Mord und Durchschlag
Es gibt eine lateinamerikanische Literatur außerhalb von García Márquez und Gleichgesinnten, den Gefolgsleuten des magischen Realismus. Zwar wird der barocke Exotismus dieser Art Literatur hierzulande für typisch lateinamerikanisch gehalten, aber mindestens ebenso lateinamerikanisch ist der intellektuell verspielte Literatur-Roman, der seine Versatzstücke und Spielfiguren aus verschiedenen literarischen Genres – vorzugsweise die trivialen entlehnt.
Der Großmeister solchen Erzählens war der Argentinier José Luis Borges – und sein 1937 geborener Landsmann Juan José Saer ist – zusammen mit Ricardo Piglia – ein beachtenswerter Nachfolger.
„Ermittlungen“, geschrieben zu Anfang der neunziger Jahre, ist der bislang erste von Saers vielen Romanen, der ins Deutsche übersetzt wurde. Es ist die Geschichte eines – wie der Autor selbst – im Pariser Exil lebenden Argentiniers, der nach Jahren wieder die alte Heimat besucht. Dort erwarten ihn ein alter Freund, ein geheimnisvolles Typoskript, ein junger Literaturenthusiast, das ungelöste Rätsel seines verschwundenen Bruders und die wunderbare Landschaft, die Flüsse, die Blumen und die Hitze eines späten Sommers.
In diese Rahmenhandlung hat Saer einen veritablen Krimi eingebaut, den der Rückkehrer Pichón seinen Literatenfreunden erzählt: Ein Massenmörder treibt sein Unwesen in Paris, 27 alte Damen hat er bereits auf bestialische Weise ermordet und Kommissar Morvan hat noch immer keine Spur. Schließlich erhärtet sich der Verdacht, dass der Täter aus dem Kreis der Ermittler selbst kommen muss. Die Ermittlungen richten sich damit plötzlich gegen die bisher unhinterfragte Lebensrealität des Kommissars; er merkt, dass er niemandem, nicht einmal sich selbst, trauen kann.
Saer entwickelt dieses Misstrauen langsam und psychologisch sehr stimmig; geschickt überträgt er es auf die Leser, die bald keiner der Erzählfiguren mehr Glauben schenken können.
Saer geht es dabei offenkundig nicht um die Erzeugung von „suspense“, sondern um die Diskussion der alten Frage nach der Gültigkeit von Wahrnehmung.
Auf diese Frage spielt auch das Typoskript des unbekannten Autors an, das nichts Geringeres als die Geschichte des Trojanischen Krieges erzählt – allerdings aus dem sehr speziellen Blickwinkel einfacher griechischer Soldaten, die sich in all den Kriegsjahren nie der Stadt Troja genähert haben und die sich nur wundern können über ein riesiges hölzernes Pferd, das vor den Stadtmauern steht.
So verknüpft Saer auf nicht-lineare Weise ungelöste Rätsel mit möglichen Antworten. Manche könnten stimmen, manche nicht. Die Entscheidung überlässt er seinen Lesern. Er selbst begnügt sich damit, Geistesblitze schleudern und die offenen Fragen, die Erinnerungen und Zweifel zu einem Roman zusammenzufügen, der so fragmentarisch ist wie die menschliche Wahrnehmung.
Juan José Saer: Ermittlungen
Roman. Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek
DuMont Verlag, 2005
„Ermittlungen“, geschrieben zu Anfang der neunziger Jahre, ist der bislang erste von Saers vielen Romanen, der ins Deutsche übersetzt wurde. Es ist die Geschichte eines – wie der Autor selbst – im Pariser Exil lebenden Argentiniers, der nach Jahren wieder die alte Heimat besucht. Dort erwarten ihn ein alter Freund, ein geheimnisvolles Typoskript, ein junger Literaturenthusiast, das ungelöste Rätsel seines verschwundenen Bruders und die wunderbare Landschaft, die Flüsse, die Blumen und die Hitze eines späten Sommers.
In diese Rahmenhandlung hat Saer einen veritablen Krimi eingebaut, den der Rückkehrer Pichón seinen Literatenfreunden erzählt: Ein Massenmörder treibt sein Unwesen in Paris, 27 alte Damen hat er bereits auf bestialische Weise ermordet und Kommissar Morvan hat noch immer keine Spur. Schließlich erhärtet sich der Verdacht, dass der Täter aus dem Kreis der Ermittler selbst kommen muss. Die Ermittlungen richten sich damit plötzlich gegen die bisher unhinterfragte Lebensrealität des Kommissars; er merkt, dass er niemandem, nicht einmal sich selbst, trauen kann.
Saer entwickelt dieses Misstrauen langsam und psychologisch sehr stimmig; geschickt überträgt er es auf die Leser, die bald keiner der Erzählfiguren mehr Glauben schenken können.
Saer geht es dabei offenkundig nicht um die Erzeugung von „suspense“, sondern um die Diskussion der alten Frage nach der Gültigkeit von Wahrnehmung.
Auf diese Frage spielt auch das Typoskript des unbekannten Autors an, das nichts Geringeres als die Geschichte des Trojanischen Krieges erzählt – allerdings aus dem sehr speziellen Blickwinkel einfacher griechischer Soldaten, die sich in all den Kriegsjahren nie der Stadt Troja genähert haben und die sich nur wundern können über ein riesiges hölzernes Pferd, das vor den Stadtmauern steht.
So verknüpft Saer auf nicht-lineare Weise ungelöste Rätsel mit möglichen Antworten. Manche könnten stimmen, manche nicht. Die Entscheidung überlässt er seinen Lesern. Er selbst begnügt sich damit, Geistesblitze schleudern und die offenen Fragen, die Erinnerungen und Zweifel zu einem Roman zusammenzufügen, der so fragmentarisch ist wie die menschliche Wahrnehmung.
Juan José Saer: Ermittlungen
Roman. Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek
DuMont Verlag, 2005