Moscheen bereiten Öffnung vor

Abstand halten beim Gebet

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Rot-weiße Klebestreifen markieren auf einem Gebetsteppich, wieviel Abstand die Gläubigen beim Gebet voneinander halten sollen.
Sicherheitsabstand: 150 statt 700 Menschen passen so in die El-Iman-Moschee in Hamburg-Harburg. © El-Iman-Moschee / Mounib Doukali
Mounib Doukali im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 26.04.2020
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Noch müssen Moscheen fast überall geschlossen bleiben, Muslime begehen den Ramadan zu Hause. Der Hamburger Imam Mounib Doukali bereitet seine Gemeinde langsam auf die Wiedereröffnung vor – mit bestimmten Hygieneauflagen.
Anne Françoise Weber: Vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang nichts essen und nichts trinken, das ist die Pflicht gläubiger Muslime im Ramadan. Dazu gehört aber dann auch, nach Sonnenuntergang im Kreis der Großfamilie ausführlich zu essen, Verwandte und Freunde zu besuchen, zu besonderen Gebeten vielleicht auch nochmal in die Moschee zu gehen. In diesem Jahr ist alles anders, die Moscheen sind hierzulande vorerst geschlossen. Wie Gläubige den Ramadan trotzdem begehen können, das kann der Imam der Hamburger El-Iman-Moschee Mounib Doukali erzählen. Er ist zugleich in der Schura Hamburg, dem Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, für den interreligiösen Dialog zuständig. Herr Doukali, wie können Sie Ihre Gemeinde denn jetzt im Ramadan begleiten, wenn die Moschee geschlossen ist?
Mounib Doukali: Die Krise mit Corona hat uns stark herausgefordert. Die Gemeinde begleite ich persönlich weiter online durch Video- und Liveaufnahmen und in den sozialen Medien, aber ich nehme auch Kontakt zu den Mitgliedern über E-Mail und Telefon auf.

Das Freitagsgebet fällt aus, die Predigt kommt online

Weber: Beten können die Menschen ja alleine zu Hause, da ist es nicht nötig, dass Sie das Gebet anleiten, sondern das weiß ja eigentlich jede Muslima und jeder Muslim, wie sie alleine beten können. Es gibt aber diese besonderen Gebete im Ramadan, Tarāwīh, nach dem Sonnenuntergang. Machen das die Menschen dann auch alleine zu Hause oder wie funktioniert das wohl?
Doukali: Der Vorteil im Islam ist, dass die Gemeinschaftsgebete nicht unbedingt in der Moschee verrichtet werden müssen. Jeder Muslim kann das Gebet individuell alleine zu Hause oder in Gemeinschaft mit seiner Familie beten. Die große Herausforderung haben wir beim Freitagsgebet, da müssen wir leider auf die Freitagspredigt und somit auch auf das Freitagsgebet verzichten und beten stattdessen das Mittagsgebet zu Hause. Wir als Imame leiten aber dann die Predigt und schicken das entweder live oder über die sozialen Medien an unsere Mitglieder.
Der Gebetsraum der Hamburger El-Iman-Moschee steht wegen der Coronapandemie seit Wochen leer. An einer Säule hängt ein Schild mit Hinweisen für die bevorstehende Öffnung unter Sicherheitsauflagen.
Kein Freitagsgebet wegen der Pandemie: der leere Gebetsraum der El-Iman-Moschee in Hamburg-Harburg.© El-Iman-Moschee / Mounib Doukali
Dann haben wir das Tarāwīh-Gebet, das ist ein freiwilliges Gebet, das die Muslime im Monat Ramadan in Gemeinschaft beten. Das macht auch den Ramadan besonders, weil es die Muslime zusammenbringt und dieses Gefühl des Zusammenhaltes und der Nächstenliebe stärkt. Dieses Jahr müssen wir leider dieses Gebet auch zu Hause beten.

Die gemeinsame Religion hält die Menschen zusammen

Weber: Sie sagen schon, das bringt die Muslime zusammen. In Ihrer Gemeinde beten Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft. Sie selbst haben einen tunesischen Hintergrund, es gibt Menschen aus Zentralafrika, aus dem Kosovo, habe ich gelesen. Zerfällt die Gemeinde jetzt vielleicht auch wieder mehr in diese unterschiedlichen Herkunftsgruppen, weil man sich eben nicht mehr regelmäßig beim Gebet trifft? Oder fühlt man trotzdem diese starke Verbundenheit?
Doukali: Durch die Religion fühlen Muslime natürlich diese starke Verbundenheit, da sie ja einem gemeinsamen Gottesdienst nachgehen müssen. Die Nationalität spielt hier nicht so eine große Rolle bei den Gottesdiensten im Monat Ramadan, es sei denn bei der Essenskultur.
Weber: Und wie ist das eben – dieses gemeinsame Essen nach einem entbehrungsreichen Tag, das ist ja eigentlich ein sehr wichtiger Moment. Kann man den irgendwie auch virtuell teilen? Kann man sich das vorstellen, man macht da ein Facetime mit seiner Familie sonstwo oder mit den Nachbarn, zu denen man gerade nicht rübergehen kann, und beginnt gemeinsam das Essen nach dem Fasten?
Doukali: Ja, auf die Idee sind wirklich einige Muslime gekommen, sie haben sich überlegt, virtuell Fastenbrechen zu organisieren, zusammen zu essen. Man kann aber natürlich auch zu Hause mit der eigenen Familie das Fasten brechen. Das wird meiner Meinung nach dieses Gefühl der Gemeinsamkeit ein bisschen schwächen für einige, die alleine leben.

Nur der Arzt kann Ausnahmen vom Fasten gewähren

Weber: Es gibt ja auch Stimmen, die sagen, man sollte jetzt eben doch nicht fasten, weil möglicherweise das Immunsystem geschwächt ist, weil der Rachen ausgetrocknet ist, wenn man den ganzen Tag nichts trinkt. Ich weiß, die großen Autoritäten wie die al-Azhar-Universität hat gesagt: Nein, man soll fasten, es bleibt diese Pflicht. Aber es gibt eben Stimmen wie den Osnabrücker Islamexperten Rauf Ceylan, der meint, gerade Imame und islamische Theologen hätten die Aufgabe, Menschen darauf hinzuweisen, wenn sie eben krankheitsanfällig sind oder so, sollten sie doch auf das Fasten verzichten. Machen Sie das in Ihrer Gemeinde, sagen Sie den Gläubigen: Überlegt euch noch mal, ob es wirklich richtig ist?
Doukali: Die Pflicht des Fastens bleibt für die Allgemeinheit, es sei denn, man ist krank oder schon durch das Virus infiziert, dann sollte man natürlich in dem Falle diese Erleichterung annehmen und auf das Fasten verzichten. Dies bestätigen aber nur die Ärzte in dem Falle. Der Imam kann nicht sagen, ob die Person fasten kann oder nicht. Der Imam kann die Möglichkeit geben, die religiösen Texte und die Fatwas erklären, aber wer in dem Falle sagen kann, ob die Person fasten kann oder nicht, ist der Arzt.
Porträt von Imam Mounib Doukali, mit weißer Kappe und in Amtsrobe.
Vorsichtige Öffnung: Imam Mounib Doukali bereitet die Hamburger El-Iman-Moschee auf die Wiederaufnahme der Gottesdienste vor.© Mounib Doukali
Weber: Das heißt, wenn jemand zu Ihnen kommt, selbst gesund und jung, aber sagt: Ich habe zu Hause alte Eltern, mir ist das zu riskant, ich will nicht fasten, um nicht möglicherweise Überträgerin zu sein. Was sagen Sie dieser Person dann?
Doukali: Sie soll trotzdem versuchen zu fasten, es sei denn, man hat eine sehr große Befürchtung, dann kann man das Fasten brechen. Aber einfach aus Angst zu sagen: Nein, ich faste nicht, oder ich habe Eltern zu Hause, die zur Risikogruppe gehören – da sollen dann in dem Falle die Eltern vom Fasten befreit werden, nicht die junge Person.

Corona ist eine Prüfung Gottes, keine Strafe

Weber: Gibt es denn unter Muslimen auch eine Diskussion darüber, ob diese Coronapandemie als Zeichen Gottes, als Strafe Gottes möglicherweise, interpretiert werden sollte? In christlichen Kreisen gibt es da durchaus Stimmen. Es gibt natürlich auch viele Menschen, die sagen, bleiben wir mal lieber auf dem Boden der naturwissenschaftlichen Tatsachen. Wie ist da Ihre theologische Haltung?
Doukali: Der Islam betrachtet solche Schicksalsschläge und Krankheiten als Prüfung Gottes. Gott prüft uns mit dem Guten und mit dem Schlechten, einerseits, damit die rechtschaffenen Menschen ihren Glauben prüfen – und wie es in einer Überlieferung heißt: Die am meisten geprüft werden, sind die Propheten, dann die Nächstbesten, dann die Nächstbesten. Dann gibt es eine Prüfung für die Menschen, die etwas schwächer im Glauben sind, damit Gott sie von ihrem Sünden befreit. So heißt es in einer prophetischen Überlieferung, dass Gott seine Diener prüft, bis sie sündenfrei werden. Trotzdem gibt es im muslimischen Volksglauben die Idee der Strafe, dass Gott uns bestraft. Ich neige zu der theologischen Meinung, die sagt, das ist eine Prüfung Gottes.
Weber: Aber selbst die Idee einer Prüfung führt doch ganz schnell dazu, zu fragen: Wie kann Gott das zulassen, dass so viele Menschen sterben? Ist das nicht eine ganz schwierige Diskussion? Führen Sie die manchmal mit Ihren Gläubigen?
Doukali: Die Diskussion gibt es tatsächlich, auch in den Gemeinden, wie lässt Gott das zu? Aber wir Muslime glauben daran, dass Gott uns erschaffen hat, und er weiß das Beste für uns. Der Mensch kann das von Anfang an nicht nachvollziehen. Im Koran heißt es: Vielleicht ist euch etwas zuwider, während es für euch gut ist.

Salafisten nutzen die Krise, um Menschen zu erreichen

Weber: In früheren Jahren, habe ich gelesen, verkehrten auch Salafisten in Ihrer Moschee. Sie haben sich davon deutlich abgegrenzt. Ist jetzt eine Zeit, wo die vielleicht auch wieder ein bisschen Oberwasser bekommen und eben mit solchen Argumenten wie "Strafe Gottes" und "hier sind alle ganz sündig", sich nochmal lauter zu Wort melden?
Doukali: Nein, eigentlich nicht. Die Probleme, die wir damals mit den salafistischen Jugendlichen hatten, das waren eigentlich Jugendliche, die weit weg von der Religion sind und nicht in ihrer Familie oder in ihrem Kreis den Islam gelebt haben. Und deswegen sind sie in diese Schiene geraten.
Weber: Sie haben also nicht den Eindruck, dass in den sozialen Medien salafistische Stimmen gerade mehr Zulauf hätten oder sich lauter zu Wort melden würden in diesen Zeiten?
Doukali: Doch, die versuchen das natürlich auch, indem sie Themen, die alle Muslime beschäftigen, ansprechen. Ich habe einige salafistische Prediger in den sozialen Medien gesehen, die zum Beispiel versuchen, Jugendliche zu erreichen, indem sie das so gedeutet haben: Das ist die Strafe Gottes, und wir sollen zu Gott zurückkehren. Einige haben versucht, sogar die Notlage der Moscheen zu nutzen, und haben Spendenaufrufe gemacht und gesagt, dass sie den Moscheen helfen können.

Spenden brechen weg

Weber: Und Sie rufen für Spenden ganz direkt für Ihre Gemeinde oder für die muslimischen Gemeinde in Hamburg auf, weil Sie momentan Einbrüche haben, denn wenn keine Menschen zum Gebet kommen, fließen auch weniger tägliche Spenden in die Moschee?
Doukali: Ganz genau, die Moscheen werden hauptsächlich oder ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden, die am Freitag gesammelt werden, finanziert. Dadurch, dass keine Gebete und keine Gottesdienste mehr stattfinden, sind weniger Spenden reingekommen.
Rot-weiße Klebestreifen markieren im Gebetsraum der El-Iman-Moschee in Hamburg, wieviel Abstand die Gläubigen beim Gebet voneinander halten sollen.
Gesundheit geht vor: Rot-weiße Klebestreifen markieren den Abstand, den Gläubige im Gebetsraum einhalten sollen, wenn die Moschee wieder öffnet.© El-Iman-Moschee / Mounib Doukali
Weber: Das heißt, Sie hoffen wahrscheinlich auch darauf, dass die Regelungen bald gelockert werden und die Moscheen wieder öffnen können. Dann werden Sie aber auch ein Hygienekonzept vorlegen müssen. Was müssen Sie denn dann verändern, müssen Sie dann Karrees auf den Gebetsteppich malen, damit die Leute im richtigen Sicherheitsabstand beten?
Doukali: Wir hoffen auf die Lockerungen, aber an erster Stelle ist für uns die Gesundheit der Menschen wichtiger. Wir haben uns darauf vorbereitet, indem wir den Gebetsteppich in der Moschee mit einem Sicherheitsabstand verzeichnet haben. Wir haben uns mit Masken, Handschuhen und Desinfektionsmitteln ausgerüstet und bereiten uns darauf vor, die Zahl der Besucher begrenzen zu müssen.

Besucherzahlen begrenzen, auf Waschungen verzichten

Weber: Die Zahl der Besucher beschränken – Sie haben ja gesagt im Vorgespräch, bis zu 700 Menschen kommen zu Ihnen zum Freitagsgebet. Wie viele können Sie denn überhaupt mit Sicherheitsabstand dann in Ihrer Moschee unterbringen?
Doukali: Mit Sicherheitsabstand werden es wahrscheinlich maximal 150 Personen sein.
Weber: Und meinen Sie, Sie müssen dafür dann einen Sicherheitsdienst engagieren, der die Leute an der Tür abweist, oder wie werden Sie das organisieren können?
Doukali: Einen Sicherheitsdienst können wir leider nicht bezahlen, aber wir werden aus dem Vorstand Leute vor die Tür stellen müssen, die darauf achten.
Weber: Nun gehört es ja auch zum muslimischen Gebet, sich davor rituell zu waschen. Das ist wahrscheinlich hygienisch gesehen auch schwierig. Wie wäre das, könnte man auch ein Gebet machen ohne die rituelle Waschung davor?
Doukali: Darauf haben wir uns vorbereitet, indem wir die Muslime aufgefordert haben, sich zu Hause zu waschen. Wer natürlich keine rituelle Waschung mehr hat, hat die Möglichkeit, mit einem Stein auf die rituelle Waschung zu deuten, indem man diesen Stein oder die Wand anfasst und die rituelle Waschung andeutet. Das ist eine Erleichterung, die schon längst im Islam bekannt ist.

Schon Mohammed gab Hinweise zum Umgang mit Seuchen

Weber: Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass muslimische Gläubige sich mit Seuchen beschäftigen müssen. Gehen Sie manchmal zurück in die Geschichte und schauen, was früher da für Maßnahmen ergriffen wurden?
Doukali: Genau. Wenn wir in die Geschichte schauen, dann lesen wir, dass die Muslime schon mal eine Pest erlebt haben. Der Prophet hat auch einige Aussagen gemacht, Empfehlungen, wie man mit solchen Situationen umgeht. Er sagte zum Beispiel: Wenn die Pest in eine Stadt kommt, dürft ihr diese Stadt nicht verlassen. Und wenn das nicht eure Stadt ist, dann dürft ihr nicht in die Stadt mit der Pest einreisen.
Weber: Also, auch die frühen Muslime kannten schon Kontaktbeschränkungen und Quarantäne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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