Musik als Brückenschlag

Von Blanka Weber · 19.08.2011
67 junge Musiker aus Deutschland und Israel haben ein gemeinsames Orchester auf die Beine gestellt. Sie wollen zeigen, dass Musik auch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sein kann.
Die zierliche junge Frau steht vor ihrem Orchester. Zum ersten Mal schauen sich alle in die Augen - und dann blicken die jungen Musiker erwartungsvoll auf die Hände der israelischen Dirigentin. Karin Ben-Josef ist eine der Nachwuchskünstlerinnen ihres Landes, Preisträgerin und namhafte Gastdirigentin im Ausland. Nun also leitet sie – gemeinsam mit einem Weimarer Dirigenten – das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar:

"Ich denke, es ist eine enthusiastische Gruppe von Musikern, ohne Zweifel, sie lieben es zu spielen und sind vor allem interessiert, gemeinsam zu spielen. Das ist das Wichtigste!"

Brahms erste Sinfonie, ein Werk, sagt Elmar Fulda von der Hochschule für Musik, das anspruchsvoll und schön zugleich ist:

"Die erste Sinfonie ist für jeden jungen Musiker – egal wo er herkommt – so ein großer Spaß und so eine große Freude zu spielen, dass wir das dazu genommen haben."

Auf dem Konzertprogramm stehen außerdem Werke der jüdischen Komponisten Viktor Ullmann und Carl Goldmark. Kein leichtes Repertoire, Ullmann starb 1944 in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau.

Der israelische Komponist Michael Wolpe hat die Orchesterfassung für das Ullmann-Stück erarbeitet, auch er ist in Weimar und lauscht den ersten gemeinsamen Tönen des jungen israelisch-deutschen Orchesters. Die Dirigentin stellt ihn vor.

Die Klaviersonate gilt als eines der letzten Werke von Viktor Ullmann. Als der Kompositions- und Klavierlehrer 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde, gründete er dort ein Orchester und veranstaltete im Lager Konzerte. Nun tragen die jungen Musiker sein Werk weiter. Erste Eindrücke:

"Sehr aufgeregt, ein bisschen nervös, doch voller Vorfreude."

"Ich bin gespannt, wie sich das Ganze entwickelt und freu' mich einfach sehr drauf."

Gemeinsam will das knapp 70-köpfige Orchester nun einen eigenen Klang erarbeiten.

"Ich glaube, da ist nicht musikalisch, sondern auch vieles Menschliche, was wir finden und entdecken können. Es wird ein Abenteuer, aber ein Abenteuer, das sehr, sehr tief gehen kann."

Sagt der junge Dirigent David Afkham, ein Israeli mit persischen Wurzeln. Er hat vor zwei Jahren an der Hochschule für Musik in Weimar seinen Abschluss gemacht, mittlerweile steht er auf internationalen Bühnen und gilt – wie seine israelische Kollegin Karin Ben-Josef – als namhafter Nachwuchskünstler im Fach Dirigieren.

Religion spielt hier im Orchester keine Rolle, wenngleich das erste Konzert am Abend früher stattfindet als ursprünglich geplant, damit die Schabbatruhe eingehalten wird.

Für David Afkham, der in Deutschland aufwuchs, ist das Orchester mehr als ein musikalischer Brückenschlag:

"Das Besondere, dass verschiedene Kulturen aufeinandertreffen und verschiedene Erfahrungen und Hintergrund mitschwingen und das man in so einem Orchester, wo Weimar, Deutschland als auch eben Israel, verkörpert von Jerusalem und Tel Aviv zusammen bringt, das ist unglaublich, natürlich mit dem Hintergrund dieser Geschichte."

"Die deutschen und die israelischen Musiker kommen aus unterschiedlichen Musiziertraditionen. Israel ist ein Schmelztiegel, da gibt es ganz unterschiedliche Einflüsse. Dahinter steht meiste auch eine bestimmt Klangtradition."

…sagt der Weimarer Professor und Betreuer des Orchesters Elmar Fulda. Das Orchester muss die "eigene Note" finden und den eigenen Klang:

"Das wird eine Hauptaufgabe, abgesehen davon dass man die Töne trifft und die Übergänge hinbekommt, wird es eine Aufgabe sein, sich auf die gemeinsame Klangvorstellung für diese Musik zu einigen."

Die junge israelische Dirigentin Karin Ben-Josef strahlt Kraft aus, motiviert und fordert, doch immer mit einem freundlichen Blick, wenn sie den Taktstock hebt und den Musikern zunickt.

"Jeder Start ist nicht leicht. Brahms erste Sinfonie ist eines der schwierigsten Stücke, also haben wir eine Menge Arbeit vor uns. Aber schon im ersten Moment sah man den Kontakt zwischen den Musikern, das ist faszinierend, sie zusammen spielen zu sehen und zu hören."

"Ich denke – generell – das Projekt ist für die Musiker, ob geschichtlich oder musikalisch wichtig. Es ist wichtig für sie, für uns, in Buchenwald zu sein. Wir haben auch Yad Vashem in Israel besichtigt. Alles ist verbunden in dem Projekt, das macht es so interessant."

Ende Dezember wird das Young Philharmonic Orchestra in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gastieren, ebenso in einem Kibbuz und in Tel Aviv. Doch zunächst stehen die Konzerte in Deutschland auf dem Programm – morgen Abend auf der Wartburg und am kommenden Montag in Berlin.