Mütter an die Macht

Von Christoph Keese |
Deutschland hat ein ausgesprochenes Mütter-Problem. Eine ganze Generation gut ausgebildeter Frauen findet den Weg nicht zurück in den Beruf, und wenn, dann nur unter Schwierigkeiten - meist größer sind, als viele sie bewältigen können. Ging es in der Frauenbewegung früher in erster Linie noch darum, die Frau als selbständiges politisches Wesen zu etablieren, emanzipiert sie sich heute als Mutter.
Für die Kinder daheim zu bleiben, stempelt kluge Frauen nicht mehr zwangsläufig zu Dummchen. Das ist zwar gut so, doch es täuscht auch über die Mütterfeindlichkeit vieler Institutionen hinweg. Niemand stellt gern diese unberechenbaren Wesen an, die Teilzeit arbeiten, nachmittags pünktlich zur Kita müssen und zu Hause bleiben, wenn Felix Mittelohrentzündung hat. Schon gar nicht will man sie als Führungskräfte um sich sehen, geschweige denn über sich.

Eine ganze Bewusstseinsindustrie verhilft der Mama zu neuem Selbstwertgefühl. Super-Nannys leben im Fernsehen Heldinnenrollen vor. Die Auslagen der Buchhandlungen biegen sich unter den Neuerscheinungen zu Babypflege, Kleinkindpsychologie und Erziehungsberatung. Zeitschriften sind voller Tipps: Mit den Kindern immer konsequent bleiben! Nicht einander widersprechen! Jedes Kind kann schlafen lernen! Bei Ohrenschmerzen nicht schwimmen! Rechtzeitig impfen! Nur einen Schokosnack pro Tag! Das sind die Themen, mit denen sich die bestausgebildete Frauengeneration der Geschichte heute über viele Jahre beschäftigt. Windelallergien und Windpockenprophylaxe – diesen Maläsen steht ein großes Heer kompetenter Problemlöserinnen gegenüber.

Früher waren Frauen entweder nicht weniger gut ausgebildet oder sie blieben nicht so lange zu Hause. Inzwischen aber hat die Akademisierung der Kinderzimmer ihren Höhepunkt erreicht: Kinder oder Karriere, mit der Betonung auf "oder": Vierzig Prozent der Akademikerinnen hierzulande haben keine Kinder, widmen sich aber dafür voll dem Beruf. Die anderen 60 Prozent bleiben mehrheitlich viel länger als gewünscht daheim, weil zu viele unberechenbare Faktoren die Rückkehr ins Berufsleben erschweren. Vor zwei Jahren erschien ein viel beachtetes Buch über Mütter, die Karriere machen. Es trug den bezeichnenden Titel "Die Unmöglichen". Genauso ist es: Als Mutter Karriere zu machen, ist schwer bis unmöglich. Frauen wie Nina Öger, Geschäftsführerin von Öger-Tours, Landesbischöfin Margot Käsmann oder EU-Generalanwältin Juliane Kokott bleiben nach wie vor eher die Ausnahme.

Reich muss ein Land sein, das sich solche Talentverschwendung leisten kann. Sind wir wirklich so reich? Ich meine nicht! Wir benötigen den Verstand und die Arbeitskraft dieser Frauen in der Wirtschaft. Kinder, Küche, Kirche – Die berühmten drei K’s könnten auch anders interpretiert werden: Kinder, Küche, Konzern, oder wer möchte auch: Kinder, Kirche, Konzern. Weshalb? In einem bekannten Werbeclip im Vorabendprogramm antwortet eine Hausfrau auf die Frage nach ihrem Beruf verlegen: "Ich manage einen kleinen Familienbetrieb". Es stellt sich heraus, dass sie ihre Zweikindfamilie meint. So ist es. Wer eine Familie managt, übt viele Funktionen aus und erwirbt Fähigkeiten, die im Wirtschaftsleben unerlässlich sind: Kinder glücklich machen und sie fördern – das ist Motivationsmanagement. Von der Schule zum Tennis zum Schwimmen zum Flötenunterricht zum Zahnarzt zur Nachhilfe bringen –Transportlogistik. Blutende Platzwunden und verlorene Hausschlüssel –Krisenmanagement. Verantwortung für das Ausgabenbudget der Familie – Finanzcontrolling. Einen Platz in dem netten Kindergarten mit Englischkurs erstreiten – Verhandlungsgeschick. Von der Hausarbeit ganz zu schweigen. Mütter beherrschen nicht nur all jene Dinge, meist können sie sogar alle auf einmal. Multitaskingfähig, Belastbarkeit, Durchsetzungsstärke und Stressresistenz. Passen derartige Qualifikationen nicht auch perfekt ins Suchprofil vieler Personalchefs?

Warum finden Frauen mit Kindern dennoch so selten Anschluss? Weshalb stolpern oder stagnieren viele auf der Karriereleiter? Eigentlich nur deshalb, weil sie zeitlich als unflexibel gebranntmarkt werden. Dabei wäre dies ein durchaus lösbares Problem. Wenn man denn wollte. Deutschlands Konzernstrategen errichten hoch flexible Logistikketten, schaffen es aber nicht, ein paar Keuchhusten und Windelwechsel in ihren Workflow einzubauen. In Deutschland gibt es zwar ein Teilzeitgesetz, aber der gesetzliche Anspruch verändert noch nicht die praktische Wirklichkeit. Mehr Betriebskindergärten könnten Wunder bewirken. Das spart schon einmal die Anreise in beide Richtungen und schafft mehr Nettoarbeitszeit. Auch kann damit durchaus Geld verdient werden. Großmütternetzwerke, also ältere Damen, die aus Freude an Kindern zu den Familien ins Haus kommen, könnten die Mütter frei spielen, solange die Babys noch zu klein für den Kindergarten sind und man sie nicht in die Krippe geben mag. Die Möglichkeiten von Heim- und Telearbeit sind nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Im Finanzministerium müssten neue Steuermodelle entwickelt werden, die verhindern, dass Arbeit für Mütter sich schlichtweg nicht lohnt, weil der Nettolohn in Steuerklasse 5 weniger bringt als die zusätzlichen Betreuungskosten.

Vor allem aber muss ein Ruck durch die Köpfe gehen. Viele Manager, darunter übrigens auch kinderlose Frauen, wollen einfach keine Mütter kleiner Kinder im Team haben und sie erst recht nicht befördern. Ihre eigene Befindlichkeit steht ihnen im Weg. Uneingeschränkte Verfügbarkeit gilt als höchste Tugend. Abends als letzter das Licht zu löschen, um 19 Uhr noch eine Budgetrunde zu starten, morgens als früher Vogel den ersten Wurm zu picken – eine Mischung aus höfischem Ritual und preußischer Eilfertigkeit bestimmt die Kultur in den meisten Unternehmen. Als Höfling glaubt man sich vor dem nächsten Putsch, sprich: der nächsten Umstrukturierung, am besten gesichert, wenn man stets erreichbar ist, als Preuße weicht man einfach niemals als erster vom Posten. So kapselt man das ganze Kinderthema ins Privatleben ab, möglichst in das anderer Leute. Verschärfend wirkt die verzopfte Rabenmutter-Ideologie jener Konservativen, die glauben, dass Kinderseelen verloren gehen, wenn Mama nicht omnipräsent über sie wacht. Dabei stellt die dauernde Verzärtelung und das ewige Aufpassen hoch protektiver Mütter eine weit größere Gefahr für die Entwicklung selbstbewusste Charaktere dar.

Bei der Super-Nanny spielen Schreikrämpfe und unaufgeräumte Legokisten eine große Rolle, nie aber geht es um das Offensichtliche: Ob das Familienleben vielleicht harmonischer verliefe, wenn Papa den höfischen Preußen in sich bekämpfen und öfter mal vor dem Abendessen nach Hause kommen würde, oder wenn Mama nicht ihre ganze nervöse Energie auf die Kinder richten würde und tagsüber arbeiten dürfte. Darum geht es: Unseren Umgang mit Kindern natürlicher zu gestalten und sie vom Rand der Gesellschaft in deren Kern zu holen. Unerlässlich dafür ist, Mütter aus dem Familienghetto zu befreien, ihren Köpfen Aufgaben zu stellen, ihre Fähigkeiten zu nutzen und sie in die Firmen sowie an die Macht zu bringen. Es ginge ganz einfach, wenn man nur wollte.


Christoph Keese, Jahrgang 1964, ist seit Ende Mai 2004 Chefredakteur der "Welt am Sonntag" und seit 2006 Chefredakteur von "Welt online". Zuvor war er Geschäftsführender Redakteur und Ressortleiter Wirtschaft der "Berliner Zeitung" sowie Chefredakteur der "Financial Times Deutschland" (FTD), zu deren Gründern er gehört. Buchveröffentlichungen: "Rettet den Kapitalismus" (Hoffmann und Campe, 2004) und "Verantwortung jetzt" (C. Bertelsmann, 2006).
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