München kämpft um eine Renaissance der Filmindustrie

Von Susanne Lettenbauer |
Mehr als 100 Filme werden - zumindest szenenweise - jedes Jahr in Berlin gedreht. Gut 60 Millionen Euro fließen in die Filmförderung von Berlin-Brandenburg. Als Filmstandort musste München seine Führungsrolle abgeben. Nun kämpft man im Freistaat um den Anschluss.
Ginge es nach Isabell Zaccharias dann wären Hollywood-Stars wie Tom Cruise oder Brad Pitt schon längst in Bayern Dauerdrehgäste. Dass ausgerechnet Produktionsfirmen wie die Münchner Constantinfilm trotzdem lieber in Berlin drehen lassen oder gleich ganz im Ausland wurmt die stellvertretende Vorsitzende des zuständigen Ausschusses für Hochschule, Forschung und Kultur.

" Also man könnte hier doch wunderschöne Angelina Jolie-Brad-Pitt-Romanzen verfilmen, ganz ehrlich: Wir haben so viele Möglichkeiten alleine durch die Immobilien, die in bayrischer Hand sind, da braucht man gar nicht viel machen – einfach Kamera an und Film ab. Ich sehe das ganz unkompliziert."

Einfach Kamera an, das war in der Vergangenheit in München ein Unding. Die Landeshauptstadt sperrte sich gegen Drehgenehmigungen, das Finanzministerium, zuständig für die Schlösser und Parks gerierte sich, Filmkameras zuzulassen, es sei denn die des Bayerischen Fernsehens. Das ist vorbei. Mit dem neuen Leiter der Staatlichen Schlösser- und Seenverwaltung sitzt ein filmaffiner Kulturmensch auf dem Wittelsbacher Thron. Der Hofgarten tagelang gesperrt? Kein Thema mehr. Schloss Neuschwanstein? Wer genügend bietet, darf auch dort mit seiner Filmcrew einziehen. Und Münchens Kulturreferent Hans Georg Küppers hat angekündigt, Filmteams künftig aktiv zu unterstützen.

Dass Bayern durchaus Filmpotenzial hat zeigte der Außendreh für den Hollywood-Streifen "Die Drei Musketiere". Milla Jovovich und Orlando Bloom in Würzburg – selbst das Wirtschaftsministerium wurde plötzlich hellhörig und baute die behäbige Bayern Tourismus Marketing, kurz BayTM zu einem Experten in Sachen Locationscouts aus. Seitdem werden Mitarbeiter der wichtigsten Produktionsfirmen der Welt regelmäßig durch Bayern gekarrt, testen romantische Flussschleifen, mittelalterliche Stadtmauern und verträumte Almwiesen auf Kameratauglichkeit. Dass die Stadt Rothenburg ob der Tauber im vierten Harry-Potter-Film bis zur Unkenntlichkeit digital bearbeitet wurde, sei´s drum.
Der Vorteil Berlin sei arm, aber sexy, zähle nicht mehr, meint Isabell Zaccharias:

"München ist much more sexy und wirklich reich. Bayern ist ein reiches Land und wenn Bayern, die CSU-Staatsregierung versteht, dass Film und Fernsehen ein Wirtschaftsfaktor ist, kann man dafür auch Mittel zusagen, unkompliziert."

Doch genau da endet die Faszination des Filmstandortes Bayern. Während Berlin-Brandenburg gut 60 Millionen für die Filmförderung verteilt, riesige Studiohallen mit historischer Aura bietet, stehen in Bayern noch nicht einmal 30 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. In den einst berühmten Bavaria-Studios werden ZDF-Fernsehfilme und Telenovelas gedreht, ab Januar wird dort das ARD-Wetterprogramm produziert und die 2011 eingeweihte Bullyversum-Halle richtet sich an Freunde von Filmen wie "(T)Raumschiff Surprise" oder "Schuh des Manitu". Die vorhandenen Kulissen von Emmerichs "Das Boot" oder Bernd Eichingers "Baader-Meinhof-Komplex" wirken wie Relikte einer vergangenen Ära.

Kein Wunder für Hans Stockinger, Chef der CSU-Filmkommission. Bayern finanziere die Berliner Filmförderung ja quasi mit und wäre deshalb auf den dritten Rang unter den deutschen Filmstandorten abgerutscht:

"Wir führen Steuergelder nach Berlin und Brandenburg ab. Dadurch ist Berlin in der Lage mehr Fördergelder auszugeben als wie. Aber wir können den Finanzausgleich nicht von heute auf morgen ändern."

Stolz verkündete vor Kurzem der FilmFernsehFonds Bayern die Zusage von 2,5 Millionen Euro für 2012, verteilt auf 22 Projekte. Eine Hollywood-Produktion benötigt im Schnitt 100 Millionen Euro.

Für Eberhardt Sinner, Ex-Europa- und Medienminister von Bayern, eine Kampfansage an die Filmförderpraktiken in Deutschland. München würde von internationalen Produzenten viel eher wahrgenommen, wenn künftig auch virtuelle Drehtage gefördert würden:

"Wir sehen, dass die Visual Effects ein eigenständiger Teil der Filme sind, ohne die der Film nicht das wäre, künstlerisch was er ist. Früher war das immer die Postproduktion. Das ist keineswegs mehr so."

Kulturstaatsminister Bernd Neumann habe vor einem halben Jahr sein Interesse bekundet, virtuelle Drehtage fördern zu wollen, wie es andere Staaten wie Kanada tun. Genaueres ist bislang jedoch noch immer nicht aus dem Kulturstaatsministerium zu erfahren. Für die Leuchttürme auf dem Münchner Bavaria-Gelände wie die Firma Scanline wäre eine schnelle Entscheidung aber das Zünglein an der Waage, ob die weltweit gefragten oscarprämierten Experten für Wasseranimationen und andere visuelle Effekte am Münchner Standort bleiben oder doch lieber ihr Büro in Hollywood ausbauen. Von Scanline heißt es, "die Luft werde immer dünner, wahnsinnig viel Fördergeld gehe verloren, weil nicht nur Münchner Firmen aus fördertechnischen Gründen ihre visual effects ins Ausland verlagern". Bekanntestes Beispiel: Die kostenintensive Postproduktion samt visual effects der Constantin-Produktion "Die drei Musketiere" wurde in Kanada realisiert.

Im kommenden Jahr soll eine neue Studiohalle den Engpass beheben helfen. Zehn Millionen Euro will der Freistaat in das neue Gebäude pumpen, wenn die Zustimmung aus Brüssel kommt. Dann werde München noch attraktiver, als es mit dem riesigen neuen Gebäude der Hochschule für Fernsehen und Film samt repräsentativem Entrée und drei eigenen Kinos sowieso schon geworden sei.
Exmedienminister Eberhardt Sinner wählt statt Pessimismus lieber die Flucht nach vorn. München müsse mit Berlin enger zusammenarbeiten. Wenn in den Babelsberg-Studios real und in München virtuell gedreht würde, könne der Filmstandort Deutschland größere internationale Produktionen anlocken.

Schaut man genau hin, verbirgt sich hinter diesem Vorschlag ein raffinierter "Filmtrojaner". Über den Umweg der Kooperation erhofft sich Bayern Gelder für bayerische Firmen, die an der Postproduktion beteiligt sind. Dann gehörten Protestaktionen, bei denen Filmschaffende symbolisch ihre Geldbörse im Fischbrunnen vor dem Münchner Rathaus wuschen, vielleicht der Vergangenheit an. Der Überlieferung nach soll das Reichtum bringen.