Politische Kunst im Herzen Russlands
Die bisherigen Moskauer Biennalen wurden als oberflächliche Hochglanzveranstaltungen der High Society kritisiert. Das dürfte dieses Jahr nicht passieren. Die Schau ist hochpolitisch - und geht ganz neue Wege.
Sie wollen eine Biennale machen, die anders ist als alle Biennalen zuvor:
"Von vornherein war uns wichtig, dass wir, um das negativ zu konnotieren, keine Retail-Show machen wollen, viele Arbeiten aus der ganzen Welt hier hin transportieren, hoch versichern und dann wieder zurücktransportieren",
sagt Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle Wien und einer der drei Kuratoren der 6. Moskauer Biennale. Eine Hochglanzveranstaltung hätten sie sich auch gar nicht leisten können. Die Rubelkrise hat das Budget von ursprünglich umgerechnet 2,5 Millionen US-Dollar auf 800.000 schrumpfen lassen. Es geht in Moskau um den Schaffensprozess und vor allem um Kommunikation. Die mehr als 70 Künstler werden vom ersten bis zum letzten Tag auf der Biennale arbeiten. Ko-Kuratorin Defne Ayas, Direktorin des Witte de With Zentrums für Zeitgenössische Kunst in Amsterdam, erläutert das Konzept:
"Wir wollten einen radikalen Bruch machen und vom rein äußerlichen Konsum wegkommen. Davon, dass alles bereit ist, um es für Instagram zu fotografieren, davon, dass alles perfekt ist für den Handel, fürs Geschäft. Wie man in Russland gut weiß, geht es bei Kunst nicht nur um finanzielle, sondern auch um intellektuelle und emotionale Transaktion. Wir müssen den Reset-Button drücken und diesen Dingen eine neue Chance geben."
Ausstellungsgelände WDNCh ist auch ein beliebter Ausflugsort
Der Raum dafür ist ideal. Denn auch er ist unfertig. Der größte Teil der Biennale findet auf dem Gelände der WDNCh statt, der allsowjetischen "Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft". Die Pavillons aus der Stalinzeit verfielen nach dem Ende der Sowjetunion, wurden für kommerzielle Zwecke genutzt. Zurzeit werden viele restauriert. Hinter einer Glaswand spachteln Restaurateure an einem Relief mit dem Titel "Ruhm dem Sowjetvolk, dem Bannerträger des Friedens" aus dem Jahr 1939. Davor sind nun überall Künstler mit den unterschiedlichsten Dingen beschäftigt. Der Berliner Video- und Fotokünstler Leon Kahane nimmt täglich eine öffentliche Ballettstunde. Der Franzose Fabrice Hybert malt Porträts der Besucher mit Rohöl.
"Für Künstler ist es gut, an einen Ort zu reisen, um dort zu arbeiten. Und nicht nur ein Werk aufzuhängen und ansonsten Tourist zu sein. Wir sind fast zwei Wochen zusammen. Wir wissen nicht, was dabei rauskommt. Aber wir machen das jetzt erst mal. Kunst ist mehr als ein Verkaufsobjekt. Es geht nicht mehr um Wirtschaft, es geht um Austausch."
Die ukrainische Künstlerin Alevtina Kakhidze wird auf der Biennale täglich Fernsehnachrichten präsentieren. Aus der Vergangenheit, der Gegenwart, der Zukunft.
"Die Nachrichten aus der Zukunft werden sehr positive Visionen für die Menschheit sein. Zum Beispiel werden Blumen eine eigene Partei gründen. In den aktuellen Nachrichten geht es um die Ereignisse hier auf der Biennale. Und die Nachrichten aus der Vergangenheit werden ausschließlich von Frauen in einer Kleinstadt nahe Donezk in der Ostukraine im letzten jahr handeln. Das wird hart, da geht es um den Krieg."
Der ehemalige griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, hat sich angesagt
Die Biennale wird eine politische, das ist klar. Neben den Künstlern werden zahlreiche Soziologen, Ökonomen, Politologen zu Vorträgen erwartet, darunter auch der ehemalige Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis. Die Welt stehe vor einem Kollaps, da sei es wichtig, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir weitermachen und wie wir zusammenleben wollen, so formulieren es die Kuratoren. Nicolaus Schafhausen von der Kunsthalle Wien:
"Ich bin gespannt, wie die Live-Veranstaltungen – hier geht es einfach um Free Speech, das ist das Zentrum der Biennale - was gesagt wird und was nicht gesagt wird. Und wer von unseren internationalen Gästen sich dann traut, das zu sagen, was er vorhat. Da sind wir wirklich gespannt."
Schafhausen wird eine tägliche Talkshow mit der chinesischen Künstlerin Mian Mian veranstalten. Sie hat angekündigt, über Zensur zu reden.
In letzter Zeit wurden in Russland mehrere Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst von orthodoxen Vandalen zerstört. Die Strafen für die Täter fallen gering aus. Der ultraorthodoxe Aktivist "Enteo" zum Beispiel, der im August mit Gleichgesinnten eine Ausstellung in der Manege in Moskau überfiel, wurde soeben zu zehn Tagen Ordnungshaft wegen "leichten Rowdytums" verurteilt. Biennale-Kokurator Bart de Baere aus Antwerpen ist auf derlei Zwischenfälle vorbereitet.
"Wenn die Orthodoxen kommen, rede ich mit denen über Jesus Christus. Denn ich verstehe nicht, was die tun. Das hat mit meinem Verständnis von Christus nichts zu tun, und es ist seltsam, dass die russisch-orthodoxe Kirche das zulässt."
Zeitgenössische Kunst steht immer vor der Herausforderung, auch Menschen zu erreichen, die damit nichts anfangen können. In Moskau könnten sich neue Möglichkeiten ergeben. Das Ausstellungsgelände WDNCh ist gerade am Wochenende ein beliebter Ausflugsort für die Moskauer, viele alte Leute gehen hier, zu sowjetischer Musik aus Lautsprechern, mit ihren Enkeln spazieren. Ob sie sich auf die künstlerischen Prozesse und Diskussionen auf der Biennale einlassen und wie sie reagieren, wird eine der spannendsten Fragen in den kommenden zehn Tagen sein.