Musik bei der Operation

Gute Laune am OP-Tisch

Chirurg in einer Klinik
Nadel und Skalpell gehören zur Grundausstattung eines Chirurgen - Musik aber bei vielen auch. © picture alliance / dpa / Foto: ITAR-TASS
Von Katja Ridderbusch · 18.06.2015
Die US-Krankenhausserie "Chicago Hope" machte es in den 90ern vor. Eine Operation geht viel leichter von der Hand, wenn im OP Musik läuft. Mittlerweile hören auch in der Realität immer mehr Ärzte Rock und Pop. Ein deutscher Chirurg in Atlanta hat dazu jetzt eine Studie verfasst.
Der achte und letzte Patient des Tages liegt auf dem OP-Tisch von Dr. Kenneth Neufeld. Zeit, ein bisschen Gangsta-Rap zu spielen. Das vertreibt die Müdigkeit, gibt einen Energieschub und hebt die Stimmung.
"Usually, the times I’m playing rap at this point is just sort of a joke, to get everyone giggling a little."
Kenneth Neufeld ist plastischer Augenchirurg in Atlanta im Süden der USA. An diesem Tag hat er das Oberlid einer Frau rekonstruiert, das vom Krebs zerstört war; einen Metallsplitter aus der Augenhöhle eines kleinen Jungen entfernt und mit einer Titanplatte den Augapfel eines Mannes nach einem Motorradunfall stabilisiert.
Egal wie kompliziert sich die OP auch gestaltet: Musik ist bei ihm immer dabei. Bisweilen und mit Augenzwinkern: Rap. Meistens Pop aus den 80ern.
"Weil es ohne Musik langweilig ist. Musik lässt das gesamte OP-Team entspannter und effizienter arbeiten. Die Leute sind fröhlicher und die Operation läuft flüssiger."
Damit ist der 43-jährige Augenchirurg wohl ein typischer Vertreter seiner Generation und seines Berufsstandes. Eine neue Studie aus den USA kommt zu dem Ergebnis: Mehr als 70 Prozent aller Ärzte hören Musik im OP, über MP3-Player oder Internetradio. Allerdings sind die Präferenzen bei Chirurgen, Anästhesisten und OP-Schwestern durchaus verschieden, sagt der Autor der Studie, Dr. Claudius Conrad.
"Wir haben herausgefunden, dass Anästhesisten sogenannte ´reflektive Musik` bevorzugen, Jazz und klassische Musik. Das hat mit Ihrer Rolle im OP zu tun, mit dem Monitoring von auditorischen Inputs, dem Alarm ihrer Maschinen. Chirurgen bevorzugen aktivierende Musik. Und Krankenschwestern mögen Top 40, also Pop-Musik."
Claudius Conrad, 37, beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Musik im OP. Er stammt aus München, hat Doktortitel in Medizin und Musikwissenschaften, studierte an der Harvard-Universität und ist heute Leberchirurg in Houston, Texas.
Immer wieder, sagt die Studie und berichten Ärzte, kommt es auch zu Konflikten zwischen Chirurgen und Anästhesisten über Musik im OP, über die Wahl des Genres oder die Höhe des Pegels. Dr. Marcel Gilli ist Anästhesist in Atlanta.
"Manche Chirurgen spielen Musik extrem laut. Oder der Musikstil ist gewöhnungsbedürftig. Ich habe zum Beispiel einen Kollegen, der hört im Juni Weihnachtsmusik. All das kann ablenken, wenn wir die Narkose einleiten und die Vitalfunktionen überprüfen – Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung."
Meistens stört die Musik nicht
Marcel Gilli, geboren in der Schweiz, arbeitet seit 30 Jahren als Arzt in den USA. Meistens stört die Musik ihn nicht, und wenn doch, dann bittet er seine Kollegen, die Pause-Taste zu drücken.
"Surgery still is a very serious business. We have to be vigilant at every single moment."
Operationen seien noch immer eine ernste Sache, sagt er. Und da sei Wachsamkeit gefordert, jeden einzelnen Augenblick. Vor allem, wenn Komplikationen auftreten.
Der Augenchirurg Kenneth Neufeld versteht diese Bedenken. Aber ihn persönlich irritiert Musik auch in heiklen Situationen nicht. Weil er sie ausblendet.
"Das ist für mich dann eher wie weißes Rauschen. Häufig verliere ich mich in der Operation. Besonders wenn die OP schwierig ist, habe ich keine Ahnung, welche Musik läuft."
Trotz aller Differenzen: Insgesamt, so stellt die Studie fest, fördert Musik die Kommunikation und verbessert das Arbeitsklima im Operationssaal.
Claudius Conrad hält klassische Musik als soziales Bindemittel im OP für besonders geeignet.
"Unsere Studie hat gezeigt, dass klassische Musik ein guter gemeinsamer Nenner ist. Dadurch, dass das OP-Team oft sehr heterogen ist, suchen wir nach Musik, bei der wir nicht jeden vorher fragen müssen, was sein bestimmter Musikgeschmack ist."
Ob Klassik oder Pop, Weihnachtsmusik oder Gangsta-Rap: Das letzte Wort hat stets der Operateur. Und der kann Einzelkämpfer oder Teamspieler sein. Kenneth Neufeld sieht das so:
"Als Chirurgen sind wir die Kapitäne des Schiffs, und es liegt in unserer Verantwortung dafür zu sorgen, dass alle im OP gut zusammenarbeiten. Deshalb hören wir Musik; manchmal singe ich dazu, und alle lachen. Das hilft jedem, seine Aufgabe ein bisschen besser zu erledigen und dabei Freude zu haben."
Gesungen wird an diesem Tag nicht mehr in seinem Operationssaal. Der letzte Schnitt am Auge ist vernäht, der letzte Song gespielt.