Mord aus Dogmatismus
Viele amerikanische Intellektuelle zogen auf Seiten der Republik in den Spanischen Bürgerkrieg, unter ihnen Hemingway und John dos Passos. Dos Passos verlor aber seinen Glauben an die Linke, als ein befreundeter Spanier, der seine Bücher übersetzte, vom sowjetischen Geheimdienst „liquidiert“ wurde. Ignacio Martínez de Pisón hat aufwändige Recherchen betrieben, um die Hintergründe des Mordes aufzuklären.
Vom Spanischen Bürgerkrieg (1936-39), dem Widerstandskampf der Republik gegen Franco, haben wir eine klare Vorstellung: Es war ein Kampf des Guten gegen das Böse, der Zivilisation gegen die Barbarei. Schriftsteller haben dieses Bild geprägt, allen voran Hemingway mit seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“, mit Reportagen und Short Stories.
Spanische und deutsche Historiker halten das monochrome Bild für einen Mythos. Sie wissen: Rechte wie linke Parteigänger zeigten schon vor 1936 eine bestürzende Gewaltbereitschaft. Die Kriegführung war auf beiden Seiten ungewöhnlich brutal, haßgeprägt. Und inquisitorischen Terror, Massenerschießungen gab es im Lager der Republikaner (und der Internationalen Brigaden) ebenfalls. Die Repression der „Nationalisten“ im Krieg kostete vermutlich 150.000 Menschenleben. In der republikanischen Zone sollen 50.000 Personen ermordet worden sein. Ein besonders trauriges Kapitel: Die „Roten“ gingen hinter den Schützengräben auch gegen die eigenen Leute vor; die meisten Opfer waren vermeintliche Spione oder Abweichler, vor allem Trotzkisten und Anarchisten.
Über einen Fall von „Brudermord“ berichtet jetzt der spanische Romancier Ignacio Martínez de Pisón. Rückblende in das Jahr 1916: Der US-amerikanische Erzähler John Dos Passos (*1896) begegnet während einer Spanienreise in einem Zugabteil dritter Klasse einem jungen Intellektuellen, José Robles Pazos. Die jungen Männer freunden sich an. Der Hispanist Robles wird später Dos Passos‘ Werke übersetzen (auch „Manhattan Transfer"), und er wird die allererste Rezension eines Hemingway-Buchs in Spanien publizieren. 1920 siedelt Robles in das Land seiner Idole über, er geht nach Baltimore, mit Lehrauftrag der Johns Hopkins University. Die Sommerferien verbringen Robles und Familie (zwei Kinder) für gewöhnlich daheim in Spanien.
Im Juli 1936 putschen die „Nationalisten“ gegen die Republik, im Spätherbst stehen sie vor Madrid. Die Volksfrontregierung zieht sich nach Valencia zurück. Robles, der Emigrant, will „seiner“ Regierung dienen, er wird Dolmetscher für einen sowjetischen Militärberater. Eines Abends im Dezember 36, Robles blättert eben in einem Prosaband von Poe, erscheint eine Gruppe in Zivil gekleideter Männer im Wohnzimmer. Robles wird verhaftet, wegen „Verrats“ an der Republik. John Dos Passos versucht, den Freund zu retten, er interveniert in Washington, doch das State Department lässt wissen, für einen spanischen Staatsbürger könne man nichts tun. Robles‘ Frau kann ihn noch zweimal sehen, dann wird der Häftling nach Madrid verlegt. Wenig später verliert sich seine Spur in den Wirren des Krieges; die Verantwortlichen – die Täter – bleiben unerkannt.
Dos Passos hat dem Weggefährten, diesem „energischen, skeptischen Mann“ mit Forschergeist und bissigem Humor, später ein schriftliches Denkmal gesetzt. Für die Weltsicht des Amerikaners hatte der Mord schwerwiegende Folgen, die Tat zerstörte seinen Glauben an die gute linke Sache. Und noch etwas zerbrach über der Tragödie: Dos Passos‘ Freundschaft zu Hemginway, der sich den ideologischen Irrtum nicht eingestehen mochte.
Ignacio Martínez de Pisón (geboren 1960 in Zaragoza) ist durch Zufall auf José Robles Pazos gestoßen, in einer Monographie über Dos Passos. Mit aufwendigen Recherchen hat der Spanier den Fall Robles erhellt. Er wollte wissen: Warum musste der Übersetzer sterben? (Weil er den stalinistischen Reinheitsnormen nicht genügte.) Und wer waren die Täter? (Männer vom sowjetischen Geheimdienst NKWD).
In seinem Buch – einer Collage aus Akten- und Buchzitaten, Gesprächsnotizen, Mutmaßungen – zeichnet der Schriftsteller ein facettenreiches Panorama von einem Land im Bürgerkrieg, und er erinnert, mit diesem Porträt eines Einzelnen, an die vergessenen Opfer des Terrors.
„Das Schrecklichste dieser Geschichte ist, dass Spaniens Opfer und Henker des Jahres 1937 etwas Wesentliches gemein haben: den marxistischen Glauben an die Zukunft...“
Martínez‘ Stil ist dem Stoff leider nicht ebenbürtig. Der Sprache fehlt die Spannung, der Geschichte die Geradlinigkeit; der Autor kreist um seinen Stoff, er schweift ab, wiederholt sich, springt ohne Not vor und zurück. Hervorhebenswert ist der „Apparat“ mit Glossar, Anmerkungen, Bibliographie, Namensregister und Erläuterungen zur Rolle des NKWD in dem Konflikt. Und intensiv, dicht wird der Text, wenn sich der Erzähler auf seine Stärke besinnt, die Imagination:
„Man bekommt eine Zigarette in die Hand gedrückt und wird in den Innenhof geführt, wo sechs Männer warten, die man nie gesehen hat. Sie legen an. Sie warten auf den Befehl. Sie schießen.“
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Ignacio Martínez de Pisón: Der Tod des Übersetzers. John Dos Passos und die Geschichte eines ungeklärten Mordes
Aus dem Spanischen von Sibylle Martin
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
271 Seiten, 19,90 Euro.
Spanische und deutsche Historiker halten das monochrome Bild für einen Mythos. Sie wissen: Rechte wie linke Parteigänger zeigten schon vor 1936 eine bestürzende Gewaltbereitschaft. Die Kriegführung war auf beiden Seiten ungewöhnlich brutal, haßgeprägt. Und inquisitorischen Terror, Massenerschießungen gab es im Lager der Republikaner (und der Internationalen Brigaden) ebenfalls. Die Repression der „Nationalisten“ im Krieg kostete vermutlich 150.000 Menschenleben. In der republikanischen Zone sollen 50.000 Personen ermordet worden sein. Ein besonders trauriges Kapitel: Die „Roten“ gingen hinter den Schützengräben auch gegen die eigenen Leute vor; die meisten Opfer waren vermeintliche Spione oder Abweichler, vor allem Trotzkisten und Anarchisten.
Über einen Fall von „Brudermord“ berichtet jetzt der spanische Romancier Ignacio Martínez de Pisón. Rückblende in das Jahr 1916: Der US-amerikanische Erzähler John Dos Passos (*1896) begegnet während einer Spanienreise in einem Zugabteil dritter Klasse einem jungen Intellektuellen, José Robles Pazos. Die jungen Männer freunden sich an. Der Hispanist Robles wird später Dos Passos‘ Werke übersetzen (auch „Manhattan Transfer"), und er wird die allererste Rezension eines Hemingway-Buchs in Spanien publizieren. 1920 siedelt Robles in das Land seiner Idole über, er geht nach Baltimore, mit Lehrauftrag der Johns Hopkins University. Die Sommerferien verbringen Robles und Familie (zwei Kinder) für gewöhnlich daheim in Spanien.
Im Juli 1936 putschen die „Nationalisten“ gegen die Republik, im Spätherbst stehen sie vor Madrid. Die Volksfrontregierung zieht sich nach Valencia zurück. Robles, der Emigrant, will „seiner“ Regierung dienen, er wird Dolmetscher für einen sowjetischen Militärberater. Eines Abends im Dezember 36, Robles blättert eben in einem Prosaband von Poe, erscheint eine Gruppe in Zivil gekleideter Männer im Wohnzimmer. Robles wird verhaftet, wegen „Verrats“ an der Republik. John Dos Passos versucht, den Freund zu retten, er interveniert in Washington, doch das State Department lässt wissen, für einen spanischen Staatsbürger könne man nichts tun. Robles‘ Frau kann ihn noch zweimal sehen, dann wird der Häftling nach Madrid verlegt. Wenig später verliert sich seine Spur in den Wirren des Krieges; die Verantwortlichen – die Täter – bleiben unerkannt.
Dos Passos hat dem Weggefährten, diesem „energischen, skeptischen Mann“ mit Forschergeist und bissigem Humor, später ein schriftliches Denkmal gesetzt. Für die Weltsicht des Amerikaners hatte der Mord schwerwiegende Folgen, die Tat zerstörte seinen Glauben an die gute linke Sache. Und noch etwas zerbrach über der Tragödie: Dos Passos‘ Freundschaft zu Hemginway, der sich den ideologischen Irrtum nicht eingestehen mochte.
Ignacio Martínez de Pisón (geboren 1960 in Zaragoza) ist durch Zufall auf José Robles Pazos gestoßen, in einer Monographie über Dos Passos. Mit aufwendigen Recherchen hat der Spanier den Fall Robles erhellt. Er wollte wissen: Warum musste der Übersetzer sterben? (Weil er den stalinistischen Reinheitsnormen nicht genügte.) Und wer waren die Täter? (Männer vom sowjetischen Geheimdienst NKWD).
In seinem Buch – einer Collage aus Akten- und Buchzitaten, Gesprächsnotizen, Mutmaßungen – zeichnet der Schriftsteller ein facettenreiches Panorama von einem Land im Bürgerkrieg, und er erinnert, mit diesem Porträt eines Einzelnen, an die vergessenen Opfer des Terrors.
„Das Schrecklichste dieser Geschichte ist, dass Spaniens Opfer und Henker des Jahres 1937 etwas Wesentliches gemein haben: den marxistischen Glauben an die Zukunft...“
Martínez‘ Stil ist dem Stoff leider nicht ebenbürtig. Der Sprache fehlt die Spannung, der Geschichte die Geradlinigkeit; der Autor kreist um seinen Stoff, er schweift ab, wiederholt sich, springt ohne Not vor und zurück. Hervorhebenswert ist der „Apparat“ mit Glossar, Anmerkungen, Bibliographie, Namensregister und Erläuterungen zur Rolle des NKWD in dem Konflikt. Und intensiv, dicht wird der Text, wenn sich der Erzähler auf seine Stärke besinnt, die Imagination:
„Man bekommt eine Zigarette in die Hand gedrückt und wird in den Innenhof geführt, wo sechs Männer warten, die man nie gesehen hat. Sie legen an. Sie warten auf den Befehl. Sie schießen.“
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Ignacio Martínez de Pisón: Der Tod des Übersetzers. John Dos Passos und die Geschichte eines ungeklärten Mordes
Aus dem Spanischen von Sibylle Martin
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
271 Seiten, 19,90 Euro.