Mord an Walter Lübcke

Eine Geschichte rechter Radikalisierung

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Die Witwe des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, Irmgard Braun-Lübcke, steht zwischen ihren Söhnen im Gerichtssaal, während der Urteilsverkündung im Prozess wegen des Mordes an ihrem Ehemann.
Die Familie Lübcke, hier Irmgard Braun-Lübcke zwischen ihren Söhnen, setzte als Nebenklägerin ein starkes Zeichen, meint Steinhagen. © picture-alliance / Reuters/Pool /Kai Pfaffenbach
Martin Steinhagen im Gespräch mit Ute Welty  · 20.04.2021
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Rechtsextreme Täter verfolgen nicht nur eine Ideologie der Gewalt, sondern auch eine politische Strategie, sagt der Journalist Martin Steinhagen. Im Buch "Rechter Terror" hat er den Mord an Walter Lübcke und den folgenden Prozess aufgearbeitet.
Am 1. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) auf der Terrasse seines Hauses erschossen. Sein Mörder, der Rechtsextremist Stephan Ernst, erhielt dafür im Januar 2021 eine Höchststrafe von lebenslanger Haft mit Sicherheitsverwahrung, der Mitangeklagte Markus H. eine Bewährungsstrafe.
Für den Journalisten Martin Steinhagen, der den Prozess als Berichterstatter begleitet hat, wird in diesem Politikermord wie in einem Brennglas eine Geschichte der Radikalisierung der rechten Szene sichtbar, die sich an den Biografien der Täter aufzeigen lasse. In seinem Buch "Rechter Terror" arbeitet er die Geschehnisse auf, kommt aber zu dem Schluss, dass rechter Terror keinen Erfolg haben kann.

"Wir lassen uns nicht einschüchtern"

"Die Wunden, die diese Zeiten reißen, verheilen oft nie", sagt Steinhagen. "Der Verlust ist unwiederbringlich, insbesondere wenn es um das Leben von Menschen geht." Aber dem rechten Terror läge nicht nur eine Ideologie der Gewalt zugrunde, sondern es gebe auch eine politische Strategie der Täter. Sie wollten einschüchtern und eine Botschaft senden, erklärt der Journalist. "Sie wollen auch einen sogenannten Rassenkrieg auslösen oder einen Umsturz." Über den Erfolg solcher Vorhaben entschieden aber nicht die Täter.
Wenn man den Betroffenen der großen Anschläge zuhöre, den Überlebenden von Halle, den Angehörigen aus Hanau und der Familie Lübcke während des Prozesses, dann gehe von ihnen immer die Botschaft aus: "Die Täter sind in dieser Hinsicht mit ihren Taten gescheitert. Wir lassen uns nicht vertreiben, wir lassen uns nicht einschüchtern."

Auf der Seite der Bedrohten

Die Familie Lübcke habe ein starkes Zeichen gesetzt, als sie die Nebenklage übernommen habe und ein Teil des Prozesses geworden sei, sagt Martin Steinhagen. "Hinter dieser starken Positionierung der direkt Betroffenen steckt auch ein Appell an die Mehrheitsgesellschaft, dass man diese Gefahr jetzt endlich ernst nimmt und dass man sich auch ganz klar auf die Seite der Bedrohten stellt."
(gem)

Martin Steinhagen: "Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt"
Rowohlt Polaris Verlag, Hamburg 2021
240 Seiten, 18 Euro

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