Mücke oder Elefant?

Von Hans Christoph Buch |
Zugegeben: Es ist ärgerlich und abscheulich, zu welch makabren Spielchen in Afghanistan stationierte deutsche Soldaten sich hinreißen ließen. Dabei war das Ganze eher eine pubertäre Geschmacksverirrung als ein handfester Skandal. Das Verteidigungsministerium, so steht zu hoffen, hat aus Fehlern gelernt. Aber auch die zivile Gesellschaft muss sich fragen, wie sie zur Bundeswehr steht.
Die öffentliche Empörung verhält sich umgekehrt proportional zu dem eher geringfügigen Anlass, und sie spiegelt die Be- und Empfindlichkeiten der deutschen Gesellschaft genauer wider als die Zustände in der Bundeswehr. Zugegeben: Es ist ärgerlich und abscheulich, zu welch makabren Spielchen in Afghanistan stationierte deutsche Soldaten sich hinreißen ließen, als sie mit Totenköpfen und menschlichen Knochen für Erinnerungsfotos posierten, die jetzt als Beweismittel gelten für die moralische Verwahrlosung und/oder die rechtsradikale Unterwanderung der Bundeswehr.

Dabei war das Ganze eher eine pubertäre Geschmacksverirrung, alberner und kindischer Unfug, als ein handfester Skandal wie etwa die Menschenrechtsverletzungen in Abu Ghraib, mit denen der Vorgang verglichen wurde. Ähnlich wie bei den dänischen Mohammed-Karikaturen wird eine Mücke zum Elefanten gemacht, und Deutschlands Medien liefern, gewollt oder ungewollt, den Feinden der Demokratie neue Argumente ins Haus, um ihrem Hass auf die säkulare Gesellschaft freien Lauf zu lassen.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus, denn der wahnhafte Todestrieb und Totenkult, den man der Bundeswehr unterstellt, ist für islamische Selbstmordattentäter schon lange eine Selbstverständlichkeit - egal ob sie Taliban heißen, Hisbollah oder Hamas.

Wegen einiger weniger, in der Wolle braun gefärbter Schafe gerät die Bundeswehr unter Neonazi-Verdacht und wird pauschal an den Pranger gestellt - zu Unrecht, wie mir scheint. Kein Zweifel: Die Mitwisser müssen gemaßregelt oder belehrt, die Hauptschuldigen bestraft und notfalls gefeuert werden, und es ist rückhaltlos aufzuklären, welches Glied in der Befehlskette versagt und die Pannen verursacht hat.

Darüber hinaus muss der Truppe glaubhaft vermittelt werden, dass Respekt und Verständnis für fremde Kulturen ihrer eigenen Sicherheit dienen, mithin also kein überflüssiger Luxus sind, sondern unverzichtbar für den Erfolg jeder "Out of Area"-Mission. Das gilt nicht nur für Kabul, sondern auch für Bagdad, wo die US-Marines zuerst die Tür eintraten und dann fragten, ob sie eintreten durften - kein Wunder, dass der Irak bis heute nicht befriedet ist.

Das Verteidigungsministerium, so steht zu hoffen, hat aus Fehlern gelernt und das Notwendige veranlasst, um deren Wiederholung zu vermeiden. Aber auch die zivile Gesellschaft muss sich fragen, wie sie zur Bundeswehr steht und ob sie den Soldaten nicht zuviel zugemutet und untragbare Lasten aufgebürdet hat. Immer mehr Auslandseinsätze unter immer schwereren Bedingungen für immer weniger Geld - so lautet der politische Refrain der letzten zehn Jahre, und es ist bezeichnend, dass die mit veraltetem Gerät ausgestattete Luftwaffe ukrainische Flugzeuge chartern musste, um deutsche Soldaten zum Hindukusch zu befördern.

Wird hier am falschen Ende gespart? Die mangelnde Bereitschaft, sich dieser Frage zu stellen, zeigt, dass die Bundeswehr ein Stiefkind der deutschen Gesellschaft ist und, je nachdem, als Relikt des Kalten Krieges oder als notwendiges Übel gilt. Dabei wird sie permanent überfordert und soll an allen Fronten zugleich als Friedensstifter und Feuerlöscher, Menschenrechtsexperte und Entwicklungshelfer tätig sein - eine Quadratur des Kreises, die so nicht gelingen kann.

Die Pazifisten haben recht: Soldaten sind potenzielle Mörder, wie ein deutsches Gericht der Friedensbewegung einst ins Stammbuch schrieb, denn ähnlich wie Polizisten machen sie im Ernstfall - und nicht nur in persönlicher Notwehr - von der Schusswaffe Gebrauch. Obwohl Politiker aller Parteien in Sonntagsreden Frieden und Menschenrechte beschwören, besteht die Bundeswehr nicht aus Friedensaposteln und Chorknaben, sondern aus jungen Männern und Frauen, die militärisch gedrillt und - unter anderem - auch zum Töten ausgebildet wurden.

Damit geht eine gewisse Verrohung Hand in Hand, besonders dann, wenn man sie an Orte verfrachtet, wo sie Gefahr laufen, von Heckenschützen beschossen oder von Minen zerrissen zu werden. Das ist keine Rechtfertigung für das Posieren mit Totenschädeln, auch wenn das martialische Macho-Getue nur die eigene Angst übertönen soll. Aber ein realistisches Bild der Bundeswehr trägt dazu bei, den Soldaten, die ihre Haut zu Markte tragen, mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen als bisher.


Hans Christoph Buch, Schriftsteller, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der Gruppe 47. Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre verschaffte er sich Gehör als Herausgeber theoretischer Schriften, von Dokumentationen und Anthologien. Auch mit seinen Essays versuchte er, politisches und ästhetisches Engagement miteinander zu versöhnen. Erst 1984 erschien sein lang erwartetes Romandebüt: "Die Hochzeit von Port au Prince". Aus seinen Veröffentlichungen: "In Kafkas Schloß", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh". 2004 erschien "Tanzende Schatten".