Musik

"Ein Gruppentier war ich noch nie"

Moderation: Klaus Pokatzky · 16.01.2014
"Umso älter ich werde, umso weniger bedeutet mir Besitz", sagt der Musiker Andreas Dorau. Für sein neues Album hat er viel Zeit alleine in der Bibliothek verbracht und Tonträger geliehen, statt sie zu kaufen. Kurz vor seinem 50. Geburtstag redet über die gesellschaftliche Verachtung für Pfandflaschensammler und über furchtbare Gespräche, die sich um Sternzeichen drehen.
Klaus Pokatzky: Hühnerposten! Für Hamburger ist das eine erste Adresse, direkt am Hauptbahnhof! Früher war dort eines der wichtigsten Postämter der Hansestadt untergebracht, seit fast zehn Jahren ist da die Zentralbibliothek der öffentlichen Bücherhallen zu Hause. Für den schönen Namen der kleinen Straße Hühnerposten gibt es verschiedene historische Erklärungen, eine geht so: Vor Jahrhunderten lag genau da ein Wachposten der stolzen Freien Reichsstadt Hamburg, und wenn morgens die Hühner wach wurden und gackerten, konnten die Wachmannschaften endlich ihren nächtlichen Posten verlassen, den Hühnerposten eben.
Wenn die öffentlichen Bücherhallen in der nächsten Woche ihr zehnjähriges Jubiläum am Hühnerposten feiern, dann wird dabei vielleicht ja auch das Lied "Hühnerposten" gespielt von Andreas Dorau, den ich nun in Hamburg im Studio begrüße, guten Tag!
Andreas Dorau: Guten Tag!
Pokatzky: Andreas Dorau, mehr als eine Million Besucher hatten die Hühnerposten-Bücherhallen im letzten Jahr. Einer der ganz Aktiven sind Sie! Was ist am Hühnerposten so toll, dass Sie gleich ein ganzes Lied auf Ihrer neuen CD gemacht haben?
Dorau: Also, erst mal muss ich sagen, ich glaube, es gibt mit Sicherheit aktivere Hühnerposten-Besucher als mich. Aber tatsächlich habe ich sehr viel Musik gefunden. Also, irgendwann im Laufe meiner Platte, die jetzt morgen rauskommt, wie das immer so ist, was soll denn die Platte für einen Titel haben! Und die Platte hatte eben keinen roten Faden, also inhaltlich, und dann habe ich so nach irgendwas gesucht, was denn so die Stücke irgendwie miteinander verbindet. Und dann war es die Tatsache, dass ich mir sehr viel Musik im Hühnerposten ausgeliehen hatte, die mich inspirierte, die Platte zu machen.
Pokatzky: Welche haben Sie da ausgeliehen?
Dorau: Also, folgendermaßen lief das ab: Das Label Bureau B, auf dem jetzt die Platte erscheint, sprach mich im Mai letzten Jahres an und wollte eine Retrospektive und eine Raritätenplatte rausbringen und fragte mich, ob ich zu meinem 50. Geburtstag wohl auch Konzerte dazu Lust hätte.
Pokatzky: Der, das verraten wir jetzt gleich zu Beginn, der am Sonntag bevorsteht, der 50.! Aber da kommen wir später noch drauf!
Dorau: Also, das Erste war, erst mal erschrak ich mich, dass ich ja demnächst 50 werde, das hatte ich schön ausgeblendet.
Pokatzky: Kenne ich auch, kenne ich auch, kann man aber durchkommen!
Dorau: Ich hoffe es, ja! Und dann war das Nächste eben, habe ich das erst mal abgelehnt, also, Konzerte auf keinen Fall und mich da feiern lassen und so weiter. Gut, dann bei der Durchsicht der Raritäten, also, es gab insgesamt drei Treffen und beim zweiten Treffen bin ich nach Hause gegangen, habe zwar immer noch Nein, aber nur noch gemurmelt. Und habe mir mal die Raritäten angeguckt und da entdeckte ich drei Stücke, die eins gemeinsam hatten, dass sie alle Gitarre hatten. Und die drei waren mir für Raritäten eigentlich zu schade, weil, ich fand den Text gut, die Stücke waren teilweise unveröffentlicht.
Und dann dachte ich, oh, drei Stücke, drei gute Stücke, die toll miteinander harmonisieren, dann fehlen doch nur noch sieben Stücke und das ist ein neues Album! Und bin dann zum nächsten Treffen gegangen, ja, wir können alles machen, aber ich möchte ein neues Album machen. Dann fand ich das sehr fair, dass das Label gesagt hat, ja, sprich doch bitte mal mit Staatsakt, die hatten mein Album davor rausgebracht, ob das für die ein Problem darstellt, nee, stellte für die kein Problem dar. Man muss dazu auch sagen, dass der Maurice Summen, der Chef von Staatsakt, auch die beiden Konzerte moderieren wird.
Und dann war eben klar, die Platte sollte als Hauptinstrument und als roten musikalischen Faden Gitarre haben, das hatte ich vorher noch nie. Und dann wollte ich den Kompositionsprozess abkürzen, also, bevor ich da irgendwie monatelang auf Klavieren oder ähnlichen Instrumenten herumklimper, was zu finden, dachte ich, mein Gott, Harmonien sind doch eh Allerweltskram, was ich da spiele! Und bin dann eben im Zweitagesrhythmus sozusagen in die Hühnerposten-Leihbibliothek marschiert und habe mir dort wahllos CDs mitgenommen. Also möglichst immer CDs, die ich nicht kenne und wo das Cover die Vermutung nahelegte, dass also hier wohl auch eine Gitarre zu hören ist.
Die habe ich mir dann im Schnelldurchlauf durchgehört und immer darauf geachtet, ob da ein Zweier- oder ein Viererakkordschema am Anfang steht, also bevor der Gesang einsetzt, und dass es sich um Allerweltsharmonien handelte. Allerweltsharmonien, eben Harmonien, auf denen schon zig Stücke schon basieren, die man auch kennt. Also, dass es sich nicht um eine Komposition, sondern nur um eine Basis handelt.
Großer Freund des Taxifahrens
Pokatzky: Aber ich würde vorschlagen, Andreas Dorau, wir hören jetzt einfach mal rein!
Dorau: Entschuldigung, das war etwas lang, oder?
Pokatzky: In den "Hühnerposten" hören wir jetzt rein, das Lied Nummer eins auf Ihrer neuen CD!
(Musik)
"Hühnerposten" von Andreas Doraus CD "Aus der Bibliothèque", die morgen rauskommt. Andreas Dorau, im Studio in Hamburg, Bibliothek wird da ganz altmodisch in französischem Stil geschriebe, mit que am Ende. Haben Sie auch noch ein liebgewonnenes, ganz altmodisches Bild von Ihrer Bibliothek, während die Mitarbeiter da vielleicht ein viel moderneres Bild im digitalen Zeitalter haben?
Dorau: Das nehme ich mal stark an. Einer der Gründe, weswegen ich der Bibliothek irgendwie ein Denkmal oder eine Ode verfassen wollte, war eben, dass die meisten Leute eben glauben, da gibt es nur Bücher. Und eben, ich gehe da meistens hin und leihe mir Filme, also irgendwelche raren, englischen Serien aus oder so was. Also, ich leihe mir da hin und wieder auch ein Buch aus, aber meistens digitale Medien.
Pokatzky: Also doch, Sie sind nicht der richtig große Fan des alten Analogen, sondern doch auch fürs zeitgenössische Digitale. Aber Sie haben ein Faible fürs Analoge, richtig?
Dorau: Ja, aber wie gesagt, das hat beides seine Existenzberechtigung.
Pokatzky: Wie wichtig ist das Analoge jetzt für Ihre Musik?
Dorau: Oh, also, ich habe diese Platte jetzt mit einer Band gemacht und da haben die Leute auch wahrscheinlich etwas romantische Vorstellungen, wie das abläuft. Da wird eben auch nur eine Gitarrenlinie irgendwie eine Minute lang gespielt und dann wird sie editiert.
Pokatzky: Was gefällt Ihnen denn so schrecklich an der Leihbibliothek, wo Sie in den letzten Jahren ja doch reichlich Zeit verbracht haben? Was haben Sie denn da auch mal gelesen, welche Bücher?
Dorau: Meistens eher für, wenn ich Reisen vorhatte, irgendwelche Biografien meistens.
Pokatzky: Was ist am Leihen, am Ausleihen das Schöne?
Dorau: Ich habe festgestellt, dass viele Leute gerade so in meinem Bekanntenkreis oder so ein Problem mit Leihen haben, weil …
Pokatzky: Genau, alle möglichen anderen Leute haben die Leute schon gelesen und Sie wissen nicht, in welchem Zustand die sind …
Dorau: Ja, ein bisschen das, Schmuddelgefahr plus eben diese ungeklärten Besitzverhältnisse. Viele Leute schämen sich da, oh, ich habe es doch nicht nötig, mir ein Buch zu leihen, das kann ich mir jederzeit kaufen. Das fand ich eben auch ganz interessant, deswegen wollte ich die Bücherhalle eben auch, auf die aufmerksam machen oder damit mal einen Denkanstoß geben.
Hass als Hauptantriebsfeder von Popmusik
Pokatzky: Haben Sie vielleicht überhaupt so gar kein richtiges Bedürfnis, Dinge zu besitzen, Eigentümer zu sein? Es gibt ja auch einen Song, "Faul und bequem", der feiert das Taxifahren. Das könnte ja fast so eine snobistische Variante eines Anti-Eigentumsprogramms sein!
Dorau: Interessant, habe ich noch nie drüber nachgedacht! Also tatsächlich, ein Auto, ich interessier mich nicht für Autos. Ich habe mit 15, glaube ich, da hatte ich Geld und da hatte ich das erste Mal mir ein Taxi genommen. Und seitdem ist das eingerissen, sage ich mal so. Aber tatsächlich, umso älter ich werde, umso weniger bedeutet mir Besitz. Ist so. Tonaufnahmen möchte ich nur verfügbar haben. Also, wenn ich sie jemand vorspielen möchte, möchte ich irgendwie wissen, wo ich die jetzt finde, dass ich die vorspielen kann, ich muss sie aber nicht besitzen.
Pokatzky: Und was, Andreas Dorau, bedeutet Ihnen dann ganz besonders viel, kurz vor Ihrem 50. Geburtstag?
Dorau: Wüsste ich jetzt nichts.
Pokatzky: Gar nichts? Also, Ihnen bedeutet gar nichts was?
Dorau: Ich weiß es nicht, ich habe mir noch nie darüber Gedanken gemacht, was mir viel bedeutet, muss ich ehrlich sein!
Pokatzky: Aber Ihre Lieder bedeuten Ihnen garantiert was und deshalb hören wir noch etwas Musik von Ihrer neuen CD "Aus der Bibliothèque", und diesmal heißt der Titel "Wasserstoff".
(Musik)
"Wasserstoff", Andreas Dorau, von Ihrer neuen CD "Aus der Bibliothèque". Das ist ja eine kleine Lektion über den Wasserstoff, wie er mit uns zusammenhängt. Erstens, wir bestehen aus Wasserstoff, also, da wird der Zusammenhang zwischen Mensch und Materie verdeutlicht, und zweitens, wir sollten vielleicht im alltäglichen Leben nicht so schroff miteinander umgehen. Haben Sie darüber auch ein Buch in der Bibliothek gelesen und teilen uns Ihr Wissen mit?
Dorau: Also, den Text, den hat ein Freund von mir, Justus Köhncke geschrieben, aufgrund eines Gesprächs, was wir hatten, wo das Wort schroff auftauchte und wir beide Fans von dem Wort schroff waren. Und dann plötzlich tauchte das Wort Wasserstoff auf und am nächsten Tag hatte ich eine Mail, wo er den ganzen Text geschrieben hatte.
Pokatzky: So einfach kommen Lieder manchmal zustande?
Dorau: Teils!
Pokatzky: Sie selber sind im Sternzeichen Steinbock geboren, am 19. Januar 1964. Das klang ja bei uns beiden schon an. Sie singen aber auf der CD über ein anderes Sternzeichen, den Löwen. Warum das?
Dorau: Also, das ist wirklich der banalste Text auf meinem ganzen Album! Ging einfach um eine Alltagsbegegnung, man trifft öfter auf Partys Personen, die einen ansprechen und sich über Sternzeichen unterhalten wollen oder sich selber über Sternzeichen definieren und auch andere Personen so definieren wollen. Und wenn man denen sagt, man möchte dieses Gespräch jetzt nicht haben und sieht das überhaupt nicht so, dass diese Leute eben nicht aufhören, mit dem Thema weiter rumzudrängeln. Und darüber habe ich mein Stück geschrieben!
Pokatzky: Und daraus wollen wir jetzt auch was hören, okay?
Dorau: Okay!
(Musik)
Pokatzky: Danke, Andreas Dorau, dass mein Sternzeichen Jungfrau auch drin vorkommt! Sie haben ja vorhin schon beschrieben, wie Ihnen das auf die Nerven geht! Sie haben es nicht gesungen, danach haben wir es gesungen gehört, was da auf so Partys erzählt wird! Und Sie haben mal den Hass als Hauptantriebsfeder von Popmusik genannt! Ist dieser Song jetzt ein Ergebnis auch davon?
Dorau: Ich singe, ehrlich gesagt, lieber über negative Begegnungen oder negative Dinge als über positive Begegnungen. Also, positive Stücke gibt es so viele, also, ja, dem habe ich nichts Weiteres hinzuzufügen, da möchte ich mich nicht einreihen!
"Milde bin ich nicht"
Pokatzky: Sie werden nun also am Sonntag 50. Das heißt bei Ihnen fast dreieinhalb Jahrzehnte Musikerleben! Mit "Fred vom Jupiter" sind Sie 1981 im Alter von 16 Jahren berühmt geworden. Ist die CD "Aus der Bibliothèque", die jetzt zwei Tage vor Ihrem Geburtstag erscheint, Ihr ganz persönliches Geburtstagsgeschenk auch?
Dorau: Nein. Mir ging’s bloß darum, ich wollte nicht eine Best Of in Verbindung mit meinem meinem 50. Geburtstag, das hat so was Abschließendes. Und deswegen war es wahrscheinlich aus purer Eitelkeit oder was weiß ich, dass ich dann eine aktuelle Platte machen wollte. Also, plus eben der Umstand, dass ich diese drei Stücke gefunden habe und die mich, ach ja, das wäre ja nicht so schwierig, eine Platte zu machen, so! Also, das waren die Faktoren, die dazu führten.
Pokatzky: Sie haben ja schon anklingen lassen, es ist nicht leicht, 50 zu werden. Wie gesagt, ich kann das beurteilen. Merken Sie, dass Sie altersmilde werden, auch wenn Sie sagen, Sie singen lieber über Negatives?
Dorau: Ich bin vielleicht in manchen Punkten leicht liberaler geworden. Aber milde bin ich nicht.
Pokatzky: Milde sind Sie nicht. Sind Sie mehr zum Einzelgänger geworden? ich Denke jetzt wieder an die Bibliothek, an Hühnerposten, die ja für diese CD eine ganz wichtige Rolle spielt. Das ist ja auch so ein Ort des Alleinseins.
Dorau: Also, ein Gruppentier war ich noch nie, aber tatsächlich merke ich mit zunehmendem Alter, dass ich tatsächlich gern mal länger für mich bin als früher.
Pokatzky: Wie würden Sie denn Ihr Verhältnis zu Menschen insgesamt charakterisieren?
Dorau: Schwierig!
Pokatzky: Im Moment wirkt es nicht so! Wie stellt sich das Schwierige dar?
Dorau: Also, ich habe teilweise wirklich – also, jetzt nicht auffällig! – soziale Probleme, vielleicht haben andere die auch und reden nicht drüber, aber eben tatsächlich so, wenn mit … Smalltalk fällt mir nicht leicht und wenn Leute Unsinn reden, kann ich nicht geduldig das über mich ergehen lassen!
Pokatzky: Jetzt kommen wir noch zu einem zutiefst menschlichen Thema: Eine Single Ihres neuen Albums, ein tragikomisches Thema: "Flaschenpfand". Was haben Sie sich bei dem Titel überlegt?
Dorau: Also, tragikomisch ist höchstens das Video. Das Stück hat mich eher, mich und Wolfgang Müller, der den Text geschrieben hat, dazu gereizt, sozusagen diese leichte soziale Ächtung dem Flaschenpfandsammler gegenüber kennt ja jeder. Die Situation: Man ist im Keller seines Supermarktes und gibt dort Flaschen ab und steckt die in den Automaten, und alle gucken verschämt auf den Boden. Das ist so was Unausgesprochenes. Das hatte mich eben gereizt, also dieser Hauch der sozialen Ächtung.
Pokatzky: Ganz herzlichen Dank, Andreas Dorau im Studio in Hamburg! Vor einem Geburtstag darf man nicht gratulieren, aber ich darf sagen, Ihre neue CD "Aus der Bibliothèque" erscheint morgen. Und daraus hören wir noch "Flaschenpfand".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.