Musik der Zisterzienser

Von Gerhard Richter · 14.11.2008
Seit dem 16. Jahrhundert gibt es im Kloster Lehnin in Brandenburg keine Mönche mehr. Aber die Musik der Zisterzienser kann man dort wieder hören. Mehrere Sängerinnen und Sänger haben sich zur Choralschola versammelt - mit dem Ziel, die alten liturgischen Gesänge an historischen Orten klingen zu lassen.
Im Halbkreis stehen sie im Altarraum, ganz in schwarz gekleidet, fast reglos. Neun Frauen und sieben Männer, tief versunken in den eigenen Gesang.

Stefan Buchheim: "Manchmal entsteht dann irgendwie auch eine prickelnde Spannung, die.also ich bin nicht der Einzige, der hin und wieder an bestimmten Passagen fast heulen muss, weil es einfach sehr, sehr schön ist."

Stefan Buchheim singt die Bass-Stimme. Der 45-jährige Journalist spielt Klavier, nimmt Gesangsunterricht, singt in einer unbekannten Popband. Dann besucht er ein Konzert der Lehniner Choralschola.

Stefan Buchheim: "Mir kam das sehr beruhigend spirituell vor."

Seitdem singt Stefan Buchheim nur noch die 1000 Jahre alte Musik der Mönche. Zusammen mit: Einem Ingenieur, einem Pfarrer, einer Krankenschwester, Lehrerinnen, Angestellten, Musikern, Rentnern. 16 musikalische Laien und Profis - zwischen 29 und 72 Jahren.

Gegründet hat die Lehniner Choralschola Andreas Behrendt, der Kantor in Lehnin. Der schlanke Mann mit Drei-Tage Bart und Brille legt das Repertoire fest und dirigiert.

Andreas Behrendt: "Das, was wir machen, ist jetzt nicht gregorianischer Choral, sondern wir wenden uns dem Zisterzienser Choral zu. Der ist ganz einfach gradeaus und stark gesungen. Ja das ist ganz wichtig."

Das Kloster Lehnin wird zum Ausgangspunkt für eine Wiederbelebung des Zisterzienser Gesangs.

Andreas Behrendt: "Der Chor ist Teil eines Gesamtkonzepts unter dem Namen Musica Medievalis. Das ist 2003 entstanden und beschäftigt sich mit der Kunst und Kultur des klösterlichen Leben."

Aufgabe der Choralschola ist dabei, liturgische Musik in allen Zisterzienser-Klöstern Brandenburgs und Deutschlands zu singen. Andreas Behrendt hat dabei einen wissenschaftlichen Anspruch. 2003 fährt er eigens ins belgische Kloster Westwalle, um von den Brüdern dort Original-Noten zu holen.

Andreas Behrendt: " Das war ein sehr schönes, sehr herzliches Erlebnis auch und hab da auch das Graduale der Zisterzienser bekommen, das Hymnarium und etliche andere Schriften auch, die die Grundlage unserer Arbeit in der Schola bilden."

Die Mönche haben ihre eigene Notenschrift. Es gibt nur vier Linien, die Texte sind fast ausnahmslos lateinisch, die Melodie ist nur vage vorgegeben.

Andreas Behrendt: "Und das ist eine Melodie, die nicht direkt in rhythmisch fassbare Strukturen eingebunden ist. Sondern das ist eine Musik, die ganz speziell vom Wort her lebt. Also der Choral, das ist das gesungene Gebet."

Geprobt wird einmal im Monat, Unter Gewölbedecken im restaurierten Kloster Lehnin. Gleich zwei Tage am Stück. Freitagabend und den ganzen Sonnabend. Die Atmosphäre ist hochkonzentriert. Die Stimme für einen Choral muss aus der Tiefe kommen.

Andreas Behrendt: "Das heißt eben auch im Laufe der Erarbeitung eines Chorals Kontakt zum inneren Klang aufzunehmen, Kontakt also auch zum eigenen Selbst."

Claudia: "Und wenn man so reinkommt in diese Stimmung, dann ist das so, man singt, man wird gesungen oder es singt einen. Das ist sehr körperlich."

Claudia Lange kommt aus dem 70 Kilometer entfernten Berlin zur Probe. Genauso wie Christine Mark. Die 57-jährige Religionslehrerin singt auch noch in einem anderen Chor, da ist sie eine von vielen, sagt sie. In der Choralschola sei sie viel mehr gefordert.

Christine Mark: "Man muss immer die Ohren links rechts ganz doll offen haben. Man hört ja die anderen Stimmen, die höher oder tiefer gelagert sind, man muss aber immer den gleichen Ton singen - ohne Abweichung. Das ist sehr anstrengend sehr anstrengend und eine hohe Konzentration verlangt es auch."

Direkt nach den Proben singt die Schola regelmäßig in einem Gottesdienst. In den Dorfkirchen der Umgebung, oder in der Klosterkirche. Stefan Buchheim beobachtet dabei gern die Wirkung des uralten Mönchsgesangs.

Stefan Buchheim: "Wenn ich dann Menschen sehe, die ganz ruhig werden, wenn die zu uns schauen, oder die Augen geschlossen halten, oder wenn wir Kerzen angezündet haben, zu den Kerzen schauen – das schwingt hin und her. Also die Ruhe, die entsteht, hüllt dann den Raum ein."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.