Mord und Intrigen im feinen Barcelona

03.09.2009
Don Rafel Massó i Pujades ist eine seltsame Figur - ein eitles Männchen mit Perücke und Dreispitz, Präsident des Königlichen Gerichts im Barcelona des Jahres 1799. "Sa Senyoria" (Euer Gnaden) wird gefürchtet, gehasst, er lässt sich schmieren, er beugt das Recht, bei Gericht zeigt er sich unbarmherzig. Doch dieser Richter Gnadenlos wurde vor einiger Zeit selbst zum Täter - er erwürgte eine untreue Geliebte, Elvira. Don Rafels Gärtner ließ die Leiche verschwinden.
Knapp vor der Jahrhundertwende - das feine Barcelona ist bereits in Partystimmung – wird eine bekannte Ariensängerin ermordet. Rasch ist der vermeintliche Täter gefunden, Andreu, ein junger Poet; er war mit der Sängerin zusammen. In Andreus Haus findet die Polizei ein Papier, das Don Rafel belastet: das Testament des Gärtners. Der Richter habe die liebliche Elvira umgebracht, steht da. Don Rafel, in Panik, will die Mitwisser mundtot machen. Er beschwört den Polizeichef, das Dokument verschwinden zu lassen. Und zügig lässt er gegen Andreu ermitteln. Der Poet wird unschuldig eingekerkert, gefoltert, gehenkt. Das Zeugnis des Gärtners bringt den Richter dennoch zu Fall. Am Ende richtet er sich selbst, er erschießt sich – um der Peinlichkeit von Prozess und Bestrafung zu entgehen.

Autor Jaume Cabré, 1947 in Barcelona geboren, ist ein vielfach preisgekrönter Erzähler. Vor zwei Jahren erschien ein erster Roman auf Deutsch, "Die Stimmen des Flusses" (von 2004), ein Heldenepos vor dem Hintergrund der Franco-Diktatur. Wie zuvor in Spanien wurde die plakative Mär auch in Deutschland gut verkauft und meist gut besprochen.

"Senyoria", das neue Werk, ist schon etwas angejahrt, ein Roman von 1991, mit dem der Verlag an den Erfolg der "Stimmen" anknüpfen möchte. Cabré hat seine Posse spannend, ironisch und lustvoll inszeniert, auf mehreren Ebenen, mit gleich drei Morden, mit derben Intrigen und reichlich Sinnlichkeit: Die Komparsen, dekadente Aristokraten, gehen auf in einem frivolen Reigen der Promiskuität. Hinter allem glänzt die Kulisse, Barcelona, eine Stadt, die nach Dauerregen metaphorisch im Schlamm versinkt.

So deutlich wie die Stärken treten auch die Schwächen des Buchs hervor. Der Autor hat zu dick aufgetragen. Seine Geschöpfe sind Karikaturen, Comicfiguren, man trifft Bösewichter und Gestalten aus Licht. Die Story ist schmalbrüstig und langfädig. Und an der Sprache des Philologen Cabré stören die Übertreibungen: Von abgrundtiefer Schande und höllischer Seelenpein berichtet der Autor, jemandem "läuft es eiskalt den Rücken runter" etc. Bisweilen wirkt das Werk wie ein Historienfilm aus den Fünfzigern: Man bemerkt die Pappkulissen, die angeklebten Bärte, bisweilen kracht es in der Konstruktion, und dennoch vermittelt das Stück Geruch, Geschmack und Gefühl. Nein, große Literatur ist "Senyoria" sicher nicht, aber ein handfester Schmöker allemal.

Besprochen von Uwe Stolzmann

Jaume Cabre: Senyoria
Roman
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2009
500 Seiten, 24,80 Euro