Mütter von Kriegsopfern

Vergebung statt Rache in Kolumbien

Marina Bernal, deren geistig behinderter Sohn Fayr Leonardo (23, Foto im Hintergrund) von der kolumbianischen Armee ermordet wurde
Eine der Mütter der Ermordeten in Kolumbien kämpft um Aufklärung über den Tod ihres Sohnes © imago stock&people
Von Burkhard Birke · 07.02.2017
Teresa Gaviria kämpft in Kolumbien für Aufklärung über die Kriegsverbrechen der vergangenen Jahrzehnte. Gemeinsam mit den "Müttern der Candelaria" fordert sie Klarheit über das Schicksal der Verschwundenen.
"Als ich zu den Paramilitärs im Hochsicherheitsgefängnis ging, habe ich mich hingestellt und gerufen: 'Wir kommen nicht, um zu streiten, wir kommen nicht, um zu hassen, um noch mehr Groll zu hegen. Wir kommen, um denjenigen zu verzeihen, die uns so wehgetan haben."
Für Teresa Gaviria war das ein enormer Schritt. Wenn sie von ihrem Sohn erzählt, umweht tiefe Trauer ihre sonst so lebhaft funkelnden braunen Augen. Die Stimme der kaum ein Meter fünfzig großen, adrett gekleideten Frau indes bleibt energisch und bestimmt. Sie hat ihren Sohn Christian Camilo verloren, erzählt sie. Zusammen mit zwei Freunden, einem Lehrer und einem Ingenieur war der damals 15-Jährige im Januar 1998 auf dem Weg von Medellín nach Bogotá von Paramilitärs zwangsrekrutiert worden. Was tatsächlich mit ihm geschah hat sie erst Jahre später von einem der verantwortlichen Paramilitärs erfahren.
"Er sagte mir: Das war einer der Jungs, den der Chef zerstückeln ließ. Seine Reste haben wir dann in den Magdalena Fluss geworfen. Daraufhin bin ich zur Staatsanwaltschaft und habe den Anführer angeschrien: Du elender, ekelerregender Mistkerl, am liebsten würde ich Dich mit meinen Zähnen zerfleischen, aber das bist Du nicht wert! Dann bin ich raus und wünschte nur, ich würde vom Erdboden verschluckt. Ich werde diesen immensen Schmerz nicht ertragen, dachte ich."

Angehörige auf der Suche nach den Verschwundenen

Teresa Gaviria hat es geschafft. Geteilter Schmerz ist bekanntlich halber Schmerz. Als Teresa die Wahrheit erfuhr, hatte sie sich schon mit anderen Müttern Verschollener zusammengetan. In der Kirche La Candelaria in Medellín versammelten sie sich stets mittwochs um Punkt zwölf. In ihrem Leid geeint beschlossen sie, sich zu organisieren. "Madres de la Candelaria", die "Mütter der Candelaría" zählt mittlerweile 880 Mitglieder, hauptsächlich, aber nicht nur Mütter von Opfern des Konfliktes: Auch einige Väter, Geschwister und Waisen machen mit.
Die "Madres de la Candelaria" versuchen die Verschwundenen im ganzen Land zu finden. Warum? - Viele betroffene Mütter durften bisher nicht sprechen, anklagen oder einfach ihre Geschichte erzählen.

"Wir sind für sie zu einer Stütze geworden. Wir helfen ihnen, ihre Rechte zu fordern Anklage zu erheben. Wir haben gesehen, dass die Verschwunden im Land eine große Lücke hinterlassen haben."

Zehntausende Opfer zum Preis einer Kopfprämie

40.000, andere behaupten 60.000 Menschen sind in den mehr als fünf Jahrzehnten des bewaffneten Konflikts in Kolumbien verschwunden. Die exakte Zahl wird man wohl nie bilanzieren können – zumal noch immer vor allem Menschenrechtsaktivisten und Journalisten spurlos vom Erdboden verschwinden. Die rechtsgerichteten Todesschwadrone, "Paramilitärs" genannt, sind und waren wie im Falle Teresas daran beteiligt, ebenso wie die Guerilla und auch die Sicherheitskräfte des Staates. Die sollen rund 4000 unschuldige Bauern ermordet und als Guerilleros ausgegeben haben, weil die Regierung damals für jeden Guerillero eine Prämie gezahlt hat.
Ihre Angehörigen haben ein Recht zu erfahren, was passiert ist – so wie Teresa Gaviria. Sie erfuhr vom grausigen Schicksal ihres Sohnes, nachdem es 2005 eine Sonderamnestie für Paramilitärs gab. Im Gegenzug für volle Geständnisse gab es Strafminderung: Acht Jahre Gefängnis maximal für die schlimmsten Massaker. Auch die ehemaligen FARC-Kämpfer und Regierungsangehörige sollen im Rahmen der Übergangsjustiz jetzt maximal acht Jahre Freiheitsentzug bekommen. Ein hoher Preis, aber einer, den es sich zu zahlen lohnt, wenn man endlich die Wahrheit erfährt, meint Teresa Gaviria: "Heute hege ich keinen Hass und keine Wut mehr, mein Herz ist geheilt."

Undendlich viel geweint und schlaflose Nächte

Diese Botschaft will die Vorsitzende der Madres de la Candelaria in die Welt hinaustragen, während sie zu Hause die Opfer trösten und die Erinnerung wach halten hilft – u.a. mit Sonderausstellungen in der Casa de la Memoria – einem Museum für die Opfer des Konfliktes in Medellín.
"Hier exhumieren wir die Leichen einiger junger Männer. Wir mussten das selbst in die Hand nehmen, weil sich die Staatsanwaltschaft nicht richtig gekümmert hat."
Teresa Gaviria deutet auf verschiedene Bilder an der Fotowand: "Den da haben die Guerilleros auf dem Gewissen und den hier die Paramilitärs. Irgendwie müssen wir damit fertig werden. Diese Frau hier hat unendlich viel geweint und ich hatte schlaflose Nächte."
Umso mehr hofft Teresita - wie sie liebevoll genannt wird -, dass auch mit der zweiten Guerillagruppe ELN ein Frieden geschlossen wird und das Morden endlich ein Ende hat.
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