Multikulti in angespannter Gesellschaft
In Malakka im Westen Malaysias hat sich einiges vermischt: Europäische, chinesische und malaiische Baustile, die Küchen der Welt, die verschiedenen Volksgruppen und Mentalitäten. Gleichzeitig ist vieles so geblieben, wie es seit Jahrhunderten war. Das wichtigste Gut Malakkas ist die Weltoffenheit in einer Zeit, in der im Vielvölkerstaat Malaysia Toleranz immer kleiner geschrieben wird.
Rote Lampions, bunte Häuser, Verkaufsstände, an denen sich Malaien, Chinesen und Europäer drängen. Das Sprachgewirr ist babylonisch, das Durcheinander komplett. Pfeffer und andere exotische Gewürze werden in Plastiktüten und Stoffsäckchen als Souvenir aus Malakka verkauft – Samstagabend auf der Jonker-Straße. Jedes Wochenende wird die Hauptstraße im historischen Zentrum zu einem riesigen Nachtbasar.
Indische Stoffe, chinesische Seide, feines Porzellan gibt es da zu kaufen, ganz wie in den alten, längst vergangenen Handelszeiten. Im 21. Jahrhundert sind chinesisches Billigspielzeug und mehr oder weniger geschmackvolles Kunsthandwerk dazugekommen – und die Gettoblaster-Musik. Gefeilscht wird dagegen nicht mehr – „fixed price“, alles nur zum Festpreis, verkünden Plakate an den Ständen.
Malakka, Melaka, wie es in der Landessprache Bahasa heißt, liegt an der Westküste Malaysias, gehört seit 2008 zum Weltkulturerbe, hat knapp 400.000 Einwohner und viel, viel Geschichte.
Zuerst kamen Araber, Chinesen und Inder. 1511, vor genau 500 Jahren, eroberten die Portugiesen Malakka. 1641 besiegten die Niederländer die Portugiesen und übernahmen die Herrschaft, die sie dann 1824 an die Briten abgeben mussten. 1957 schließlich wurde in Malakka die Unabhängigkeit Malaysias erklärt. Kein Wunder, dass die Stadt, die der Meerenge zwischen Malaysia und der indonesischen Insel Sumatra, der Straße von Malakka, ihren Namen gegeben hat, eine echte Multikulticity ist, meint der Inder Arun Pilé:
„Das besondere an Malakka ist, dass wir alle zusammenhalten. Wir verstehen und respektieren die anderen und ihre Religionen. Es gibt keinen Hass, das ist das Wichtigste.“
Am deutlichsten wird das auf der Tempel-Straße, an der Arun seinen kleinen Gemischtwarenladen betreibt. 50 Meter links ruft der Muezzin die muslimischen Malaien in die schneeweiße Kampung Kling Moschee mit ihrem stolzen Minarett. Gleich nebenan rechts versammeln die Hindus sich im Sri Poyatha Vinayagar Moorthi Tempel. Gelebte Toleranz: „Erst beten die Muslime. Wir warten eben und beten nach ihnen“, sagt Arun lächelnd: „Warum sollten wir uns deswegen streiten?“
Am Ende der Straße wird ebenfalls gebetet. Im chinesischen Ching Hung Ting Tempel steigen dicke Weihrauschschwaden auf. Wuchtige rote Säulen mit goldenen chinesischen Schriftzeichen stehen im Hof, das Dach zieren wilde Fabeltiere. Lampions und Räucherstäbchen. Josephine Chua erklärt stolz:
„Wir glauben, das ist der älteste chinesische Tempel in Malaysia. Seine Geschichte geht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Es gibt einen Stein mit der Jahreszahl 1685, also muss er viel älter sein.“
Josephine, eine kleine Frau Mitte 50 ist Mitglied des Tempelrats. Das Bild ihres großzügigen Vorfahren ziert die Bildergalerie im Sekretariat. Genauso stolz wie auf ihn ist sie darauf, eine „Nyonya“ zu sein. So heißen die Frauen der chinesisch-malaiischen Mischrasse, die im Lauf der Jahrhunderte in Malakka entstanden ist. Viele chinesische Händler nahmen sich malaiische Frauen, als sie sich fern der Heimat ansiedelten. Sie nennen sich „Peranakans“, auf Deutsch die Nachkommen. Und die Männer heißen „Babas“.
Die Babas waren sehr reich, sie haben den Grundstein unserer Wirtschaft gelegt. Sie konnten sich alles leisten, versichert Robert Seet vom Peranakan-Verband, zeigt das alte Baba-Haus in der historischen Innenstadt, das sein Verein zu einem Museum umgebaut hat. Ein europäisch-chinesisches Stilgemisch und alles vom Feinsten. Italienische Möbel, ein englischer Safe und ein chinesischer Brunnen zwischen Küche und Wohnzimmer. Das sei alte Tradition, erklärt Roberts Kollegin Betty Ong:
„Das Regenwasser wird vom Dach in den Brunnen geleitet und sprudelt dann aus dem Maul des steinernen Fisches. Chinesen glauben, Wasser bringt Wohlstand. Den soll der Brunnen ins Haus bringen.“
Leider verlassen die, die Malakka regieren, sich nicht nur auf chinesische Traditionen, was das Reichwerden betrifft. Obwohl die Stadt Weltkulturerbe ist, wird überall und maßlos gebaut: Auf dem Meer abgewonnenen Grundstücken neben der historischen Altstadt entstehen Hochhäuser und verstellen die Sicht auf die Straße von Malakka. Selbst gleich neben der alten portugiesischen Festung A'Famosa schießt ein monströses Hochhaus in den Himmel. Der Denkmalschützer Colin Goh – er ist übrigens Nachkomme portugiesisch-niederländischer Vorfahren – klagt:
„Das Traurige ist, dass schon zu viel zerstört wurde. Das alte, schöne Malakka wurde einer zweifelhaften Modernisierung geopfert. Was ist aus unserem berühmten Hafen geworden? Warum sehen wir die Straße von Malakka nicht mehr? Hochhäuser versperren die Aussicht aufs Meer, es ist nur noch vom Berg der St.-Pauls-Kirche aus zu sehen. Aber der Hafen, der uns einst groß und berühmt gemacht hat, ist völlig verschwunden.“
Doch inzwischen regt sich Widerstand gegen die Zerstörung. Als selbst der Bukit China aus dem 17. Jahrhundert Neubauten Platz machen sollte, gingen die sonst so friedlichen Peranakans auf die Barrikaden, erinnert sich die Geschäftsfrau Marcia Tan:
„Der Bukit China ist der größte chinesische Friedhof außerhalb Chinas. Vor zehn Jahren wollte die Regierung ihn bebauen lassen. Da sagten alle Chinesen, wenn ihr das tut, müsst ihr die Gräber selbst wegmachen. Kein Chinese wird euch dabei helfen und die Geister der Toten werden euch verfolgen. Ich weiß nicht, ob das der Regierung Angst gemacht hat. Auf alle Fälle hat sie ihre Entscheidung noch einmal überdacht und so wurde dieser einzigartige Friedhof erhalten.“
Tradition ist den Bewohnern von Malakka eben sehr wichtig. Selbst portugiesische Volkstänze gehören dazu. Zumindest im Medan Portugis, dem portugiesischen Viertel. In der Kneipe „Papa Joe“ fliegen die roten Röcke der sich drehenden Mädchen, die Jungs in Kniebundhosen und schwarzen Westen klatschen die Hände. Dutzende Videokameras und Fotoapparate sind auf sie gerichtet. Chinesen starren mit offenen Mündern auf das seltsame Spektakel, vergessen – und das hat einiges zu bedeuten – sogar ihr Abendessen. Im Medan Portugis leben die Nachkommen der portugiesischen Entdecker. Noel Felix, Komponist und Musiker, ist 79 Jahre alt und hat einen Heidenspaß:
„Gott sei gelobt, denn wir können stolz darauf sein, dass wir hier noch immer die Traditionen und die Sprache von 1511 pflegen. Als portugiesische Gemeinschaft müssen wir sicherstellen, dass dieses Erbe weitergegeben wird. Ich habe hier mehrere Brauchtumsgruppen gegründet, wir tanzen sogar die alten Tänze bis zum heutigen, gesegneten Tag.“
Auch wenn die Haut derer, die sich Portugiesen nennen, inzwischen kaffeebraun ist und die Gesichtszüge eher asiatisch sind, tief in ihren Herzen sind sie stolze Lusitanier geblieben. Die Angehörigen dieser euro-asiatischen Mischrasse haben sogar eine eigene Sprache, Papiá Kristang, die Sprache der Christen, heißt sie. Es ist eine archaische Form des Portugiesischen, angereichert durch malaiische und chinesische Lehnwörter. Auch Kelvin Montero spricht sie, ein 19-jähriger Student der Kommunikationswissenschaften und begeistertes Mitglied der Volkstanzgruppe:
„Das Leben im portugiesischen Viertel von Malakka ist super. Meine ganze Familie lebt hier, sogar meine Urgroßeltern. Das ist erlebte Geschichte! Mann, schade, dass viele das nicht mitkriegen.“
Schade auch, dass Kelvin nach dem Studium sein geliebtes portugiesisches Viertel wahrscheinlich erst mal verlassen muss. Denn gute Jobs sind rar im Medan Portugis, immer mehr junge Menschen gehen weg, bestätigt Kelvins Freund Stanislaus:
Es komme natürlich auf die Jugendlichen an, aber entweder sie gingen weg um gutes Geld zu verdienen, oder sie würden arme Fischer. – Kelvins Berufswunsch wird sich im Medan Portugis mit Sicherheit nicht erfüllen:
„Ich will einfach nur berühmt und ein Fernsehstar werden. Ein Entertainer eben, der große Partys schmeißt. Das ist mein Lebensziel.“
Und selbst wenn's mit dem Berühmtwerden nicht klappt, alle guten Jobs sind in der Hauptstadt Kuala Lumpur oder gar in Übersee. In Australien, zum Beispiel, sagt Kelvin, bevor er mit seiner Gruppe einen weiteren portugiesischen Tanz aufführt.
Auch am anderen Ende Malakkas wird gefeiert. Nach Mitternacht geht es in der „Exodus Lounge“ erst richtig los. Kenny Tan hat für sich und seine Freunde einen eisgekühlten Eimer Tiger-Beer geordert. Er kommt direkt aus seinem Restaurant, dem „Amboi“. ‚"st berühmt für seine Nyonya-Küche“, grinst der Mann Anfang dreißig und outet sich als Baba, als männlicher Angehöriger der chinesisch-malaiischen Bevölkerungsgruppe. Ansonsten ist ihm Kultur- und Brauchtumspflege im Augenblick egal, Kenny will Spaß haben. Die neue Bar der Kneipenzone Jonker's Walk in der Altstadt ist dafür genau richtig:
„Jonker's Walk war vor fünf Jahren noch tote Hose und jetzt geht's hier rund. Es wird immer besser und größer. Die jüngeren Generationen kümmern sich nicht mehr so um Tradition, die wollen sich vergnügen und Bier trinken.“
„Wir sind damit gesegnet, sehr kosmopolitisch zu sein. Wir akzeptieren die anderen. Trotz der religiösen und all den anderen Unterschieden zwischen Europäern und Asiaten. Wir haben vor Jahrhunderten sozusagen durch Handel zu Frieden gefunden. Trotz aller Unterschiede haben wir es geschafft, harmonisch zusammenzuleben.“
Dafür ist der große Wochenend-Nachtbasar auf der Jonker-Straße der beste Beweis: Chinesische und europäische Touristen kosten begeistert malaiische Satés, kleine Fleischspiessschen mit Erdnusssauce. An der Garküche nebenan stehen Malaysier Schlange um chinesische Reisbällchen. In der Querstraße lockt das Restaurant „Eleven“ mit portugiesischer Küche und das Gedränge an den Kunsthandwerksständen vor den alten, bunten Häusern und zwischen den roten Lampions ist wieder mal genauso groß wie die Sprachverwirrung. Trotzdem: Alle haben ihren Spaß und verstehen sich irgendwie. Wie vor 500 Jahren, als Malakka noch eine Welthandelsmetropole war.
Indische Stoffe, chinesische Seide, feines Porzellan gibt es da zu kaufen, ganz wie in den alten, längst vergangenen Handelszeiten. Im 21. Jahrhundert sind chinesisches Billigspielzeug und mehr oder weniger geschmackvolles Kunsthandwerk dazugekommen – und die Gettoblaster-Musik. Gefeilscht wird dagegen nicht mehr – „fixed price“, alles nur zum Festpreis, verkünden Plakate an den Ständen.
Malakka, Melaka, wie es in der Landessprache Bahasa heißt, liegt an der Westküste Malaysias, gehört seit 2008 zum Weltkulturerbe, hat knapp 400.000 Einwohner und viel, viel Geschichte.
Zuerst kamen Araber, Chinesen und Inder. 1511, vor genau 500 Jahren, eroberten die Portugiesen Malakka. 1641 besiegten die Niederländer die Portugiesen und übernahmen die Herrschaft, die sie dann 1824 an die Briten abgeben mussten. 1957 schließlich wurde in Malakka die Unabhängigkeit Malaysias erklärt. Kein Wunder, dass die Stadt, die der Meerenge zwischen Malaysia und der indonesischen Insel Sumatra, der Straße von Malakka, ihren Namen gegeben hat, eine echte Multikulticity ist, meint der Inder Arun Pilé:
„Das besondere an Malakka ist, dass wir alle zusammenhalten. Wir verstehen und respektieren die anderen und ihre Religionen. Es gibt keinen Hass, das ist das Wichtigste.“
Am deutlichsten wird das auf der Tempel-Straße, an der Arun seinen kleinen Gemischtwarenladen betreibt. 50 Meter links ruft der Muezzin die muslimischen Malaien in die schneeweiße Kampung Kling Moschee mit ihrem stolzen Minarett. Gleich nebenan rechts versammeln die Hindus sich im Sri Poyatha Vinayagar Moorthi Tempel. Gelebte Toleranz: „Erst beten die Muslime. Wir warten eben und beten nach ihnen“, sagt Arun lächelnd: „Warum sollten wir uns deswegen streiten?“
Am Ende der Straße wird ebenfalls gebetet. Im chinesischen Ching Hung Ting Tempel steigen dicke Weihrauschschwaden auf. Wuchtige rote Säulen mit goldenen chinesischen Schriftzeichen stehen im Hof, das Dach zieren wilde Fabeltiere. Lampions und Räucherstäbchen. Josephine Chua erklärt stolz:
„Wir glauben, das ist der älteste chinesische Tempel in Malaysia. Seine Geschichte geht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Es gibt einen Stein mit der Jahreszahl 1685, also muss er viel älter sein.“
Josephine, eine kleine Frau Mitte 50 ist Mitglied des Tempelrats. Das Bild ihres großzügigen Vorfahren ziert die Bildergalerie im Sekretariat. Genauso stolz wie auf ihn ist sie darauf, eine „Nyonya“ zu sein. So heißen die Frauen der chinesisch-malaiischen Mischrasse, die im Lauf der Jahrhunderte in Malakka entstanden ist. Viele chinesische Händler nahmen sich malaiische Frauen, als sie sich fern der Heimat ansiedelten. Sie nennen sich „Peranakans“, auf Deutsch die Nachkommen. Und die Männer heißen „Babas“.
Die Babas waren sehr reich, sie haben den Grundstein unserer Wirtschaft gelegt. Sie konnten sich alles leisten, versichert Robert Seet vom Peranakan-Verband, zeigt das alte Baba-Haus in der historischen Innenstadt, das sein Verein zu einem Museum umgebaut hat. Ein europäisch-chinesisches Stilgemisch und alles vom Feinsten. Italienische Möbel, ein englischer Safe und ein chinesischer Brunnen zwischen Küche und Wohnzimmer. Das sei alte Tradition, erklärt Roberts Kollegin Betty Ong:
„Das Regenwasser wird vom Dach in den Brunnen geleitet und sprudelt dann aus dem Maul des steinernen Fisches. Chinesen glauben, Wasser bringt Wohlstand. Den soll der Brunnen ins Haus bringen.“
Leider verlassen die, die Malakka regieren, sich nicht nur auf chinesische Traditionen, was das Reichwerden betrifft. Obwohl die Stadt Weltkulturerbe ist, wird überall und maßlos gebaut: Auf dem Meer abgewonnenen Grundstücken neben der historischen Altstadt entstehen Hochhäuser und verstellen die Sicht auf die Straße von Malakka. Selbst gleich neben der alten portugiesischen Festung A'Famosa schießt ein monströses Hochhaus in den Himmel. Der Denkmalschützer Colin Goh – er ist übrigens Nachkomme portugiesisch-niederländischer Vorfahren – klagt:
„Das Traurige ist, dass schon zu viel zerstört wurde. Das alte, schöne Malakka wurde einer zweifelhaften Modernisierung geopfert. Was ist aus unserem berühmten Hafen geworden? Warum sehen wir die Straße von Malakka nicht mehr? Hochhäuser versperren die Aussicht aufs Meer, es ist nur noch vom Berg der St.-Pauls-Kirche aus zu sehen. Aber der Hafen, der uns einst groß und berühmt gemacht hat, ist völlig verschwunden.“
Doch inzwischen regt sich Widerstand gegen die Zerstörung. Als selbst der Bukit China aus dem 17. Jahrhundert Neubauten Platz machen sollte, gingen die sonst so friedlichen Peranakans auf die Barrikaden, erinnert sich die Geschäftsfrau Marcia Tan:
„Der Bukit China ist der größte chinesische Friedhof außerhalb Chinas. Vor zehn Jahren wollte die Regierung ihn bebauen lassen. Da sagten alle Chinesen, wenn ihr das tut, müsst ihr die Gräber selbst wegmachen. Kein Chinese wird euch dabei helfen und die Geister der Toten werden euch verfolgen. Ich weiß nicht, ob das der Regierung Angst gemacht hat. Auf alle Fälle hat sie ihre Entscheidung noch einmal überdacht und so wurde dieser einzigartige Friedhof erhalten.“
Tradition ist den Bewohnern von Malakka eben sehr wichtig. Selbst portugiesische Volkstänze gehören dazu. Zumindest im Medan Portugis, dem portugiesischen Viertel. In der Kneipe „Papa Joe“ fliegen die roten Röcke der sich drehenden Mädchen, die Jungs in Kniebundhosen und schwarzen Westen klatschen die Hände. Dutzende Videokameras und Fotoapparate sind auf sie gerichtet. Chinesen starren mit offenen Mündern auf das seltsame Spektakel, vergessen – und das hat einiges zu bedeuten – sogar ihr Abendessen. Im Medan Portugis leben die Nachkommen der portugiesischen Entdecker. Noel Felix, Komponist und Musiker, ist 79 Jahre alt und hat einen Heidenspaß:
„Gott sei gelobt, denn wir können stolz darauf sein, dass wir hier noch immer die Traditionen und die Sprache von 1511 pflegen. Als portugiesische Gemeinschaft müssen wir sicherstellen, dass dieses Erbe weitergegeben wird. Ich habe hier mehrere Brauchtumsgruppen gegründet, wir tanzen sogar die alten Tänze bis zum heutigen, gesegneten Tag.“
Auch wenn die Haut derer, die sich Portugiesen nennen, inzwischen kaffeebraun ist und die Gesichtszüge eher asiatisch sind, tief in ihren Herzen sind sie stolze Lusitanier geblieben. Die Angehörigen dieser euro-asiatischen Mischrasse haben sogar eine eigene Sprache, Papiá Kristang, die Sprache der Christen, heißt sie. Es ist eine archaische Form des Portugiesischen, angereichert durch malaiische und chinesische Lehnwörter. Auch Kelvin Montero spricht sie, ein 19-jähriger Student der Kommunikationswissenschaften und begeistertes Mitglied der Volkstanzgruppe:
„Das Leben im portugiesischen Viertel von Malakka ist super. Meine ganze Familie lebt hier, sogar meine Urgroßeltern. Das ist erlebte Geschichte! Mann, schade, dass viele das nicht mitkriegen.“
Schade auch, dass Kelvin nach dem Studium sein geliebtes portugiesisches Viertel wahrscheinlich erst mal verlassen muss. Denn gute Jobs sind rar im Medan Portugis, immer mehr junge Menschen gehen weg, bestätigt Kelvins Freund Stanislaus:
Es komme natürlich auf die Jugendlichen an, aber entweder sie gingen weg um gutes Geld zu verdienen, oder sie würden arme Fischer. – Kelvins Berufswunsch wird sich im Medan Portugis mit Sicherheit nicht erfüllen:
„Ich will einfach nur berühmt und ein Fernsehstar werden. Ein Entertainer eben, der große Partys schmeißt. Das ist mein Lebensziel.“
Und selbst wenn's mit dem Berühmtwerden nicht klappt, alle guten Jobs sind in der Hauptstadt Kuala Lumpur oder gar in Übersee. In Australien, zum Beispiel, sagt Kelvin, bevor er mit seiner Gruppe einen weiteren portugiesischen Tanz aufführt.
Auch am anderen Ende Malakkas wird gefeiert. Nach Mitternacht geht es in der „Exodus Lounge“ erst richtig los. Kenny Tan hat für sich und seine Freunde einen eisgekühlten Eimer Tiger-Beer geordert. Er kommt direkt aus seinem Restaurant, dem „Amboi“. ‚"st berühmt für seine Nyonya-Küche“, grinst der Mann Anfang dreißig und outet sich als Baba, als männlicher Angehöriger der chinesisch-malaiischen Bevölkerungsgruppe. Ansonsten ist ihm Kultur- und Brauchtumspflege im Augenblick egal, Kenny will Spaß haben. Die neue Bar der Kneipenzone Jonker's Walk in der Altstadt ist dafür genau richtig:
„Jonker's Walk war vor fünf Jahren noch tote Hose und jetzt geht's hier rund. Es wird immer besser und größer. Die jüngeren Generationen kümmern sich nicht mehr so um Tradition, die wollen sich vergnügen und Bier trinken.“
„Wir sind damit gesegnet, sehr kosmopolitisch zu sein. Wir akzeptieren die anderen. Trotz der religiösen und all den anderen Unterschieden zwischen Europäern und Asiaten. Wir haben vor Jahrhunderten sozusagen durch Handel zu Frieden gefunden. Trotz aller Unterschiede haben wir es geschafft, harmonisch zusammenzuleben.“
Dafür ist der große Wochenend-Nachtbasar auf der Jonker-Straße der beste Beweis: Chinesische und europäische Touristen kosten begeistert malaiische Satés, kleine Fleischspiessschen mit Erdnusssauce. An der Garküche nebenan stehen Malaysier Schlange um chinesische Reisbällchen. In der Querstraße lockt das Restaurant „Eleven“ mit portugiesischer Küche und das Gedränge an den Kunsthandwerksständen vor den alten, bunten Häusern und zwischen den roten Lampions ist wieder mal genauso groß wie die Sprachverwirrung. Trotzdem: Alle haben ihren Spaß und verstehen sich irgendwie. Wie vor 500 Jahren, als Malakka noch eine Welthandelsmetropole war.