Münchens Olympiagelände

Visionäre Architektur mit nachhaltiger Wirkung

09:16 Minuten
Grüne Hügel mit Menschen darauf: Blick auf den Olympiapark München.
Der Olympiapark ist Austragungsort verschiedenster Sportveranstaltungen. Hier: European Championships 2022. © picture alliance / Martin Hangen / Martin Hangen
Von Tobias Krone · 07.09.2022
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Nach großen Sportereignissen bleiben die errichteten Bauwerke oft ungenutzt zurück. Dass es auch anders geht, zeigt der Olympiapark in München. Er ist heute ein beliebtes Naherholungsgebiet, Heimat vieler Sportvereine und eine Art Dorf am Stadtrand.
Ein sonniger Vormittag im August 2022: Mit etwas Glück kann man am Zaun des Olympiastadions vom Hügel in den Kessel hineinlugen, um einen Blick auf die Leichtathletik-Europameisterschaften zu erhaschen. Etwas Reporterglück habe ich auch, da ich ganz zufällig zwei Zaungäste mit Zeitzeugenstatus treffe.
Das Ehepaar Preißler schwelgt gerade in Erinnerungen – an den 31. August 1972, als hier der Weitsprungwettkampf lief. „Meine Eltern haben sich damals bereiterklärt, Zimmer für Gäste zu vermieten. Dafür hat man Eintrittskarten gekriegt“, erinnert sich Marianne Beil-Preißler, „und mein Mann war zufälligerweise am gleichen Tag drin, bloß damals hatten wir uns noch nicht gekannt.“ Am Abend sei Heide Rosendahl dann Olympiasiegerin geworden. „Das haben wir natürlich nicht mehr gesehen. So lang haben unsere Karten nicht mehr gegolten. Die waren nur für den Vormittag.“

Früher Schuttberg, jetzt beliebter Park

Marianne Beil-Preißler und ihr Mann Georg lächeln sich verschmitzt an. Der Olympiapark war für ihn eine Spielwiese gewesen. „Ich habe hier das Skifahren gelernt, am Schuttberg. So komisch das klingt. Im Winter waren wir immer hier.“
Die Preißlers wohnen in einem Haus am Rande des Olympiaparks. Wie sie genießen jeden Tag Tausende Menschen den großen Park mit seinen Wiesen, seinem See und dem Olympiaberg, von dem man bei klarem Fönwetter die Alpenkette von Watzmann bis Zugspitze erblicken kann – ebenso wie die Stadtkulisse Münchens.

Heimat vieler Sportvereine

In puncto Naherholung funktioniert der Park – und in seiner Funktion als Sportpark ist er Heimat des Hochschulsports und vieler Vereine. Der Verein, der dem Olympiapark und seinem Großstadion am meisten verbunden sein müsste, ist der FC Bayern München, sagt Ferdinand Kramer, Professor für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
„Dass der so einen großen Aufstieg erleben konnte, hat auch damit zu tun, dass sie hier jetzt das Olympiastadion zur Verfügung hatten, das weit mehr als 70.000 Zuschauer gefasst hat“, sagt Kramer – und das zu einer Zeit, als die Zuschauereinnahmen noch ein ganz wesentlicher Teil des Vereinsbudgets waren. „Das hat den Bayern ermöglicht, sich finanziell anders zu positionieren und damit sich auch im Spielerrepertoire anders aufzustellen und dann die Reise in die internationale Spitze anzutreten.“
Mit dieser Reise in den 90ern erlebte der Olympiapark auch gleichzeitig einen Rückschlag. Der FC Bayern zog damals um in die neue Allianz-Arena auf der grünen Wiese vor der Stadt, weil sich das weitläufige Olympiastadion mit seiner Tartanbahn immer weniger für die kommerziellen Interessen des globalen Fußballkapitalismus eignete. „Die Fußballvereine wollten einen sogenannten Fußball-Hexenkessel haben“, sagt die Architekturhistorikerin Irene Meissner. „Das Wort allein assoziiert ja Aggression, Gewalt, Intoleranz. Also das genaue Gegenteil, wofür das Olympiastadion mit seiner Architektur steht, nämlich Freiheit, Demokratie, Toleranz.“

Eine riesige grüne Fußgängerzone

Das Olympiagelände bietet nicht nur Sport und Naherholung, sondern auch Wohnraum für gut 7000 Menschen. Jenseits der Stadtautobahn, die den Olympiapark durchquert, wird gelebt. „Ich bin Architektin und lebe im Olympischen Dorf seit mehr als 40 Jahren“, sagt Monika Mühlenbeck-Krausen, Jahrgang 1955. „Ich habe es zum ersten Mal gesehen als Studentin. Das war 1974.“
Der Olympiapark 1972: grüner Hügel mit dem Hinweisschild zum Radstadion.
Die Autos fahren unterirdisch, oben ist es grün: Der Olympiapark 1972 mit dem Hinweisschild zum Radstadion.© picture alliance / Markus und Michael Roth
Der Gang von der U-Bahnstation durch die grüne Wohnanlage mit ihrer Mischung aus Terrassenhochhäusern, Wohnblöcken mit großzügigen Fensterfronten und kleinen Bungalows war für die junge Architektin, die aus einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen stammte, Liebe auf den ersten Blick. „Das waren einfach einerseits Betongebirge, andererseits aber auch grün. Man konnte als Fußgänger laufen, weit und breit kein Auto, weil die unter einem fuhren. Das hatten die Architekten damals wirklich genial erfunden für das Dorf.“
Der Stadtraum ist hier eine einzige Fußgängerzone, die Autos fahren unten zu den einzelnen Tiefgaragen unter den Häusern, während man oben im Grünen flaniert, sich im Amphitheater sonnt oder im kleinen Tümpel im Inneren der Anlage badet. „Wenn man hier wohnt, ist man in zwölf Minuten am Marienplatz mit der U-Bahn“, so Mühlenbeck-Krausen. „Man ist einerseits hier ganz im Grünen, verkehrsberuhigt und hat trotzdem einen ganz engen Draht zur Stadt.“
Dafür, dass das Stadtviertel letztlich nur ein Erfolg werden konnte, sorgte unter anderem eine Beratungseinheit durch den Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, der mit seinem Buch „Die Unwirtlichkeit der Städte“ die Monotonie der Nachkriegsvorstädte angeprangert hatte.

Wohnen in einem internationalen Dorf

Nein, eine Schlafstadt sollte dies hier nicht werden – und wurde es auch nicht. Das Olympiadorf ist städtebaulich gesehen tatsächlich eine Insel, von Olympiapark, Stadtautobahnen und BMW-Produktionshallen umschlossen. Aber es gibt hier Schule und Kita – und einen Supermarkt, kleine Läden, Bäckerei, Imbiss und ein Restaurant, das gerade saniert wird – eine Ladenpassage am Eingang des Olympiadorfes.
Davor steht Till von Feilitzsch, von Beruf in der Univerwaltung tätig. Im Ehrenamt kümmert er sich in einer Genossenschaft von Dorfbewohner:innen darum, dass die Ladenzeile belebt bleibt – und dass das Restaurant bald wieder ein Dorfzentrum wird. „Wir brauchen ein Restaurant oder eine Wirtschaft, wo man gerne hingeht“, sagt er, „wo man sich treffen kann, ungezwungen, vielleicht auch mal einen Geburtstag feiern kann – einfach so etwas wie eine Dorfwirtschaft.“
Die Leute vor Ort kümmern sich selbst um ihre Strukturen. Das müssen sie aber auch. Denn die Stadt hält sich hier raus. Wege und Straßen müssen die Eigentümer der 3200 Wohnungen selbst unterhalten. „Es ist nicht wirklich viel nachgedacht worden über Organisationsstrukturen“, sagt Till von Feilitzsch.
Gebäude aus Beton mit Grün bewachsen. Der Erinnerungsort an das Olympia-Attentat München 1972 im Olympiapark.
Der Erinnerungsort an das Olympia-Attentat München 1972 im Olympiapark. Elf israelische Sportler und ein bayerischer Polizist wurden ermordet.© picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Ein kompliziertes Geflecht aus verschiedenen Eigentümergemeinschaften mit einer gemeinsamen Betreibergesellschaft kümmert sich inzwischen um den Unterhalt. Die erste Sanierungswelle hat das Olympiadorf hinter sich – und auch das Frauendorf, eine Siedlung mehrerer Reihen aus Tiny-Houses, ist inzwischen abgerissen und rekonstruiert worden.
Man kann in den kleinen Gässchen herumspazieren – und genießt eine wirklich dörfliche Atmosphäre. Die kleinen individuell bemalten Häuschen, nur wenige Quadratmeter groß, beherbergen Studierende aus aller Welt, wie Informatikstudent Skanda, den man vor seinem Häuschen trifft. „Es ist ein bisschen eng. Aber sonst ist es nicht so schlecht, weil man sowieso zwei Etagen hat.“ Die studentische Gemeinschaft hier möge er sehr. Es gebe immer Events. „Wir haben dort unsere eigene Bar.“ Es werde gegrillt und Partys werden gefeiert.

Das Attentat 1972  – lange Zeit verdrängt

Man könnte das Olympiadorf für eine Insel der Seligen halten, doch die Olympischen Spiele waren 1972 nur bis zum 4. September heitere Spiele – und dann überschattet vom Attentat palästinensischer Terroristen auf die israelische Olympiamannschaft.
Eine Gedenkstätte gibt es erst seit 2017. In einen der Hügel des Olympiaparks kann man heute in einer Art künstlichen Höhle eine Filmdokumentation zum 5. September sehen – wo unter anderem dieser Fernsehbericht von damals zu sehen ist. „Es fällt auf, wenn man hierherkommt, dass die Leute in den anderen Areas der olympischen Szenerie außergewöhnlich unberührt sind durch das, was hier passiert“, heißt es darin. „Im Ganzen ist es fast ein wenig erschreckend, dass die anderen Gebiete dieser ganzen Gebiete so vollkommen unberührt sind.“
Ja, über Jahrzehnte wollte München nicht darüber reden, über diesen tiefschwarzen Fleck auf der bunten Tapete der Olympiaerinnerungen. Immerhin das Gedenken hat heute auch einen Platz im Olympiapark – und in der Olympiaerzählung Münchens.

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