oder Regisseur. Nicht aber Komponist. Denn der steht immer in der zweiten Reihe und läuft äußerst selten über den roten Teppich. Jörg Lemberg stört das nicht. Er kann gut damit leben, dass den Menschen zu "Tatort" sofort Schimanski einfällt oder Kommissar Ehrlicher, nicht aber er, der für viele Folgen des Krimis die Musik geschrieben hat.

Für die Folge "Kindstod" wird Jörg Lemberg für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Für seinen neuesten Tatort "Borowski und der vierte Mann" sogar das Filmorchester Babelsberg angeheuert. Es ist das erste Mal, dass für eine "Tatort"-Komposition ein solcher Aufwand betrieben wird.

"Oft sind Musiken sehr gut, funktionieren sehr gut und finden großen Anklang, ohne dass man dafür eine Erklärung hätte, warum das so funktioniert."

Der 42-Jährige spricht gerne und überzeugt von seiner Arbeit, die seine große Leidenschaft ist. Jörg Lemberg versteht sich nicht nur als Berufsmusiker, sondern als Künstler - mit einer dazugehörigen Prise Eitelkeit.

"Es ist tatsächlich so, dass ich vieles von dem, was ich komponiert habe, wirklich auch ganz toll finde. Und mich fast darüber wundere, dass andere Menschen das nicht auf ihrem MP3-Player haben und von morgens bis abends laufen lassen."

Und dennoch wirkt der Komponist, der gerne leger in Jackett aber ohne Krawatte rumläuft, niemals arrogant oder abgehoben. Im Gegenteil. Während des Interviews ist er aufgeregt; wählt seine Worte sehr bedacht und vorsichtig - es soll ja gut werden. Auch hier kommt der Perfektionist durch. Er ist selbst sein größter Kritiker, kennt das Gefühl von Druck und die Angst vor Versagen.

"Ich bin nicht so weit Künstler, dass ich sage, die Musik ist gut, und es reicht, dass sie geschrieben und produziert wurde. Sie muss auch für gut befunden werden von Redaktionen, und sie muss ausgestrahlt werden. Sonst würde diese Musik wenig Sinn machen."

Jörg Lembergs Lebenslauf liest sich wie der eines Musterbewerbers. Durchgezogenes Studium der Musik, dann Filmakademie, schließlich preisgekrönte Diplomarbeit und Stipendium. Heute leitet er nebenbei noch eine Jugendtheatergruppe. Ein Streber?

"Nein, ganz bestimmt nicht. Ich glaube, ich bin zum Streber geworden im Studium. Zu Schulzeiten habe ich die Fülle an Fächern, die man lernen musste als sehr belastend empfunden. Und die Tatsache, dass man sich nach der Schule spezialisieren durfte, war für mich ein Befreiungsschlag."

Und obwohl er schon immer Musik gemacht hat, will der junge Jörg Lemberg erstmal zum Theater.

"Wir haben Dürrenmatt, 'Die Panne', auf die Bühne bringen wollen. Und das hat sich dann am Ende herausgestellt, dass ich nicht auf der Bühne gearbeitet habe, sondern unten, am Flügel gesessen habe und die Bühnenmusik gemacht habe. Das hat mir auf eine unheimliche Art viel besser getan, als die Geschichte selbst auf der Bühne darzustellen. Das war der Anfang."

Der Komponist nimmt Aufträge quer durch alle Genres an, schreibt die Musik für "Klinik am Alex" genauso wie für "Die Luftbrücke" und sogar einen chinesischen Film: "Suzhou River".

Nicht einmal die chinesische Produktion holt den Musiker aus seiner Heimatstadt Ludwigsburg raus. Als junger Erwachsener packt ihn eine kurze Großstadtsehnsucht, doch dann lernt er seine Frau kennen. Bleibt. Heute, wo auch sein dreijähriger Sohn da ist, genießt er die Ruhe. Ein Gruppenmensch war Jörg Lemberg ohnehin nie. Jeden Sonntag hat er ein Ritual, ganz für sich – und das heißt nicht "Tatort" gucken:

"Tatsächlich ist es so, dass ich sonntagabends arbeite. 20 Uhr 15 ist ein Termin, wo das Kind schon im Bett ist, wo das Haus zur Ruhe kommt, wo man jetzt nochmal eine kreative Phase erleben kann."

In der Nacht schaut er sich gerne die "Tatort"-Wiederholungen an. Mit Bier und Lakritz, seiner größten Schwäche, wie er verrät. Als Kind fand er die Krimireihe mystisch, weil er sie bis zu seinem zehnten Lebensjahr nicht gucken durfte. Heute ist der "Tatort" einfach sein Job. Aber immer noch besonders, denn der Mord hat keine typische Vertonung. Manchmal arbeitet er viel mit Stille oder komponiert ganz sanfte Klänge. In solchen Momenten ist er von sich selbst aufs Neue überrascht.

"Was mich an Musik so fasziniert, ist, dass nicht verbalisiert werden kann, weswegen sie manchmal so gelungen scheint, und manchmal eben missglückt."
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