Muriel Barbery: "Das Leben der Elfen"

Schade um den schönen Nebel

Von Carolin Fischer · 09.06.2016
Niemand kann den Welterfolg des Romans "Die Eleganz des Igels", in über 30 Sprachen übersetzt, so ganz erklären – aber mit ihrem neuen Roman "Das Leben der Elfen" gibt Muriel Barbery uns ganz andere Rätsel auf.
Bereits die Geschichte der hochintelligenten Renée, die ihr Interesse für Literatur und Philosophie sorgsam verheimlicht und sich in der Rolle einer Concierge "einigelt", konnte man als eine Art Märchen lesen, wenngleich dieses Aschenbrödel nicht von einer Kutsche zu ihrem Prinzen gebracht, sondern – wie Roland Barthes – vom Lieferwagen einer Wäscherei überfahren wird.
Allerdings war die Handlung ganz konkret im Hier und Jetzt eines eleganten Pariser Wohnhauses verortet, wohingegen die Abenteuer, die zwei kleine Elfenmädchen bestehen müssen, sich in einem ziemlich im Vagen gelassenen Dorf in Burgund und in einer römischen Villa abspielen – zu einer Zeit, in der man Pferdefuhrwerke nutzt und Frauen Hauben tragen, während der Elfenrat im "Nebelpavillon" tagt.
Die Elfen klagen, dass die Nebel sich zurückziehen, doch vieles bleibt nebulös in diesem Roman, auf den Muriel Barbery ihre Leser hat acht Jahre warten lassen. Auch trägt der von ihr gewählte komplexe Stil, dem man eine gewisse Schwülstigkeit vorwerfen könnte, nicht unbedingt zur Klarheit bei, ist oft mehr Raunen als Sagen.
Warum also sollte man den Roman lesen? Weil es der Autorin mit dieser poetischen Fantasy gelungen ist, Szenen von einer intensiven Dichte und Wärme zu entwerfen, die so fern von unserem hektischen Alltag sind, dass sie Sehnsucht nach anderen Lebensformen wecken. Vor allem aber schafft Barbery auch hier wunderbare Figuren, was im wörtlichen wie im übertragenen Sinne gilt.

Angriffe übernatürlicher Mächte

Im Mittelpunkt stehen die Elfen Maria und Clara, die als Findelkinder bei Menschen aufwachsen. Während Clara in Rom beim "Maestro" ihre übernatürliche Begabung zum Klavierspiel und ihre seherischen Kräfte vervollkommnet, verteidigt Maria die Burgunder Bauern gegen die Angriffe übernatürlicher Mächte, die vermutlich vor allem ihr gelten – aber das wird, wie vieles andere in diesem Buch, offen gelassen. Bevor ihre Welt aus den Fugen gerät, hatte Marias Magie den Menschen, die sie liebevoll aufgenommen hatten, ein Jahrzehnt idyllischster Jahreszeiten beschert. So konnten steinalte Großtanten, die unermüdlich Haus und Hof besorgten, ungestört Köstlichkeiten produzieren oder heilende Kräutermischungen brauen.
Natürlich könnte man versuchen, das Buch als Plädoyer zu lesen: gegen die Hektik unseres heutigen Lebens, gegen die Großstadt, die moderne Medizin etc. Doch ist Muriel Barbery intelligent genug, um solche Platitüden zu vermeiden. Thymian und Knoblauch wirken als Heilmittel dort, wo es offenbar Antibiotika noch nicht gibt, und nicht die Menschen sind schuld am "Schwinden des Nebels". Vielmehr ist es die eigentliche Aufgabe der Elfenkinder, "Fiktionen und Träume zu schenken", und genau dies tut dieser Roman, sofern man sich auf sie einzulassen bereit ist.

Muriel Barbery: Das Leben der Elfen. Roman
Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder
DTV, München 2016
304 Seiten, 22,90 Euro

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