"Moses"-Kampagne gegen Annalena Baerbock

Die populistische Kodierung eines Religionsstifters

09:11 Minuten
Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, gibt ein Interview vor der Bundesdelegiertenkonferenz ihrer Partei. Auf dem Parteitag wird das Wahlprogramm für die Bundestagswahl verabschiedet.
Von der Sonne der "Grünen" umrankt: die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Weniger schmeichelhaft ist die gegen sie lancierte Anzeigenkampagne einer Lobbygruppe. © dpa
Daniel Hornuff im Gespärch mit Eckhard Roelcke · 11.06.2021
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Eine Lobby-Kampagne zeigt die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Moses, der Verbote verkündet. Kritiker werfen dieser Darstellung Antisemitismus vor. Der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff kann dies in Ansätzen nachvollziehen.
Es ist ein Bild, das nicht nur sofort ins Auge fällt, sondern auch zu einer hitzigen Diskussion geführt hat: Es zeigt Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin und Co-Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, in einem biblischen Gewand mit Sandalen. In ihren Händen hält sie zwei Gesetzestafeln und lächelt freundlich - eine deutliche Anspielung auf Moses nach dem Empfang der Zehn Gebote.
Darunter eine Unterschrift: "Wir brauchen keine Staatsreligion". Weiter unten im Text und kleiner: "Die Verbote der Grünen lähmen unser Land".
Diese Fotomontage ist pünktlich zum Beginn des grünen Parteitags von mehreren überregionalen Zeitungen gedruckt worden. In Auftrag gegeben hat sie die Lobbygruppe "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM).

Antisemitische Stereotype reproduziert

Eigentlich sei Moses "ein positiv besetztes Klischee", sagt der Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff. Doch die INSM konstruiere hier "eine Figur, die vor allem Verbote erlassen will, die, in welcher Weise auch immer, negativ in ein Land eingreift", erklärt Hornuff. Die Intention und das Ziel von INSM sei, die Partei von Baerbock als eine "Verbotspartei" darzustellen.
Dadurch würden jedoch antisemitische Stereotype reproduziert. Eine antisemitische Absicht wolle er den Initiatoren zwar nicht unterstellen, sagt Hornuff. "Aber man muss festhalten, dass hier die Stereotype von Antijudaismus und Antisemitismus wiederholt werden".
Außerdem sehe er "leichte Anzeichen" für die Benutzung solcher Stereotype in der Stilisierung "einer Figur mit orientalischen Elementen" und im "sprachlichen Hinweis auf eine Staatsreligion, also ein religiöses System, das im Grunde einen ganzen Staat im Schwitzkasten hält".

Die Reaktion ist "höchst problematisch"

Die INSM weist den Vorwurf des Antisemitismus in einer kurzen Erklärung weit von sich, unter anderem mit einem Zitat des Schriftstellers Rafael Seligmann: "Kunst und Satire dürfen nicht mundtot gemacht werden."
Hornuff meint: "Auf Kritik wird mit Unterstellung reagiert, man wolle Meinungsfreiheit abschaffen. Und das ist tatsächlich höchst problematisch." Damit bewege man sich nicht mehr "in einem der kritischen Auseinandersetzung und des Streits", sondern eigentlich in einem Raum des Niedermachens.
Die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie haben sich inzwischen von der Anzeige distanziert. Die Lobby-Organisation "Initiative Soziale Marktwirtschaft" ist 2000 vom Arbeitgeberverband "Gesamtmetall" gegründet worden und wird von Arbeitgeberverbänden getragen.
(sbd)
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