Museum der Woche

09.11.2007
Die Studienrätin und Sportlerin Margarete Schraube empfand eine besondere Leidenschaft für das 19. Jahrhundert und die Jahrhundertwende. Darum hob sie alles aus der Welt ihrer Eltern und Großeltern auf: Stühle, Schränke, Hausgeräte, ganze Einrichtungen. Diese Welt ist heute im Schraube Museum in Halberstadt zu bewundern.
Der Weg in das Museum führt über einen Hof in den rechten Seitenflügel. Ein eleganter Teppichläufer dämpft die Schritte in den ersten Stock. Übersichtlich, denkt sich der Besucher. Ein schmaler Gang, links Vitrinen an der Wand, rechts zweigen die vier Zimmer ab. Dieser Eindruck trüge, sagt Museumsdirektor Armin Schulze. 200 Quadratmeter misst die ganze Wohnung und über 9000 Objekte sind dort ausgestellt.

"Wir zeigen hier das Leben um 1900 in einer gutbürgerlichen Familie. Dinge, die man heute einfach so nicht mehr sieht. Wir können hier auch andeutungsweise zeigen, wie aufwändig es doch war, ein gutes Leben zu führen, zu kochen, zu backen, zu plätten."

Plätten musste Margarete Schraube ihre Kleider nicht. Hausangestellte erledigten die niederen Arbeiten. Überhaupt war das Leben der Familie Schraube ein ziemlich luxuriöses. Allein die Utensilien im Schlafzimmer zeugen davon. Ein Bidet konnte sich vor 100 Jahren nicht jeder leisten. Das Gefäß aus Porzellan sieht aus wie eine nierenförmige Waschschüssel mit einem Topf drauf. Ein hundert Jahre alter Waschzuber steht auf einer hölzernen Kommode, wunderschön bestickte Leinentücher mit dem Schraube-Emblem liegen daneben. Die Wände sind lindgrün angemalt. Typisch für die Gründerzeit, doch anstatt in einem Bett zu ruhen, zog Margarete Schraube eine Chaiselongue vor. Darin las sie, bis ihr die Augen zu fielen, erinnert sich die heute 84-jährige Nichte. Ursula Wohlfarth lebte bis zu ihrer Ehe im Erdgeschoss des Schraube-Anwesens. Ihre Tante heiratete dagegen nie.

"Sie war ihrer Zeit immer ein wenig voraus. Frau Schwarzer wäre stolz auf sie gewesen, wenn sie sie gekannt hätte. Sie war sehr emanzipiert, hat viele Reisen unternommen, hat auch viel darüber berichtet, auch als junge Frau. Letztendlich war sie ja auch so selbstständig, sie hat nie geheiratet."

"Also meine Tante hat deshalb nicht geheiratet, weil sie so wählerisch war. Sie war sehr anspruchsvoll, was sie an Forderungen stellte an die Menschen. Sie mussten belesen sein, sie mussten ein bisschen in der Welt Bescheid wissen."

Margarete Schraube genoss ihr unabhängiges Leben in vollen Zügen. Auch im kulinarischen Sinne. Davon erzählen die zahlreichen Gegenstände in Raum Nummer drei, der Küche. Zum Beispiel der oxidierte Metallkasten, der zwei Trichter hat und ein Schneiderad, mit dem man Bohnen in Windeseile schnippeln konnte. Oder die korrodierte Flotte Lotte, ein Gefäß mit zwei Schneebesen, in dem die Köchin Apfel- oder Pflaumenmus zubereitete. Auch ihr Rezeptbuch ist überliefert. Vor allem Süßspeisen scheinen es Margarete Schraube angetan zu haben: Quarkplätzchen und Griesbrei.

"Sie hat sehr gerne gekocht, hat auch gerne gebrutzelt, sich was Schönes gemacht. Sie war ihrem Körper keine Stiefmutter, wie man so schön sagt."

Die Funktion einer kniehohen Schüssel allerdings gibt Rätsel auf. Nicht alle Geräte und Funktionen seien überliefert, sagt Museumsdirektor Armin Schulze und lächelt entschuldigend. In der Mitte des Raumes steht ein blau angemalter Holzschrank, dessen Funktion dem Besucher erst einmal Rätsel aufgibt. Armin Schulze klappt den Deckel auf. Die oberste Schublade ist mit Metall ausgekleidet.

"Dieser Eisschrank, das ist natürlich auch wieder so ein Wunderding aus vergangenen Jahren. In jeder größeren Stadt gab es eine Eisfabrik. Das hielt dann da drei vier fünf Tage, und dann kam halt das nächste Eis rein und so konnte man die Dinge, die es nötig hatten, im Sommer auch kühl halten."

Der lange Flur, eine Flucht von Zimmern, schließlich das Prunkstück der Wohnung: der Speisesaal oder besser gesagt, gut bürgerlicher Festsaal. 1890 scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein. Die gold besetze Salontapete mit Neorenaissanceformen taucht den Saal in ein gedämpftes Licht. Der prachtvoll verzierte Eisengussofen wurde in Ilsenburg in Auftrag gegeben und spendete im Winter den Damen ein bisschen Wärme. In der Mitte des Raumes steht eine gedeckte Tafel. Schwere Messingleuchter, Kristallgläser, Meißner Porzellan auf einer blütenweißen Leinendecke. Von der stuckverzierten und aufwendig bemalten Decke baumelt ein goldfarbener Kronenleuchter, der noch mit Gas befeuert wurde. Ursula Wohlfahrt war noch ein Kind, als hier rauschende Bankette gefeiert wurden.

"Mein Großvater der Major war, der hat hier vor allem seine Feste gefeiert. Für den ist das eigentlich angelegt worden."

Alles aufheben an Ort und Stelle, aufbewahren für alle Zeit, das ist wohl das Motto von Margarete Schraube gewesen. 1980 ist sie in Halberstadt gestorben. Mit ihrem Vermächtnis zeigt sie, wie die Menschen vor 100 Jahren gelebt haben. Und mit dem gut bürgerlichen Speisesaal ist ihr das besonders gut gelungen.