"Movement Practice"

Alle Facetten der Bewegung

06:08 Minuten
Eine Frau joggt auf einer Treppe.
Bei Movement Practice geht es um möglichst unterschiedliche Bewegungen. © dpa / picture alliance / Oleksandr Latkun
Von Tatjana Schweizer · 25.09.2022
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Ukraine-Krieg, Inflation, Klimawandel: Immer mehr Menschen haben Zukunftsängste – und wollen den Sorgen etwas entgegensetzen. Sie machen sogenannte Movement Practice und entdecken dabei den eigenen Körper neu.
Ein junger Mann jongliert, eine ältere Dame schlägt einen Tennisball gegen die Wand. Alle hier in einer kleinen Halle in Bonn sind hoch konzentriert auf ihre Bewegungen im Training, das "Movement Practice" heißt. 
"Movement Practice" sei allerdings keine Sportart, sagt der Trainer Felix Kaul.

'Movement Practice' ist vielleicht in erster Linie eine Philosophie. Wir haben zwar Bewegung in unserem Leben, aber es ist immer sehr wenig Variation darin. Bei Movement Practice geht es darum, diese ganzen Dazwischen zu erkunden. Also was gibt es noch? Welche Bewegung mache ich nicht?

Trainer Felix Kaul

Den Begriff hat der israelische Trainer Ido Portal geprägt, indem er die Idee popularisiert hat, die Bewegung im Alltag zu finden und in den Alltag zu integrieren.  
Dieses Ziel verfolgt auch Felix Kaul: "Wenn ich zum Supermarkt gehe und ich muss zwei Kästen Wasser nach Hause tragen, dann kann das etwas ganz Ätzendes sein, wenn ich mich abrackere und mich ärgere, dass ich kein Auto genommen habe. Oder ich kann es als Übung sehen, die mich weiterbringt und stärker macht."
Felix ist 29 Jahre alt und hat vom Tanz bis zum Boxen viele Sportarten ausprobiert. Im Training trägt er Alltagsklamotten, statt spezieller Sportbekleidung eine locker sitzende Hose, statt Trainingsschuhe barfuß. Das ist auch ein Teil der Philosophie – man braucht nicht viel, um sich zu bewegen. 

Möglichst unterschiedliche Bewegungen als Ziel

Nicht lineare, sondern möglichst unterschiedliche Bewegungen sind eines der Ziele in der Movement Practice und sind auch aus der wissenschaftlichen Sicht wichtig.
Helge Knigge vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft an der Sporthochschule in Köln sagt:
"Wenn wir unter gesundheitlichen Aspekten gucken, welche Bewegungen sinnvoll wären, dann kann man eigentlich nur sagen alle – und zwar in einer möglichst hohen Variabilität der Möglichkeiten, nicht zu stark ausgerichtet auf einzelne Muskelgruppen oder Schlingen und vielleicht auch nicht zu stark ausgerichtet ausschließlich auf einzelne Anpassungen.“

Bewegung in den Alltag bringen

Auf den Schreibtisch und den Stuhl verzichten und stattdessen mit dem Laptop auf dem Boden sitzen – nur ein Beispiel, wie man Bewegung in den Alltag integrieren kann. Man wird schnell neue Positionen suchen – zu unbequem ist es auf dem Boden.
Aber wird nicht etwa behauptet, wir säßen zu viel? Doch das Problem ist viel mehr nicht das Sitzen an sich, sondern, so Felix Kaul, "wenn wir in einer Sitzposition verharren über einen ganz langen Zeitraum".
Wir sitzen die meiste Zeit auf Möbeln, die so gestaltet sind, dass wir an unserer Position wenig ändern müssen.
"Wenn wir keine Stühle hätten, dann würden wir auf dem Boden sitzen - und das hat ganz andere Anforderungen an unseren gesamten Körper. Wir fangen an, in die tiefe Hocke zu gehen."
Und zu der Hocke kommen später noch fünf weitere Sitzpositionen, die man variieren soll.
Auf den Schreibtisch und den Stuhl verzichten und stattdessen mit dem Laptop auf dem Boden sitzen – nur ein Beispiel, wie man Bewegung in den Alltag integrieren kann. Man wird schnell eine neue Position suchen, zu unbequem ist es auf dem Boden.
Aber wie oft soll man sich denn aus einer Sitzposition in die andere bewegen, um die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation zu erfüllen, mindestens 150 Minuten in der Woche aktiv Sport zu machen?
Helge Knigge spricht vorsichtig über die Vorgaben.
Wenn wir dies jetzt vorgeben, dann, finde ich, machen wir den ersten großen Fehler. Wir produzieren ja dann eigentlich Konsumenten oder Menschen, die nur nach dem vermeintlichen Bedarf Sport treiben. Und da fängt eigentlich die Bewegungskrankheit für mich schon an, also weg von dem eigentlichen Bewegungswunsch des Menschen hin in einen Modus, dass derjenige glaubt, etwas machen zu müssen, weil dieses notwendig sei. Und da orientiert man sich immer am Mindestmaß. Und das führt zu so merkwürdigen Situationen, dass Leute auf dem Laufband wirklich bei 30 Minuten aufhören.
Es sind nachhaltige Bewegungen, die uns gesund halten. Etwas über eine längere Zeit machen ist einfacher, wenn man daran Freude hat, sagt Helge Knigge. Mit Zwang komme man nicht weit.

Menschen wissen oft nicht, was ihnen Spaß macht

Das Problem ist, dass die Menschen oft gar nicht wissen, was ihnen Spaß macht. "Movement Practice" kann helfen, es herauszufinden.

Zwar ist der Ansatz von "Movement Practice" an sich nicht neu, sagt Herr Knigge, aber …
"… vielleicht steckt darin auch die Qualität. Denn nichts Neues vermeintlich zu vermitteln, sondern anzuknüpfen an die Natürlichkeit der menschlichen Bewegung ist in diesem Zusammenhang für mich fast ein qualitatives Merkmal."

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