Münchener Biennale

Klischees statt Avantgarde

Sonnen vor der Kulisse der Muffathalle (l.) in München: Hier wird "Vivier" uraufgeführt.
Sonnen vor der Kulisse der Muffathalle (l.) in München: Hier wird "Vivier" uraufgeführt. © picture alliance / dpa / Frank Leonhardt
Von Jörn Florian Fuchs · 08.05.2014
Die Münchener Biennale war in ihrer Geschichte zeitweise für ihre abstrakten Klangwelten und kopflastigen Libretti bekannt. Dagegen wirken die ersten beiden Uraufführungen dieser Saison eingängig und unterkomplex.
Es ist seine letzte Biennale, doch man spürt bei Peter Ruzicka weder besonderen Abschiedsschmerz noch finale Euphorie. Gewohnt lakonisch zurückhaltend moderiert Ruzicka die traditionellen Einführungsgespräche, hat für alle ein freundliches Wort und hüllt sich bei zu konkreten Nachfragen in sphinxhaftes Schweigen.
1988 wurde die Münchener Biennale von Hans Werner Henze gegründet, Henze pflegte und liebte die Vielfalt von Stilen und Sujets. 1996 kam Peter Ruzicka an Bord und veränderte das Festival peu à peu zu einer eher intellektuellen Plattform. Abstrakte Klangwelten, kopflastige Libretti und teils aufwändig verrätselte Inszenierungen sorgten für zwiespältige Bewertungen.
Mit dem Begriff der "Zweiten Moderne" ließ Ruzicka dann einen ganz besonderen Testballon steigen, er meinte, dass gerade durch die pluralistischen Möglichkeiten der Postmoderne Stücke mit ganz eigener Narration möglich würden. Teilweise gelang dies, vor allem Brian Ferneyhoughs "Shadowtime" von 2004 wurde zu einem spannenden Experiment in dieser Richtung.
Manches driftet leider in Kitsch ab
Beim Blick auf die ersten beiden Uraufführungen dieser Saison reibt man dich dagegen die Augen und Ohren, denn so Eingängiges und Unterkomplexes gab es bisher in München wohl kaum. Marko Nikodijevićs "Vivier - ein Nachtprotokoll" etwa verhöhnt Avantgarde gestählte Lauscher mit fein geschichteten Klangflächen, glitzernden Kantilenen und einer leichten Prise Rumpelrhythmik.
Gunther Geltingers Libretto erzählt mal konkret, mal surreal vom Leben des 1983 verstorbenen kanadischen Komponisten Claude Vivier. Vivier war ein sehr spiritueller Mensch und goss seine metaphysischen Reflexionen in eigensinnig verschachtelte Werke, die dennoch oft direkt ins Blut gehen. Er starb auf gewaltsame Weise, ein Stricher tötete ihn in einem regelrechten Blutrausch. Die handwerklich saubere Inszenierung von Lotte de Beer präsentiert viele fast schon kulinarische Bilder, Bühnennebel, Lichtsäulen und rasche Umbauten sorgen für einen reibungslosen Ablauf der Geschehnisse.
Countertenor Tim Severloh verkörpert den Komponisten mit wunderschönem Trauertimbre. Vivier sieht sich anfangs und am Schluss mit seinem Mörder konfrontiert, dazwischen begegnet er sich selber in unterschiedlichen Altersstufen - vom Weihrauch verteilenden Ministranten bis zum verstörten Sinnsucher. Manches driftet leider in schwulen Kitsch ab, etwa eine Sexszene zwischen Vivier und dem Heiligen Sebastian.
Ohne Sinn für strukturelle Verläufe
Sebastian Beckedorf dirigiert das gut disponierte Braunschweiger Opernorchester (die Produktion wandert demnächst dorthin), der Kammerchor München orgelt tiefgründige Choräle, die manchmal an Tschaikowsky erinnern. Nicht von ungefähr, denn der Russe tritt höchstselbst auf und klagt Vivier sein Leid.
Deutlich politischer geriet die zweite Novität dieser Biennale, Samy Moussas "Wüstung". Toby Litt hat hier einen wüsten, wütenden Politthriller erfunden, der zwischen sehr direkten Anspielungen auf aktuelle Wahlkämpfe, etwa in den USA, und Science Fiction-Elementen schwankt.
Eine Präsidentin bangt um ihre Wiederwahl und zündelt deshalb nach Innen wie nach Außen, eine neuartige Waffe soll zur Konfliktlösung beitragen - eben jene "Wüstung". Dahinter verbirgt sich eine "Klangbombe", die Moussa uns allerdings nicht zu Gehör bringt. Stattdessen rauscht ein recht belangloses Orchestergewitter mit exaltierten Kantilenen vorüber, das sich vollständig aus gemäßigten Modernismen speist, ohne Sinn für strukturelle Verläufe oder ästhetische Plausibiliät.
Überzeugend immerhin das vom Komponisten exzellent präparierte und geleitete Orchester des kooperierenden Regensburger Theaters sowie sämtliche Solisten, allen voran die auch darstellerisch prägnante Altistin Vera Egorova als Regierungschefin. Regisseurin Christine Mielitz zeigt eine hypertechnisierte, trotzdem leicht ranzig wirkende Cyberwelt, es gibt spacige Kostüme, Nullen und Einsen flimmern herum, wirklich zielführend ist das alles nicht.