Museum der Woche

Von Kim Kindermann |
In Gießen findet sich ein Ort, der schlau und glücklich macht. Mit seinen über 100 ungewöhnlichen Exponaten öffnet das Mathematikum, das erste mathematische Mitmach-Museum der Welt, nicht nur eine neue Tür zur Mathematik, sondern es schärft die Sinne, animiert zum Spielen und löst oft einen wohligen Aha-Effekt aus.
In der Mitte des großen Raumes steht sie, die riesige Kugelbahn. Fast acht Meter ist sie hoch, durch ihre Bahnen und Plexiglasröhren kullern dreißig Kugeln. Mal schnell, mal langsam.

Sie stoßen sich an, drehen Loopings, warten aufeinander, machen Töne und drehen buntbemalte Scheiben an. Schön anzuschauen, das alles. Vor lauter Staunen vergisst man dabei völlig, dass hinter diesem Kunstwerk mathematische und physikalische Gesetze stecken. Und genau das soll man auch: Das Mathematikum will einen neuen Zugang zu dieser oft ungeliebten, weil zu abstrakten Wissenschaft öffnen.

"All die Exponate, die wir hier haben, sind eigentlich Probleme."

Professor Albrecht Beutelspacher. Er ist Mathematiker, geistiger Vater des Mathematikums und folglich der Museumsdirektor.

"Man muss durch Nachdenken, ein Problem lösen. Eine Brücke bauen, etwas richtig beobachten – das macht richtig glücklich, wenn man ein oder zwei dieser Probleme gelöst hat. Das heißt auch Mathematik: durch eigenes Nachdenken Erkenntnisse erzielen."

Ganz nach Pythagoras, fügt der Museumsdirektor augenzwinkernd hinzu. Der habe immerhin entdeckt, dass man Erkenntnisse nicht nur durch göttliche Eingebung erhalte, sondern auch durch eigenes Nachdenken. Und das wird in diesem lichtdurchfluteten, dreistöckigen Mathematiktempel mit seinen über 100 Exponaten heftig gefördert: Etwa wenn man aus hölzernen Kugelstäben eine Pyramide baut, durch Würfeln eine zufällige Musikkomposition am Computer erstellt oder einfach indem man Puzzle richtig zusammensetzt. Etwa das sogenannte Penrose Puzzle, Beutelspachers Liebling:

"Das ist aus mehreren Gründen ein fantastisches Experiment: Der Schwierigkeitsgrad ist genau richtig, nicht zu leicht, nicht zu schwer. Es dauert fünf bis zehn Minuten, bis alles fertig ist. Das ist ein Muster aus der modernen Mathematik und wurde vor 30 Jahren erfunden von Roger Penrose. Das ist im Gegensatz zu allen anderen Mustern wie dem Bodenbelag eins, das die Fortsetzung bis in die unendliche Ebene erreicht."

Staubig komplizierte Gleichungen und Formeln sucht man Mathematikum vergebens. Viel öfters hört man Lachen. Denn hier wird gespielt. Leidenschaftlich. Egal ob jung oder alt, alle wollen die Experimente ausprobieren, mitmachen. Da spielt ein etwa achtjähriger Junge gegen seine Mutter Hörmemory. Zwei gleiche Geräusche muss man hier möglichst schnell finden und per Knopfdruck bestätigen. Ein vierzigjähriger Mann lässt Holzkugeln um die Wette laufen. Und muss feststellen, egal wie groß der Abstand ist, sie kommen immer gleichzeitig an. Und ein kleines Mädchen betrachtet sich verzückt im Spiegel, wo sie dank einer optischen Täuschung zu schweben scheint. Doch egal welches Experiment man hier macht, alle scheinen einfach zu sein.

"Keins sagt, ich bin zu schwierig für dich. Sehen aus wie Spielzeug und haben deshalb keine Hemmschwelle."

Freut sich Albrecht Beutelspacher über seine einfache wie geniale Idee, die ihm bereits 1994 kam. Damals bat er seine Studenten, Modelle zu bauen, anhand derer man Mathematik erklären kann.

"Man muss die richtige Idee haben und wenn man die hat, ist das wie ein Blitz der Erkenntnis. Der bleibt haften. Und man nimmt mit nach Hause, wie setzt sich der Würfel oder die Pyramide zusammen, das heißt, man erlebt nicht nur das Objekt, sondern auch die innere Struktur. Also, man blickt in das Wesen eines Dreiecks, einer Pyramide oder Würfels hinein."

Aus Beutelspachers Seminar entwickelte sich zunächst eine Wanderausstellung. Doch die war so erfolgreich, dass der umtriebige Professor einen Förderverein gründete und wenig später von der Stadt Gießen das alte Hauptzollamt zur Verfügung gestellt bekam. An zentraler Stelle, nur eine Minute vom Hauptbahnhof entfernt. Bis zur Eröffnung dauert es dann bis 2002. Dann aber war es soweit, und das weltweit erste mathematische Mitmach-Museum öffnete seine Pforten.

"Viele benutzen das Wort Glück, wenn sie das Mathematikum beschreiben, sie verlassen es glücklicher als sie reingekommen sind. Das liegt vor allem daran, dass diese Erkenntnisse einem das Gefühl geben: Du hast ein bisschen kapiert, wie die Welt funktioniert."