"Moskau ist ein wichtiger Partner, kein Gegner"

Moderation: Markus Pindur |
Der SPD-Politiker Niels Annen, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, hat die Russland-Politik der USA scharf kritisiert. Die amerikanische Regierung habe die Tendenz, Russland nicht als Partner wahrzunehmen, sondern als Bedrohung zu bezeichnen, sagte Annen in Deutschlandradio Kultur. Im Konflikt mit dem Iran könne die russische Regierung hilfreich sein, glaubt Annen.
Markus Pindur: "Ein lupenreiner Demokrat" - diesen Titel bekam der russische Präsident Putin vom einstigen Bundeskanzler Schröder verliehen. Und diese Einschätzung teilten damals schon viele nicht und im Rückblick kaum noch jemand. Von einer "gelenkten Demokratie" ist die Rede in Russland und von einem neuerwachten Selbstbewusstsein, dass sich nicht zuletzt auf den Geldsegen durch die reichhaltigen Energievorräte des Landes stützt. Der Petersburger Dialog, ein breites deutsch-russisches Diskussionsforum, ist gerade in Wiesbaden zu Ende gegangen, und wir wollen über die Beziehungen zu Russland mit Niels Annen reden, er sitzt für die SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Annen.

Niels Annen: Schönen guten Morgen.

Pindur: Herr Annen, was hat sich denn verändert in den deutsch-russischen Beziehungen in den letzten Jahren? So kuschelig wie unter Bundeskanzler Schröder ist es ja nicht mehr. Bundeskanzlerin Merkel hält ja eher eine freundliche Distanz. Liegt das an uns oder liegt das an Putin?

Annen: Nun, man muss ja erst einmal feststellen, dass sich Russland auch verändert hat. Die Wirren und das Chaos nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich ja inzwischen wirklich zu einer stabilen Entwicklung jetzt dargestellt. Russland profitiert von den Weltmarktpreisen des exportierten Erdöls vor allem, aber auch von anderen Rohstoffen. Und es gibt ja, das ist nicht zu übersehen, eine Sehnsucht geradezu danach, alte Größe zurück zu erlangen. Und natürlich haben wir es deswegen mit einem stärkeren Russland, auch mit einem selbstbewussteren Russland zu tun. Das muss aber für die Beziehung auf Dauer gar nicht schlecht sein.

Pindur: Ist es denn richtig, so wie die Bundeskanzlerin auch immer wieder auf das hinzuweisen, was uns trennt, unter anderem Menschenrechtsfragen oder Pressefreiheit zum Beispiel?

Annen: Ja, ich denke, wir haben unsere Position, wir haben unsere Überzeugung, und auf die muss man auch hinweisen. Das finde ich in jedem Fall richtig. Trotzdem beobachte ich eine Tendenz, das bezieht sich gar nicht auf die Bundeskanzlerin, sondern vielmehr auf die Vereinigten Staaten, Russland weniger als Partner wahrzunehmen, sondern inzwischen auch wieder als Bedrohung zu bezeichnen. Und ich glaube, diese Entwicklung ist gefährlich. Wir müssen auf die Fehlentwicklungen hinweisen, auch auf die Menschenrechtsverletzungen, auf die Dinge, die uns Sorgen bereiten - Stichwort Pressefreiheit, beispielsweise. Aber Russland ist ein wichtiger Partner für uns und eben ein Partner, nicht ein Gegner.

Pindur: Russland ist aber auch ein strategischer Konkurrent. Und Russland hat sich zum Beispiel aus Abrüstungsverträgen verabschiedet und es hat zum Beispiel eine neue Generation von Raketen in Dienst gestellt, die den INF-Vertrag unterlaufen.

Annen: Ja, das ist richtig. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, das will ich ganz klar sagen. Doch auch dort gibt es beide Seiten. Die russische Armee ist in den letzen Jahren auch durch die enorme wirtschaftliche Krise natürlich nicht weiter modernisiert worden. Und wenn man sich anguckt, was auch von Seiten jetzt beispielsweise der Vereinigten Staaten geplant wird in Richtung eines Raketenabwehrsystems, aber auch der Bewaffnung ehemaliger sowjetischer Republiken, die jetzt unabhängige Staaten sind, dann sind das alles Maßnahmen, die zumindest aus einer russischen Sicht als Provokation empfunden werden können. Und daraufhin kann man eben auch bestimmte Reaktionen zumindest sich erklären.

Ich will das nicht gutheißen, aber man kann sie sich erklären. Deswegen ist es so wichtig, dass wir auf allen Ebenen der Beziehung miteinander im Gespräch bleiben. Das macht beispielsweise der Petersburger Dialog. Und das ist dann auch eine Grundlage, neues Vertrauen zu schaffen und auch diese problematischen Beziehungen eben dann anzusprechen.

Pindur: Heute früh ist Präsident Putin ja direkt von Deutschland aus, vom Petersburger Dialog in den Iran geflogen. Er wird mit der dortigen Führung unter anderem über das Nuklearprogramm des Iran sprechen. Bundeskanzlerin Merkel hat sich in Wiesbaden dafür ausgesprochen, Wirtschaftssanktionen in Kraft zu setzen, falls der Iran nicht den Forderungen der internationalen Gemeinschaft und der Internationalen Atomenergiebehörde nachkommt. Teilen Sie die Ansicht der Bundeskanzlerin, dass man irgendwann mal auch sagen muss, jetzt ist Schluss, wir machen Sanktionen?

Annen: Also ich hoffe, dass wir ohne Sanktionen auskommen können. Es ist ganz wichtig, dass wir mit dem Iran im Gespräch bleiben, dass die Europäische Union ihre Initiative, dieses Problem diplomatisch zu lösen, weiter vorantreibt. Aber wenn man verhandelt und wenn man natürlich auch versucht, ein Ziel, nämlich die nukleare Bewaffnung des Irans zu verhindern, dann darf man eins nicht tun, man darf Sanktionen nicht grundsätzlich ausschließen.

Aber ich will auch ganz klar sagen, ich hoffe, dass wir ohne dieses Mittel auskommen können, weil die Region, über die wir dort reden, heute schon durch das Desaster im Irak, aber auch durch viele andere Spannungen derart destabilisiert ist, dass wir wirklich darauf setzen müssen, dass wir mit einer Gesamtlösung, die insgesamt die Probleme dieser Region mit in Angriff nimmt, versuchen müssen, eine Stabilisierung zu erreichen. Und deswegen finde ich es bei allen Problemen auch richtig, dass Präsident Putin mit der iranischen Führung im Gespräch bleibt.

Pindur: Worauf stützt sich Ihre Hoffnung dem Iran gegenüber? Denn bislang hat der Iran ja keinen Millimeter nachgegeben.

Annen: Das ist richtig. Auf der anderen Seite hat der Iran aber auch angekündigt, wenn man das Problem vor den Weltsicherheitsrat bringen würde, dann würde der Iran seine vertraglichen Verpflichtungen kündigen, würde vollkommen sich aus dem Dialog zurückziehen. Auch diese Drohung hat der Iran nicht wahrgemacht. Der Iran ist kein monolithischer Block, es gibt unterschiedliche, auch ökonomische Interessen im Iran. Es hat vor einigen Tagen Proteste auch gegen Präsident Ahmadinedschad gegeben von einer Bevölkerung, die im Übrigen nicht nur sehr jung, sondern auch sehr pro-westlich eingestellt ist, wenn man dort mit den Menschen redet. Das heißt, wir müssen auch langfristig auf die Veränderungskräfte im Iran setzen und auf den dialogbereiten Teil des Regimes zugehen.

Pindur: Was ist denn, wenn die russische Regierung sich nicht an den Sanktionen gegen den Iran beteiligen will und ein gemeinsames Vorgehen auch im Sicherheitsrat blockiert? Müsste man dann auch ohne Russland zu Sanktionen schreiten mit der EU und den USA?

Annen: Darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren. Ich glaube, dass es einen strategischen Ansatzpunkt gibt. Die russische Führung vertritt manchmal auch ein wenig brachial ihre Interessen. Aber sie setzt sehr auch auf das Vertragswerk der Vereinten Nationen. Vielleicht auch ein wenig als Gegengewicht zur Macht der Vereinigten Staaten. Aber diesen Punkt muss man ernst nehmen, dort muss man die Russen bei Wort nehmen. Wenn sie die Vereinten Nationen stärken wollen, dann müssen sie sich auch an gemeinsamen Beschlüssen beteiligen, und darauf setzten wir.

Pindur: Man braucht die Kooperation Russlands, aber man bekommt sie nicht in der Regel. Wie könnte man Russland denn wieder zu einer kooperativen Haltung bewegen, denn derzeit sieht es ja eher so aus, als sei Putin froh, jede Gelegenheit zur Konfrontation zu nutzen.

Annen: Nun, Herr Putin befindet sich im Wahlkampf. Das rechtfertigt und entschuldigt nicht jede Äußerung und auch nicht jede Entwicklung in den letzten Monaten und Tagen. Aber das erklärt ein wenig vielleicht die Situation. Und vielleicht sind sich die beiden großen Player, die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland, gar nicht so unähnlich. Denn auch dort spielt man gerne mit den Muskeln, wenn man wieder gewählt werden möchte.