Stuttgart

Fahrverbote spalten die Regierung

Autofahrer werden am 25.1.2019 in Stuttgart gebeten, das Fahrzeug stehen zu lassen und auf den öffentlichen Personennahverkehr umzusteigen.
Autofahrer werden am 25.1.2019 in Stuttgart gebeten, das Fahrzeug stehen zu lassen und auf den öffentlichen Personennahverkehr umzusteigen. © imago stock&people
Von Uschi Götz · 19.02.2019
Seit Jahresbeginn gilt in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ein Fahrverbot für ältere Diesel der Euronorm 4. Aussagekräftige Resultate bleiben derzeit aus. Für die grün-schwarze Koalition ist das Fahrverbot eine politische Zerreißprobe.
"Umweltzone – Dieselfahrzeuge außer Lieferverkehr ab Euro 5 frei" - die Schilder an allen Einfallstraßen Richtung Stuttgart sind nicht zu übersehen. Wer mit einem Diesel der Euronorm 4 oder einem älteren Modell in die Stadt fährt, macht sich strafbar. Etwa 72.000 Fahrzeuge sind allein in Stuttgart und Umgebung von dem seit Jahresbeginn geltenden Fahrverbot betroffen.
"Wir kontrollieren stichprobenartig. Das genügt auch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Wir fangen jetzt nicht an, Straßensperren zu errichten. Die Politessen in Stuttgart werden bei Gelegenheit danach Ausschau halten, ob ein besonders altes Auto vorhanden ist, dann wird man die Nummer notieren und bei den verschiedenen Dateien nachschauen, ob es ein Euro 4-Fahrzeug ist."

Luftqualität konstant, Feinstaubwerte sinken

Die Luftqualität hat sich seit Einführung des Fahrverbots nicht messbar verändert. Im Gegenteil: Bis Mitte Februar wurde der Grenzwert für Feinstaub am Neckartor bereits an sechs Tagen überschritten. Der Grenzwert liegt dabei bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter und darf nicht öfter als 35 Mal im Jahr überschritten werden.
Allerdings sinken die Feinstaubwerte seit einigen Jahren insgesamt in der Schwabenmetropole, was im Rathaus auf verschiedene Maßnahmen zurückgeführt wird. So werden nachts etwa die Straßen um das Neckartor gereinigt, Feinstaubfilteranlagen wurden entlang einiger Straßen installiert und immer wieder wird Feinstaubalarm ausgerufen. An diesen Tagen werden Autofahrer aufgefordert umzusteigen, Komfortkamine dürfen dann nicht angefeuert werden.
Auch die Stickoxidwerte gehen etwas zurück, doch dieser Trend zeigte sich bereits im vergangenen Jahr, ist also im Moment noch nicht mit dem Fahrverbot in Verbindung zu bringen. Hier wird der Grenzwert noch auf 22 Straßenkilometern in Stuttgart überschritten. Ausgangspunkt war eine Überschreitung der Werte auf 70 Kilometern Straße: "Aber die Luft ist noch nicht ausreichend gut und deshalb sind wir ja auch vom Bundesverwaltungsgericht dazu verurteilt worden, die Fahrverbote in einem ersten Punkt, Euro 4, zu erlassen."

Fahrverbot ändert Fahrzeugkaufverhalten

Beim Fahrzeugkauf hat das Fahrverbot bereits im vergangenen Jahr Wirkung gezeigt: Mit fast 30.000 wurden in Stuttgart bis Ende des Jahres so viele Benziner wie zuletzt im Jahr 1999 zugelassen. Jeder fünfte neuzugelassene Wagen war ein SUV oder Geländewagen. Doch auch die Neuzulassung von Elektro- und Hybridfahrzeugen hat sich innerhalb von zwei Jahren auf 3.000 Fahrzeuge verdreifacht.
Im Stuttgarter Rathaus werden indes scharfe Töne vermieden, das Fahrverbot hat längst eine unkalkulierbare politische Sprengkraft entwickelt. Für eine Zwischenbilanz sei es noch zu früh, sagt Ordnungsbürgermeister Martin Schairer:
"Wir können eigentlich noch nicht so richtig feststellen, ob es mit den Dieselfahrverboten klappt. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir schon über 8.000 Aufnahmeanträge bei unserem Ausnahmeteam haben. 2.500 Ausnahmen haben wir schon erlassen und etwa 3.000 Ablehnungen. Das bedeutet also: Die Leute die beschäftigen sich sehr intensiv mit den Fahrverboten."
Martin Schairer spricht in zwei Mikrofonen vor einem beigen Hintergrund.
Martin Schairer, Bürgermeister der Stadt Stuttgart, spricht am 19.09.2017 in Stuttgart (Baden-Württemberg).© picture alliance / Sebastian Gollnow/dpa
Lieferwagen, Rettungsfahrzeuge, Wohnmobile, Reisebusse dürfen bei entsprechenden Nachweisen in die Stadt. Auch wer zum Arzt muss, kann einen Antrag stellen. Keine Sondergenehmigungen gibt es dagegen für Fahrten zu Kulturveranstaltungen. So hatte etwa ein Konzertveranstalter vergeblich Ausnahmen für seine meist ältere Kundschaft gefordert. Wer im Rahmen anderer Verstöße entdeckt wird, muss auch zahlen. Lediglich für Stuttgarter gilt noch eine Übergangsfrist bis zum 1. April.
"Wir können als Bußgeldbehörde auch feststellen, ob jemand mit einem Euro 4-Fahrzeug zu schnell gefahren ist und dann kann es sein, dass zu der Bußgeldverhängung wegen Geschwindigkeit, auch noch 80 Euro Bußgeld wegen Verstoß gegen das Fahrverbot dazu kommt."
Ausreden gibt es keine mehr. Ende vergangenen Jahres wurden betroffene Fahrzeugbesitzer informiert: "Wir haben einen Brief bekommen von Flensburg, dass wir mit Euro 4 dürfen wir nicht mehr in die Stuttgarter Stadtmitte hineinfahren." – "Und jetzt haben wir einen anderen, auch wieder Mercedes." – "Dafür haben wir halt ein bisschen mehr bezahlt."

Demonstrationen gegen Fahrverbote

Ein bisschen mehr bezahlen können oder wollen etliche Besitzer eines älteren Diesel aber nicht. Mitte Januar rief der 26-jährige Porsche-Mitarbeiter Ioannis Sakkaros zum Protest gegen das Verbot auf. Auf Anhieb folgten mehrere Hundert dem Aufruf und kamen zu einer Demonstration in der Nähe des Stuttgarter Neckartors: "Das ist nicht verhältnismäßig, dass wir hier alle enteignet werden."
Mittlerweile findet jeden Samstag eine Demo mit Kundgebung statt. In Anlehnung an die Proteste in Frankreich tragen viele Teilenehmer gelbe Westen. "Ich lebe hier in Stuttgart, in Stuttgart-Sillenbuch, habe eine Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern und ich bin zweifach durch dieses Dieselfahrverbot betroffen mit zwei E 4-Dieseln."
Nikolaus Sauer hat eine Anzeige gegen den grünen Verkehrsminister Winfried Hermann erstattet. Bislang ohne Erfolg. Jetzt wirbt der Stuttgarter im Internet für die Unterstützung eines weiteren juristischen Vorstoßes und sammelt dafür Geld. Immer wieder skandieren Demonstranten "Grüne weg". Nikolaus Sauer ist überzeugt davon, hinter vielen Maßnahmen, wie etwa der Platzierung der Messstelle am Neckartor, stecke eine grüne Ideologie: "Die Grünen opfern auf dem Altar des Umweltschutzes, opfern die die Freiheit der Menschen."

Ärger in der Regierung

Dagegen wehrt sich der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann vehement. Vor allem gegen den Vorwurf, seine Partei sei für das Fahrverbot in Stuttgart oder die Platzierung der Messstelle am Neckartor verantwortlich: "Also der Aufschrei gegen die Grünen bis hin zu solchen Ausdrücken wie 'Ökostalinisten', da muss ich nur sagen: 'Herr wirf Hirn runter!'" Nichts sei mit grüner Beteiligung geschehen, so Kretschmann, auch nicht die Platzierung der Messstelle am Neckartor. Diese sei in der Regierungszeit der CDU aufgestellt worden. Doch das interessiert die mitregierende CDU in Baden-Württemberg nicht mehr.
Das Thema Fahrverbot spaltet die Regierungskoalition. Mittlerweile rief auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann zu weiteren Demonstrationen gegen Fahrverbote in Stuttgart auf. An der Seite der CDU stand dabei die oppositionelle Landtags-FDP mit auf der Straße. CDU-Landeschef Thomas Strobl, als Innenminister auch stellvertretender Ministerpräsident in Baden-Württemberg, geht auf direkten Konfrontationskurs mit den Grünen.
Thomas Strobl (CDU), Minister für Inneres , Digitalisierung und Migration des Landes Baden-Württemberg, kommt zur Veranstaltung "Werkstatt-Gespräch" der CDU in das Konrad-Adenauer-Haus, der Zentrale der Partei.
CDU-Landeschef Thomas Strobl stellt sich gegen die Koalitionspartner in Baden-Württemberg.© Gregor Fischer/dpa
Nach einer Sitzung des Koalitionsausschusses wurde deutlich, wie tief der Graben zwischen Grün und Schwarz ist: "Wir alle haben gelesen, dass die Stadt München, deren Werte die schlechtesten in der ganzen Republik waren. Schlechter als die Werte am Neckartor inzwischen, im Zusammenhang mit zusätzlichen Messungen eine andere Lage hat. Und der Oberbürgermeister von München der Republik verkündet hat: Fahrverbote wird es in München nicht geben. Frage: Warum geht das in München und warum geht es nicht in Stuttgart?"

Fahrverbote auch für Diesel E 5?

Die Koalitionspartner hatten sich vor Monaten auf verschiedene Maßnahmen verständigt. Nach Auffassung von Strobl dauert die Umsetzung jedoch zu lang. Auf Druck der CDU werden in Kürze deshalb in Stuttgart weitere Messstellen aufgestellt, bestehenden überprüft, auch der Straßenbelag in Höhe des Neckartors soll ausgetauscht werden: "Mit dem klaren Ziel: Keine flächendeckenden Fahrverbote für Euro 5-Fahrzeuge. Die wird es mit uns nicht geben."
Eine klare Ansage an den Koalitionspartner. Sollte es zu Euro fünf Fahrverboten in Stuttgart kommen, und bislang sieht alles danach aus, könnte das zum Bruch von Grün-Schwarz führen. Gestern ruderte Strobl etwas zurück. Er glaube, dass man inzwischen auf einem guten Weg sei, um das vereinbarte Ziel, Euro 5-Fahrverbote zu vermeiden. Auch Ministerpräsident Kretschmann betonte, man wolle in jedem Fall weitere Fahrverbote verhindern. Allerdings erinnert Kretschmann auch daran: "Sie wissen, dass uns die Gerichte jetzt verpflichtet haben, mögliche Euro 5-Fahrverbote jetzt schon in den Luftreinhalteplan schreiben zu müssen, was wir nicht vorhaben."
Mitte des Jahres wird sich entscheiden, ob es in Stuttgart auch ein Fahrverbot für Diesel mit Euro 5 geben wird. Das hängt davon ab, ob die Stickoxidgrenzwerte eingehalten werden, oder nicht.
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