Munch ist der letzte Schrei

Von Agnes Bührig · 01.01.2013
Bücher, Dokumentarfilme, Ausstellungen, Vorträge und Stadtrundgänge über Leben und Schaffen – das Jubiläums-Programm, mit dem Norwegen den 150. Geburtstag des Malers Edvard Munch begeht, kann sich sehen lassen. Doch bei genauerem Hinsehen bröckelt die Fassade.
Ein neonheller Atelierraum im Keller des Munchmuseums im Norden von Oslo. Inger Grimstad stabilisiert mit feinem Pinsel von einem Gemälde abfallende Farbpartikel. Bis zur Eröffnung der großen Jubiläumsausstellung "Munch 150" im Juni müssen mehr als 250 Werke überprüft werden. Der Zustand der Bilder sei sehr unterschiedlich, sagt Grimstad:

"Munch hat seine Bilder sehr schlecht behandelt. Als die Stadt Oslo sie übernahm, hatten viele Schäden. Wir haben mehr als 1100 Gemälde im Haus. Es werden immer wieder dieselben Werke ausgestellt. Sie sind unter Beobachtung und gut gepflegt. Diejenigen, die weniger gefragt sind, hingen einfach nur im Magazin. Für deren Restaurierung gab es kein Personal. Sie sind in schlechtem Zustand."

Einige werden jetzt für die Jubiläumsausstellung aufgearbeitet. Denn das Ziel von "Munch 150" ist es, alle Schaffensperioden des großen Expressionisten zu zeigen. Dafür arbeiten Munchmuseum und Nationalgalerie zusammen. Doch das ist noch nicht alles, was der Munchliebhaber 2013 in Norwegen erleben kann. Der Direktor des Munchmuseums und Mitorganisator des Jubiläumsjahres, Stein Olav Henrichsen, berichtet:

"Wir haben einen großen Dokumentarfilm über Munch in Auftrag gegeben, mit internationaler Perspektive. Denn ein solcher Film, der für das internationale Kunstpublikum gemacht ist, fehlt uns bisher noch. Daneben werden wir Projekte machen, die die digitalen Medien mit einbeziehen. Damit wollen wir besonders Kinder und Jugendliche ansprechen."

Und weil das Munch-Jubiläumsjahr ein Ereignis für so viele Norweger wie möglich sein soll, wird es auch in acht Gemeinden, in denen Munch gelebt und gearbeitet hat, Konzerte, Vorträge und Stadtrundgänge geben.

Løten ist eine dieser Gemeinden, 140 Kilometer nördlich von Oslo gelegen. Im kleinen, neu eröffneten Munchzentrum wird daran erinnert, dass der Maler hier Mitte des 19. Jahrhunderts als Sohn eines Militärarztes auf die Welt kam. Nach dem Umzug in die Hauptstadt sterben seine Mutter und seine Schwester Sophie an Tuberkulose. Die Urängste des kleinen Kindes verarbeitet Munch künstlerisch. Es sei ihm darum gegangen, das Unverständliche zu verstehen, sagt die Kunsthistorikerin Iris Müller-Westermann, eine anerkannte Kennerin seines Werkes:

"Er hat Bilder gemalt über Zusammenhänge, die ihm nicht klar waren, und in diesem Prozess des Bilderschaffens hat er sich Klarheit verschafft. Wenn man zum Beispiel an das berühmte Bild "Der Schrei" denkt, es hat ja seinen Ausgangspunkt in einem Selbstbildnis. Und wie sich das verändert. Und wie ein Gefühl von einer Stimmung von Angst zum Beispiel, wie er etwas malt, was man nicht sehen kann, und wie dieses Gefühl der Angst dann durch das ganze Bild ausdrückt wird.""

Das Programm des Jubiläumsjahres klingt vielversprechend. Doch der Umgang mit Munchs Werk in seiner Heimat insgesamt wirkt wie eine Provinzposse. Das Budget fürs Jubiläumsjahr wurde erst nach Protesten aus Kunstkreisen staatlich aufgestockt. Im Stadtparlament der Hauptstadt streitet man seit vielen Jahren darüber, wo und wie ein neues Munchmuseum entstehen könnte, denn das alte Haus aus den 60er Jahren ist längst zu klein. Noch einmal Iris Müller-Westermann:

"Das Problem ist, dass das Munchmuseum kein staatliches Museum ist, sondern dass er der Stadt Oslo seinen Nachlass vermacht hat. Und vielleicht, wenn es ein staatliches Projekt wäre, wäre das einfacher zu realisieren. Man hat eben Menschen, die mit Kultur nicht so viel zu tun haben, zu überzeugen, und mir scheint es ein politisches Spiel zu sein, wo Parteien und wo unterschiedene Agenden sich ausspielen und wo es eigentlich nicht richtig um Kultur geht. "

Dass es auch anders geht, macht der Millionär und Kunstsammler Petter Olsen vor. 2012 hat er seine Version von Munchs Schrei für 120 Millionen Dollar verkauft. Jetzt investiert er einen Teil der Summe in ein privates Museum. Dass ein privater Akteur schneller ist, verwundert den Direktor des kommunal geführten Munchmuseums, Stein Olav Henrichsen, allerdings nicht:

"Beim Munchmuseum geht es um eine Investition der Stadt Oslo von umgerechnet 240 Millionen Euro. Dass die Politiker Zeit brauchen, dafür eine solide Mehrheit in der Stadtverwaltung zu bekommen, versteht sich von selbst. "

Es bleibt also zu hoffen, dass im Jubiläumsjahr das Verständnis für die Bedeutung Munchs im eigenen Lande wächst - auch bei den Stadtpolitikern Oslos.

Links auf dradio.de:

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