Museum der Woche

Von Sigrid Brinkmann · 14.09.2007
Am Rand des Altstadtkerns von Celle steht das erste 24-Stunden-Kunstmuseum der Welt. Jeden Morgen und jeden Abend, wenn es auf- beziehungsweise abgeschlossen wird, wechselt das Museum seine Farbe. Tagsüber präsentiert es Kunst im Innenraum. Nachts, bei verschlossenen Türen, entdeckt man draußen Lichtkunst, und die gläsernen Wände werden zur klingenden Membran.
Lange weiße Fluchten, hellgraue Metallträger als Stützen zwischen den Wänden. Der erste Blickfang ist "Das Spiegelei". Ein sattes gelboranges Rund aus Acrylfarbe und Öl auf Plexiglas gemalt. Das dick aufgetragene Eiweiß zeigt Risse. Im rechten Winkel dazu ein weiteres Lieblingsbild vieler Besucher: "Die Müllhalde". Die Struktur der Müllschichten entdeckt man nur, wenn man Abstand nimmt. Die Kunstwissenschaftlerin Daphne Mattner zieht mich hinter eine Stellwand zur filigranen Glasmalerei von Vollrad Kutscher.

"Und zwar malt er mit Glasfarbe auf fingerkuppengroße Glaskappen das Porträt von verstorbenen Celler Persönlichkeiten und stülpt dann diese Glaskäppchen auf eine kleine Halogenlampe, so dass im Hintergrund dieser Lampe ein Schwarz-Weiß-Porträt projiziert wird, was, je dunkler es wird, so eine Dreidimensionalität entwickelt, so dass es fast scheint, als würden diese historischen Persönlichkeiten wie Geistergestalten aus der Wand oder aus der Vergangenheit zu uns hervorgucken."

Auf jeder Etage stößt man auf Nischen für Lichtkunst, aber die größte Wunderkammer ist die Rauminstallation, die Otto Piene geschaffen hat. Piene hat in den 50er Jahren die legendäre Künstlergruppe "Zero" mitbegründet. Für Celle hat er einen "Lichtraum" gebaut. Es gibt nur drei solcher Räume in Deutschland. Die Kammer hat doppelte Außenwände. Die inneren Wände sind von Löchern perforiert. Kleine Glühbirnen beginnen sich zu drehen, sobald ein Besucher den Raum betritt. Susanne McDowell, die Geschäftsführerin des Museums:

"Otto Piene, der in seinem hohen Alter jedes Loch selber gebohrt hat, hat die Spektralfarben auch noch dabei berücksichtigt, das heißt, wenn alles leuchtet und sich bewegt, dann befinden Sie sich in einem Weltall aus Farben, Formen und Bewegung und sitzen in einem Raum, der zur Meditation einlädt – und jetzt mach’ ich den Vorhang zu, damit Sie’s erleben!"

Allein inmitten der Galaxis. Zwei Würfel stehen auf dem Boden, ebenfalls mit Lichtelementen gefüllt. Scharfrandige Himmelskörper tanzen an den Wänden, Spiralnebel fliehen, sanfte Formen, die an Feuerquallen erinnern, schweben seitlich hinab. Wieder in vollem Licht, eine Treppe aufwärts stehen wir vor Peter Basselers 90 cm breiten Objektkästen. Jedes Detail der Miniaturszenerie ist handgefertigt. Manchmal arbeitet der Künstler-Tüftler ein Jahr an einem Schaukasten. Hintersinnig und ironisch sind die Anordnungen. Da steht der Alarmkasten. Er ist von Schlamm überzogen. Im Vordergrund drei Polizisten. Der eine läuft unbeschmutzt auf dem Schlamm, der zweite überpinselt ihn und schafft so eine neue Wirklichkeit, und der dritte versinkt im Dreck. Susanne McDowell beschreibt ihren Lieblingskasten.

"Der Schauplatz ist ein Dachboden, und auf diesem Dachboden vertreiben sich zwei Millionärssöhne die Zeit damit, dass sie den Staub in Flugzeugformen verwandeln. Peter Basseler ist liiert mit Mirella Halfer, einer wunderbaren Malerin, und Mirella musste Haare lassen, denn aus ihren Haaren wurde dann der verformte Staub hergestellt."

Robert Simon, das zeigt seine Sammlung deutlich, hat viel Sympathie für die "Solitäre" des Kunstmarktes. Ein Künstler wie Peter Basseler hat weder Vorbilder noch Schüler. Wir lassen die Kabinette mit Zeichnungen von Joseph Beuys und Antoni Tàpies und die Kunst vieler zeitgenössischer Maler hinter uns und treten hinaus in den nachtdunklen Abend – auf die gegenüberliegende Straßenseite.

Das Celler Schloss im Rücken, schaut man auf den leuchtenden Kubus. Die Farben wechseln fließend von orange zu grün, blau, violett, rot und gelb. Mal wirkt die feinabgestufte Skala blass, mal strahlend.

"Es passiert alles über zwei Diodenstreifen, die Sie da oben durchscheinen sehen und über diese Lichtschienen wird die ganze Fassadenbeleuchtung gesteuert. Wir können jetzt gleich noch mal hier links vorbei am Gebäude in die Fritz-Grashoff-Gasse gehen und uns mal die anderen Lichtobjekte anschauen."

Höchstens zwei Meter breit ist die Kopfsteingepflasterte Gasse. Ein zartes Lichtfries lenkt den Blick auf die gebogene Fassade des Museums.

Der Schweizer Francesco Mariotti hat sie mit 8000 Dioden bestückt und eine "Quantenlandschaft" gebastelt. Ein Bewegungsmelder sorgt zugleich für Geräusche.

"Man kann durchaus beobachten, wie normalerweise sehr ernsthafte Personen sich hier in Kinder verwandeln, hin und her laufen und sich freuen, wenn sie damit richtig Krach anrichten."

Die gläsernen Hauswände werden zur Membran, durch die man ins Innere spähen kann. Das Celler Kunstmuseum feiert das Licht ebenso wie die Schatten.

Hinter dem Haus, vor der Stadtkirche, ragt Otto Pienes Skulptur "Feuerwerk" in den Himmel. Sie besteht aus zwei kugeligen grellroten Sternen. Ihr Schweif ist im Boden verankert. Bei Nacht scheint es, als wollten die Sternenzacken sich in den umstehenden Häusern versenken.