Museum Schöne Aussicht
Belgien feiert in diesem Jahr 175 Jahre Unabhängigkeit. Aus diesem Anlass leistet es sich ein Museum der belgischen Geschichte. Das "BELvue" in Brüssel besticht nicht nur durch seine schöne Aussicht, sondern durch die Vielzahl an Objekten zur belgischen Geschichte, die einen anderen Blick auf unser Nachbarland ermöglichen.
Besser könnte das neue Museum der belgischen Geschichte BELvue nicht untergebracht sein. Das stilvolle "Palais Bellevue" entstand im 18. Jahrhundert auf den Ruinen der ausgebrannten Habsburger Hofburg. Es liegt gleich am Königlichen Park, wo die Belgier 1830 den entscheidenden Sieg über die holländischen Landesherren errangen. Später residierten in dem Palais neben dem neuen Stadtschloss Mitglieder der königlichen Familie.
Nur: Geschichtsträchtiger Ort hin oder her, warum leistet sich Belgien 175 Jahre nach seiner Unabhängigkeit ein Historisches Museum? Der Historiker Professor Herman Balthazar, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats:
"Der Kulturtourismus nimmt weiter zu. Und ich stelle ein wachsendes Interesse für die Vergangenheit fest. Dort sucht man Erklärungen für heutige Zustände. Natürlich gibt es Bücher, Radio, Fernsehen. Aber das Museum ist noch stets das ideale Medium, um vergleichsweise schnell ein recht vollständiges Bild der Vergangenheit zu vermitteln."
Der wissenschaftliche Beirat ist nach belgischem Proporz zusammengesetzt: Flämische und wallonische Historiker, von katholischen, staatlichen und den Freien Universitäten Brüssel, wo die Freimaurer noch immer einflussreich sind. Dennoch versichert Professor Balthazar:
"Die Historiker sind sich über die wichtigsten Fragen der belgischen Geschichte einig. Meinungsunterschiede betreffen kleine Details. Auch in so umstrittenen Sachen wie der Kolonialgeschichte waren wir uns sofort einig: Was geschehen ist, muss dargestellt werden. Nicht in der einen oder anderen Richtung übertrieben, aber doch korrekt eingeordnet."
Das Resultat kann sich sehen lassen. "BELvue" geht auf die markanten Fakten ein, die manchmal in Vergessenheit geraten sind: Das beginnt mit der ausgesprochen liberalen Verfassung von 1830, die noch bei der Ausarbeitung des deutschen Grundgesetzes Vorbildcharakter hatte. Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht nach England, die Belgien bis 1914 war, wird beleuchtet, die Kulturnation, die den Jugendstil hervorbrachte. Der erbitterte Widerstand gegen die deutschen Besatzer sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg – mit der Rettung vieler Juden - kommt zur Sprache, und Belgiens Beitrag zur europäischen Versöhnung und Einigung.
Daneben stehen die geschichtsprägenden Konflikte: Zwischen Katholiken und Antiklerikalen, Kapitalisten und Arbeitern, Frankophonen und Flamen, Kollaborateuren und Widerständlern. Kritik wird dort geübt, wo sie angebracht ist: An der brutalen Ausbeutung des Kongo-Freistaates durch König Leopold II.; an der autoritären und egozentrischen Einstellung von König Leopold III., der Belgien nach dem Zweiten Weltkrieg an den Rand des Bürgerkriegs brachte; an der Weigerung von König Baudouin, das liberale Abtreibungsgesetz zu unterzeichnen.
Nüchtern schildert das Museum, wie Belgien seit 1970 schrittweise vom Zentralstaat zum Bundesstaat mit ganz eigenen Merkmalen umgebaut wird. Prägnant werden am Ende die wichtigsten Probleme genannt, die das Königreich - wie andere europäische Länder – in Zukunft lösen muss: Veralterung der Gesellschaft, dauerhafte Entwicklung, Integration von Migranten, Rechtsextremismus.
Eines fehlt in der Darstellung: Die Frage, ob es eine belgische Identität gibt, woraus sie besteht. Das beschäftigte viele Historiker im 19. Jahrhundert, führt heute noch bei radikalen Flamen zu hitzigen Debatten. Professor Balthazar:
"Wir zeigen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Belgien. Belgien, das besteht seit der Revolution von 1830 real, in den Augen der Ausländer, und in den Augen der Belgier."
Immer wieder besticht im Museum der ausgeklügelte Aufbau. Der eilige Besucher bekommt mit suggestiven Radierungen, Plakaten, Karikaturen, Fotos einen guten Überblick. Schlagwortartige Titel wie "Geld ist Macht", "Von Geusen und Pfaffen", "Freistaat Kongo GmbH" oder "In Flandern flämisch" bleiben haften.
Wer mehr Interesse und Zeit hat, findet in Schubladen unter den Vitrinen, in Kopfhörern und auf Videos mehr Dokumente. Echt Geschichtsbeflissene kommen in der Bibliothek mit zahlreichen Computern und gedruckten Standardwerken voll auf ihre Kosten.
Nur: Geschichtsträchtiger Ort hin oder her, warum leistet sich Belgien 175 Jahre nach seiner Unabhängigkeit ein Historisches Museum? Der Historiker Professor Herman Balthazar, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats:
"Der Kulturtourismus nimmt weiter zu. Und ich stelle ein wachsendes Interesse für die Vergangenheit fest. Dort sucht man Erklärungen für heutige Zustände. Natürlich gibt es Bücher, Radio, Fernsehen. Aber das Museum ist noch stets das ideale Medium, um vergleichsweise schnell ein recht vollständiges Bild der Vergangenheit zu vermitteln."
Der wissenschaftliche Beirat ist nach belgischem Proporz zusammengesetzt: Flämische und wallonische Historiker, von katholischen, staatlichen und den Freien Universitäten Brüssel, wo die Freimaurer noch immer einflussreich sind. Dennoch versichert Professor Balthazar:
"Die Historiker sind sich über die wichtigsten Fragen der belgischen Geschichte einig. Meinungsunterschiede betreffen kleine Details. Auch in so umstrittenen Sachen wie der Kolonialgeschichte waren wir uns sofort einig: Was geschehen ist, muss dargestellt werden. Nicht in der einen oder anderen Richtung übertrieben, aber doch korrekt eingeordnet."
Das Resultat kann sich sehen lassen. "BELvue" geht auf die markanten Fakten ein, die manchmal in Vergessenheit geraten sind: Das beginnt mit der ausgesprochen liberalen Verfassung von 1830, die noch bei der Ausarbeitung des deutschen Grundgesetzes Vorbildcharakter hatte. Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht nach England, die Belgien bis 1914 war, wird beleuchtet, die Kulturnation, die den Jugendstil hervorbrachte. Der erbitterte Widerstand gegen die deutschen Besatzer sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg – mit der Rettung vieler Juden - kommt zur Sprache, und Belgiens Beitrag zur europäischen Versöhnung und Einigung.
Daneben stehen die geschichtsprägenden Konflikte: Zwischen Katholiken und Antiklerikalen, Kapitalisten und Arbeitern, Frankophonen und Flamen, Kollaborateuren und Widerständlern. Kritik wird dort geübt, wo sie angebracht ist: An der brutalen Ausbeutung des Kongo-Freistaates durch König Leopold II.; an der autoritären und egozentrischen Einstellung von König Leopold III., der Belgien nach dem Zweiten Weltkrieg an den Rand des Bürgerkriegs brachte; an der Weigerung von König Baudouin, das liberale Abtreibungsgesetz zu unterzeichnen.
Nüchtern schildert das Museum, wie Belgien seit 1970 schrittweise vom Zentralstaat zum Bundesstaat mit ganz eigenen Merkmalen umgebaut wird. Prägnant werden am Ende die wichtigsten Probleme genannt, die das Königreich - wie andere europäische Länder – in Zukunft lösen muss: Veralterung der Gesellschaft, dauerhafte Entwicklung, Integration von Migranten, Rechtsextremismus.
Eines fehlt in der Darstellung: Die Frage, ob es eine belgische Identität gibt, woraus sie besteht. Das beschäftigte viele Historiker im 19. Jahrhundert, führt heute noch bei radikalen Flamen zu hitzigen Debatten. Professor Balthazar:
"Wir zeigen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Belgien. Belgien, das besteht seit der Revolution von 1830 real, in den Augen der Ausländer, und in den Augen der Belgier."
Immer wieder besticht im Museum der ausgeklügelte Aufbau. Der eilige Besucher bekommt mit suggestiven Radierungen, Plakaten, Karikaturen, Fotos einen guten Überblick. Schlagwortartige Titel wie "Geld ist Macht", "Von Geusen und Pfaffen", "Freistaat Kongo GmbH" oder "In Flandern flämisch" bleiben haften.
Wer mehr Interesse und Zeit hat, findet in Schubladen unter den Vitrinen, in Kopfhörern und auf Videos mehr Dokumente. Echt Geschichtsbeflissene kommen in der Bibliothek mit zahlreichen Computern und gedruckten Standardwerken voll auf ihre Kosten.