Musical

Timm Thaler vom Meister des Binnenreims

Von Natascha Pflaumbaum  · 16.11.2013
Es ist eine Weltpremiere. Eine Welturaufführung - und das im kleinen Staatstheater Darmstadt. Der deutsche Soul- und R&B-Sänger Xavier Naidoo hat ein Musical geschrieben. Es ist sein erstes Musical überhaupt. Zu einer Geschichte, die jeder kennt: Timm Thaler. Die Geschichte von dem Jungen, der sein Lachen an den Teufel verkauft. Die meisten kennen sie aus der ZDF-Serie mit Tommy Ohrner. Naidoo selbst war als 8-Jähriger so fasziniert von dieser Geschichte, dass er 30 Jahre später eine Musik dazu schrieb.
"... siehst Du, was diese Ohnmacht aus Deinem Sohn macht... Wer ist schon dieser Baron? ... Deine Lache ist die Sache ... "
... Xavier Naidoo-Reime. Der R&B-Sänger ist ein Meister des Binnenreims, liebstes Stilmittel der deutschen Rapper. Typisch Naidoo auch: der leicht moralisch-rebellische Unterton ("Ich kämpfe meinen Traum"), alles mit "viel Seele" und irgendwie "silky", ja kitschig vorgetragen im leicht übersteuerten Microport-Musical-Duktus. Der 26-jährige Musicalsänger Timo Verse (Timm Thaler) singt Naidoos Binnen- und Paarreime brav und sehr engagiert. Die Reime sollen die Geschichte des Jungen, der sein Lachen verkauft, kunstvoll kitten. Funktioniert auch, denn Naidoos Texte sind auf sehr eingängige, kantable Melodien gesetzt und damit definitiv ohrwurmfähig, manchmal leicht penetrant.
Theaterbühne statt Sonnenbrille
Statt Baggy Jeans, Kappe und Naidoo-Sonnenbrille: klassische Theaterbühne. Im Staatstheater Darmstadt singen Solisten und Chor Naidoos Reime, hier spielt ein veritables Orchester mit viel elektronisch verstärkten Geigen die seidenweichen Naidoo-Melodien. Das Bühnenbild (Christoph Weyers) schreit einen giftgrün an, es ist aus Baukastenmodulen zusammengesetzt, aus Mechano – das ist eine Art Märklin-Bausatz. Stäbchen für Stäbchen ist hier ein Spielcasino zusammengeschraubt mit riesigem Rouletterad, Monsterjetons, alles auf grünem Filz. Sieht aus wie ein großes begehbares Kunstwerk. Tschechische Kinder sind mit Mechano aufgewachsen. Es sei ihnen so vertraut wie uns Timm Thaler, sagt der tschechische Regisseur Stanislav Moša, der das Stück für Darmstadt auf die Bühne gebracht hat.
In diesem Darmstädter Giftgrün spielt nun Naidoos "Timm Thaler". Jene Timm Thaler-Geschichte, die die Generation der Mittvierziger in den Bann zog. Der Helgoländer Schriftsteller James Krüss hatte sie Anfang der 60er-Jahre geschrieben. Ehrlich gesagt war das Buch zunächst nicht gerade erfolgreich – bis zum 25. Dezember 1979. Da startete das ZDF mit "Timm Thaler" die erste seiner legendären Weihnachtsserien, 13 Teile à 25 Minuten. Ein Straßenfeger mit Tommy Ohrner, der Millionen Kinder begeisterte - auch Xavier Naidoo.
Wer zuletzt lacht, lacht am besten
Die Geschichte ist aus dem Bereich des magischen Realismus: Der Baron Lefuet ist der reichste und mächtigste Mann der Welt, er kontrolliert die Ölförderung und den Getreideanbau. Und: er lacht nie! Weil dieser Baron die ganze Welt besitzen will, hofft er, mit Timms Lachen die Leute, mit denen er Geschäfte machen will, für sich zu gewinnen. Also kauft er dieses Lachen – für den Preis, dass Timm jede Wette in seinem Leben gewinnt.
Gut zweieinhalb Stunden dauert Xavier Naidoos erstes großes Bühnenwerk. Der erste Teil geht flott und zügig voran, allein schon wegen der vielen Ohrwürmer und der fiesen Darstellung des Barons (Franz Nagler), den Naidoo ein charmantes Leitmotiv verpasst, das man am Ende der Show nur noch schwer aus dem Kopf bekommt. Die schrill bunten Kostüme, die diese Gesellschaft in die Sphären des märchenhaft, phantastischen katapultieren, sind Musicalkonform, zusammen ist der wirklich aufwendig gemachten, sich stets verändernden Mechano-Bühne, mit den unzähligen Monitoren, der Showtreppe, den Lichteffekten und der ganzen Knallerei wirkt das Ganze wie eine tschechische "Willy-Wonka"-Episode.
Der zweite Teil ist musikalisch und inhaltlich schwächer als der erste – weil die musicaltypische Knall-auf-Fall-Dramaturgie die Geschichte hier mitunter so rasant vorantreibt, dass man vor lauter Plötzlichkeit den roten Faden verliert. Dass sich Naidoos Geschichte dabei so weit vom Krüss’schen Original entfernt, ist wahrscheinlich dem Genre geschuldet: Musicals bügeln Geschichten eben manchmal bis zur Unkenntlichkeit glatt. Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen. Wer zuletzt lacht, lacht bekanntlich am besten: im Darmstädter Stück ist es Timm. Im echten Leben es Xavier Naidoo. Denn sein erstes Musical wird sich so schnell keiner entgehen lassen wollen.