Münchener Kunstfund ist "politisches Problem der Bundesregierung"

Willi Korte im Gespräch mit Frank Meyer · 08.11.2013
Er sei überrascht, wie die Behörden mit dem Münchner Kunstfund umgegangen seien, sagt Willi Korte. Dass die Bundesrepublik es sich weiter leisten könne, die Informationen nicht öffentlich zugänglich zu machen, sei schwer vorstellbar, so der Provenienzforscher.
Frank Meyer: Im Fall des Münchener Kunstfundes bei Cornelius Gurlitt sind inzwischen auch die Monuments Men ins Spiel gekommen. Die alliierten Offiziere und Soldaten, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg um den Schutz und die Rückgabe von Kunstgütern gekümmert haben. Gestern wurde eine Liste online gestellt, auf der 125 Werke einer Kollektion Gurlitt verzeichnet sind. Die alliierten Kunstschützer hatten diese Bilder sichergestellt und 1950 wieder an Hildebrand Gurlitt zurückgegeben.

Welche Rolle diese Monuments Men gespielt haben, damit kennt sich Willi Korte bestens aus. Er ist ein international hoch geschätzter Provenienzforscher. Sein Meisterstück, wie er selbst sagt, war das Aufspüren des Quedlinburger Domschatzes. Er hat den Domschatz in Texas aufgespürt und nach Quedlinburg zurückgeführt. Im Moment recherchiert Willi Korte in Deutschland, in Düsseldorf, guten Tag, Herr Korte!

Willi Korte: Schönen guten Tag, Herr Meyer!

Meyer: Lassen Sie uns über die Monuments Men reden, wie sind die denn damals vorgegangen, was haben die konkret gemacht?

Korte: Auftrag der Monuments Men war es unter anderem, Kunstgut, das im Zuge des Dritten Reiches und vor allem des Krieges abhandengekommen ist, einzusammeln und zu restituieren. Wobei ich gleich sagen möchte, im Wesentlichen war das, was sie in diesen Collecting Points, vor allem in Wiesbaden und München hatten, waren das Sammlungsbestände, die sie aus Auslagerungsstätten, die eigentlich die Deutschen vorher schon benutzt hatten, das waren sehr oft Schlösser, Landsitze, in den Collecting Points dort zusammenzufassen, aufzuarbeiten und sie dann zu restituieren.

Was die Amerikaner, diese Monuments im Wesentlichen interessiert hat, war die Rückführung von Kunstgütern, die aus einem der besetzten Länder nach Deutschland gelangten, um es dann den Behörden dort zu überlassen, sich mit der Einzelrestitution zu beschäftigen. Die haben also im Wesentlichen nicht nachgeguckt, wem gehört dieses Einzelobjekt und an wen müssen wir es zurückgeben.

Meyer: Der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt war viel in Deutschland aktiv, aber auch im Ausland, in Frankreich zum Beispiel. Wie sind denn die Monuments Men auf diesen Hildebrand Gurlitt aufmerksam geworden? Sie haben sich ja diesen Fall auch angeschaut.

Korte: Herr Hildebrand Gurlitt war ja eine berühmte Persönlichkeit schon bei Kriegsende, weil es ja aufgrund der Ermittlungen bekannt war, dass Gurlitt einer dieser Hauptkunsthändler war. Was Frankreich – Sie haben es gerade angesprochen – angeht, haben sie natürlich Informationen zugeliefert bekommen von den Franzosen. Und von daher haben sie sich mit Gurlitt intensiv beschäftigt, gerade im Hinblick auf seine Kauftätigkeit in Frankreich, besonders ja auch für die Führer-Sammlung in Linz, sodass es kein Zufall ist, dass sie seine Kunstsammlung dann eingezogen haben und aufgearbeitet haben. Interessiert haben sie sich eigentlich nur für die Sachen in der Gurlittschen Sammlung, die zum Beispiel Frankreich, was den größten Teil angeht, betraf.

Meyer: Hildebrand Gurlitt hat ja 125 Werke zurückbekommen damals, dafür spricht diese Liste. Heißt das, dass für die Monuments Men damals klar war, hier haben wir weitestgehend zumindest geklärt, diese Werke sind das Eigentum von Gurlitt?

"Ob geklärt der richtige Ausdruck ist"
Korte: Na ja, ob geklärt so der richtige Ausdruck ist, möchte ich mal aus heutiger Sicht eher etwas mit Vorsicht benutzen. Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass sie den Herrn Gurlitt dort richtig in die Mangel genommen haben, um nun in jedem Einzelfall herauszufinden, wo denn dieses einzelne Bild herkam. Auf diesen Property Cards zum Beispiel sind sehr wenige Verweise auf die Provenienz. Bei vielen Bildern, von denen wir wissen, dass wir sie abgleichen können, weil die Fotos, die die Staatsanwaltschaft in Augsburg publik gemacht hat, decken sich ja mit Angaben aus diesem Collecting Point in Wiesbaden. Wenn Sie da auf diese Property Card gucken, da steht nichts zur Provenienz drauf.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit dem Provenienzforscher Willi Korte. Sie haben sich ja diese Liste dieser 125 Bilder, die damals entstanden ist, angesehen. Was für Kunstwerke sind das, die da verzeichnet sind?

Korte: Es ist im Wesentlichen doch ein Bestand deutscher expressionistischer Kunst. Aber es gab auch Altmeisterbilder, einen Guardi oder Bilder des 18. Jahrhunderts, und es gab vor allen Dingen auch bei diesem Bestand in Wiesbaden ein Konvolut von Skulpturen, Bronzen, sogar Masken, von denen ist in München gar nicht die Rede. Also, da wird sich früher oder später die Frage stellen, hat Hildebrand Gurlitt in den letzten Jahren seines Lebens beziehungsweise dann seine Witwe und auch seine Kinder, haben die über die Jahre und Jahrzehnte Einzelobjekte aus diesem Konvolut über den Kunstmarkt abgestoßen?

Meyer: Das heißt, Sie gehen davon aus, diese 125 Werke, die damals gefunden wurden und rückerstattet wurden, das ist ein Konvolut, und das, was in München liegt, ist jetzt im Prinzip ein ganz anderes, das sind ganz andere Werke?

Korte: Ganz offensichtlich deckt sich einiges. Für jedes Objekt, das im Wiesbadener Collecting Point war, das Gurlitt wieder ausgeliefert wurde, gibt es eine Property Card mit einem Foto. Also, mit diesen Property Cards könnten wir natürlich wunderbar arbeiten, im Hinblick auf das, was die Zollfahndung in München jetzt hat. Und das, würde ich mal sagen, ist auch die erste Aufgabe, das mal abzugleichen, um zunächst auch mal zu bestimmen, was ist in München nicht mehr da, was 1950 noch da war.

Meyer: Es gibt ja einen interessanten Fall, ein Selbstporträt von Otto Dix, zu dem wir aus München hörten, das sei ein bisher unbekanntes Werk. Aber zu diesem Werk gibt es eben eine solche Property Card, die nachweist, dass dieses Bild eigentlich bekannt war. Ein sehr seltsamer Vorgang!

Korte: Vor allem, weil eben die Bearbeiter letztlich in diesen Collecting Points deutsche Kunstwissenschaftler und Museumsleute waren. Ich sitze ja hier im Stadtarchiv Düsseldorf und habe gerade eine Akte der Düsseldorfer Kunstsammlung angesehen, da geht es um die "Entartete Kunst" in Düsseldorf, und da ist auch eine Liste mit Bildern in dem einen Akt drin zu aus dem Museum entfernten Bildern, Gemälden. Und lustigerweise eins dieser Bilder ist ein Otto-Dix-Selbstporträt. Ich habe natürlich keine Ahnung, ob es das Gleiche ist, ich weiß auch nicht, wie viele Otto-Dix-Selbstporträts es gibt. Also, da muss man schon mal noch mal genau nachsehen.

Ich habe ja eben den Eindruck, dass bei der bisherigen Bearbeitung dieses Münchener Konvoluts über die letzten eineinhalb Jahre man sich vielleicht fast ausschließlich mit der kunsthistorischen Aufarbeitung dieses Bestandes beschäftigt hat und die zeitgeschichtliche Komponente etwas vernachlässigt hat, eben das, was in den NS-, aber vor allen Dingen Nachkriegsakten seit Jahr und Tag öffentlich zugänglich ist.

Meyer: Vieles wissen wir ja eben noch nicht über den Münchener Fund, das meiste wissen wir noch nicht, weil das von den bayerischen Behörden ja sehr unter dem Deckel gehalten wird. Diese Geheimhaltungstaktik wird in Deutschland, auch im Ausland sehr stark kritisiert. Was halten Sie von diesem Vorgehen?

Korte: Ich bin überrascht, dass man mit diesem ganzen Komplex in Deutschland so umgegangen ist. Ich lebe ja nun seit 30 Jahren in den USA mehr oder weniger, das kann man sich an drei Fingern abzählen, wie die Reaktion gerade natürlich in den USA auf so etwas ausfallen würde, da kommt natürlich sofort der Druck aller derjenigen Institutionen rein, die sich nun mit Restitution seit Jahr und Tag beschäftigen. Und dieser Druck kommt dann auch bei der amerikanischen Regierung an, die ihn dann natürlich weitergeben muss. Von daher ist das für mich gar nicht überraschend, dass es letztlich nicht ein Problem der Staatsanwaltschaft in Augsburg ist, sondern ein politisches Problem der Bundesregierung. Früher oder später kann ich mir nicht vorstellen, dass es die Bundesrepublik sich leisten kann, die Informationen nicht öffentlich zugänglich zu machen.

Meyer: Der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat ja inzwischen angekündigt, dass er zumindest für die Beschleunigung der Recherchen in München etwas tun will. Aber sagen Sie uns noch, ist jetzt in den USA, wo Sie sich besonders gut auskennen, ist da der Eindruck entstanden, die deutschen Behörden wollten das Bekanntwerden und die mögliche Herausgabe von Kunstwerken behindern, von Kunstwerken, die eigentlich zurückgegeben werden müssten?

"Provenienzforschung nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft"
Korte: Behindern, zumindest verzögern. Das sind ja Standardvorwürfe, die im Ausland, vor allem natürlich in den USA, ständig hochkommen, wenn es um sozusagen Restthemen der Nazi-Zeit geht. Dass da sehr schnell der Vorwurf gemacht wird, hier soll etwas verheimlicht werden, soll etwas nicht offengelegt werden. Das Verhalten der Behörden über die letzten eineinhalb Jahre passt genau in diese Kerbe hinein. Und von daher, wie gesagt, bin ich überhaupt nicht überrascht, dass genau diese Vorwürfe gerade auch aus New York, gerade auch aus Washington kommen.

Wie es nun im Einzelnen weitergeht, weiß ich auch nicht, ich denke auch mal, es müssen natürlich zusätzliche Leute, Institutionen sich mit diesem Konvolut jetzt beschäftigen. Eine Staatsanwaltschaft ist ja nicht dafür da, Provenienzforschung zu machen, oder eine Zollfahndung. Und ich habe nicht den Eindruck, dass bisher außer der armen Frau Hoffmann da nun andere qualifizierte Einrichtungen und Personen innerhalb Deutschlands entsprechend mit einbezogen wurden, die dann auch hätten die verschiedenen historischen, kunstgeschichtlichen Aspekte dieses Falles von vornherein abdecken können.

Also, da muss man sich bald was einfallen lassen. Es soll ja eine Liste dieser Kunstwerke geben, aber um das transparent zu machen, müsste man die ja auch erst mal abfotografieren, und zwar nicht nur von vorne, sondern von hinten. Und wenn Sie da bei 1400 Objekten sind, also mindestens zwei Aufnahmen pro Objekt, das dauert ja auch mal noch ein paar Wochen, bis Sie da ein paar Tausend Fotos gemacht haben, die natürlich so gut sein müssen, dass man auch Details erkennen kann.

Meyer: Wer sollte so eine Arbeit leisten, wer sollte sich an die Aufklärung dieses Münchener Fundes machen, aus Ihrer Sicht?

Korte: Ich glaube, das muss vom BKM in Berlin ausgehen.

Meyer: Also vom Kulturstaatsminister?

Korte: Vom Kulturstaatsminister. Wir haben ja in Berlin auch eine Provenienzforschungsstelle, wir haben ja ein Bundesarchiv. Ich glaube schon, dass man innerhalb kurzer Zeit hier ein Team zusammensetzen kann, das sich mit dem Thema beschäftigt. Ich bin zwar hier in Düsseldorf, aber ja sonst in Washington, und besorge mir nun diese Dokumente, die in den letzten paar Tagen nun auch bekannt geworden sind so peu à peu. Ich bin natürlich auch gerne bereit, mich da in Washington noch mal ins Nationalarchiv zu setzen, um sicherzustellen, dass hier die Gesamtdokumentation Hildebrand Gurlitt aus der Sichtweise des amerikanischen Nationalarchivs zusammengetragen wird. Also, ich glaube nicht, dass man hier etwas Neues erfinden muss.

Meyer: Wie soll es weitergehen im Fall Gurlitt, wir haben mit dem Provenienzforscher Willi Korte gesprochen. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Korte: Schönen Dank, Herr Meyer!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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